Autoritätsproblem bei Kindern – Bedeutung, Ursachen & Tipps
Wenn ein Kind sich um des widersetzen Willens sträubt und guten Argumenten gegenüber taube Ohren zeigt, sind Eltern oft ratlos. Welche Ursachen kann ein Autoritätsproblem bei Kindern haben? Wie geht man mit einem Kind um, das sich von niemandem etwas sagen lässt?
Was bedeutet Autorität für Kinder?
Wie entsteht ein Gefühl von Autorität?
Ursprünglich entstammt das Wort Autorität aus dem Lateinischen und wird von auctoritas abgeleitet. Im alten Rom stand dieser Begriff für hohe Werte, Ansehen und Einfluss. Auch heute ist eine Autoritätsperson jemand, der oder die in gewisser Weise und in bestimmten Situationen Einfluss hat.
Warum jemand als Autorität wahrgenommen wird, besteht aus vielen einzelnen Faktoren und Facetten. In erster Linie bedeutet es, dass die Person Verantwortung übernimmt, andere führen und leiten kann. Es beinhaltet soziale Kompetenz, aber auch Empathie und Wissen.
Manche Menschen könnte man natürliche Autoritäten nennen. Sie erstaunen und faszinieren einfach. Warum das so ist, das kann man oft gar nicht so genau in Worte fassen. Sie vereinen einfach vieles in einer Person. Andere Menschen blicken auf sie mit Respekt und Wertschätzung. Sie profitieren von ihrem Wissen und ihren Ansichten. Vgl. auch: Was ist Erziehung?
Eine Autoritätsperson ist im idealen Fall also auch ein positives Vorbild. Die betreffende Person verfügt zudem über Fähigkeiten, die andere nicht haben oder noch nicht erlernt haben. Das Anerkennen von Autorität einer Person ist im Rahmen obiger Voraussetzungen auch ein Zeichen von Respekt.
Autoritätspersonen können allerdings auch Personen sein, die ihre Stellung mit Macht und Androhung von Konsequenzen erzwingen. Das kann zu einem Gefühl der Machtlosigkeit der autoritären Person gegenüber führen.
Bedürfnisorientierte Erziehung: Was sie wirklich bedeutet
Autoritätspersonen und ihr Einfluss auf Kinder
Man kann es nicht oft genug betonen: Kinder haben Rechte und ihre Rechte sollten noch viel stärker durchgesetzt werden. Dennoch gilt auch: Gerade wenn ein Kind klein ist, entscheiden die Eltern doch sehr intensiv über ihr Leben.
Vgl. auch 10 Kinderrechte – Darum sind Kinderrechte wichtig
Das ist an sich auch gut so. Autorität per se ist wichtig für Kinder: Sie vermittelt Sicherheit und Stabilität. Sie ermöglicht, von dem Erfahrungsschatz von Autoritätspersonen zu lernen. Das Annehmen von Autorität bedeutet auch, den eigenen Platz im sozialen Gefüge zu verstehen.
Manche Kinder akzeptieren die Autorität bestimmter Personen, selbst wenn es sich für sie nicht schlüssig anfühlt. Andere möchten sich nicht unterordnen und widersetzen sich der autoritären Person.
Bis zu einem gewissen Grad ist das Hinterfragen von Autorität im Kindesalter normal und Teil der kindlichen Entwicklung. Es kann bereichernd und positiv für das Kind sein, um die eigene Identität herauszubilden.
In vielen Fällen handelt es sich bei dem Autorität hinterfragen um eine Phase im Leben eines Kindes. es kann Teil der normalen Entwicklung sein.
Doch was passiert, wenn sich das Kind gegen mehrere oder alle Personen oder Institutionen mit aller Kraft sträubt? Was kann man machen, wenn das Kind sich um des widersetzen Willens offen widersetzt?
In der extremen Ausprägung besteht ein klares Autoritätsproblem bei dem Kind. In diesem Fall sind vor allem die Eltern gefragt, um eine möglichst schnelle Veränderung zu initiieren. Wichtig ist hier im ersten Schritt, zu erkennen, wo der Ursprung der Problematik liegt.
Welche Menschen übernehmen im Kindesalter autoritäre Rollen?
Im privaten Bereich
Das Leben eines (kleineren) Kindes spielt sich hauptsächlich im Elternhaus ab. Die Eltern oder Pflegepersonen, die eine solche Rolle einnehmen, sind die wichtigsten Bezugspersonen.
Viele Kinder haben außerdem eine enge Beziehung zu ihren Großeltern und anderen Verwandten. Gerade wenn Kinder viel Zeit bei diesen Personen verbringen, können diese auch eine erziehende Rolle übernehmen und autoritär sein. Wenn die Eltern arbeiten, machen die Großeltern oft regelmäßig mit dem Kind die Hausaufgaben, spielen und sind stark in das Familienleben integriert.
Vgl: 6-Jahres-Krise (Wackelzahnpubertät) – Phasen von Angst & Wut
Im Kindergarten und in der Schule
Die Kindergartenzeit sollte natürlich in erster Linie unbeschwerte Spielzeit sein. Gleichzeitig erfolgt auch ein großer Teil der frühen Sozialisierung des Kindes in dieser Zeit. Kinderpfleger*innen achten darauf, dass die Kinder Regeln einhalten, ihre Sozialkompetenzen stärken. Die Kleinen lernen die ersten Richtlinien für ein geregeltes Miteinander.
Ab der Grundschulzeit erlangen Lehrkräfte eine große Wichtigkeit. Mit Beginn der ersten Klasse müssen Kinder lernen, sitzenzubleiben, bis der Unterricht vorbei ist. Sie müssen die Anordnungen befolgen. Ein Stück weit beginnt mit diesem Zeitpunkt der Ernst des Lebens.
Lehrer*innen bringen Kindern weit mehr als nur den Lernstoff nahe. Sie achten auch auf die sozialen Komponenten. Wer als Erwachsene*r seine alten Zeugnisse in die Hand nimmt, erinnert sich: In den Halbjahres- und Jahreszeugnissen findet sich neben den Schulnoten immer auch eine Einschätzung und Beurteilung sozialer Kompetenzen und Fähigkeiten. Oft empfindet man im Nachhinein die Beurteilung als nicht realitätsgetreu.
Der Einfluss von Lehrkräften auf Kinder kann sehr intensiv bis ins Erwachsenenleben hinein wirken – im positiven wie im negativen Sinn. Natürlich muss eine Lehrkraft bis zu einem gewissen Grad eine Autorität darstellen. Nur wenn gewisse Regeln befolgt werden, läuft der Schulbetrieb. Schließlich sind oft mehr als 30 Kinder in jeder Klasse. Ohne Ordnung, Struktur und Ruhe kann das nicht funktionieren.
In der praktischen Umsetzung ist allerdings für die Lehrer*innen auch viel Spielraum. Hier kommen die individuellen pädagogischen Kompetenzen stark ins Spiel. Lehrer*innen, die die Kinder lautstark anschreien, werden eher weniger als respektierte Autoritätsperson wahrgenommen. Viel wahrscheinlicher ist, dass das Kind Angst vor oder Wut auf die Lehrkraft entwickelt.
Positiv wirkt sich hingegen ein*e Lehrer*in aus, zu der die Kinder Vertrauen haben, der/ die den Unterricht lebendig gestaltet und auf die Schüler*innen empathisch eingeht.
Ursachen für ein Autoritätsproblem bei Kindern
Die Eltern sind gefragt
Die erste Frage ist: Bei welchen Personen zeigt das Kind Probleme, Autorität zu akzeptieren? Sind es alle Menschen? Reagiert das Kind in bestimmten Situationen sehr empfindlich? Seit wann besteht das Problem? Gab es einen Auslöser?
Wenn ein Kind über einen längeren Zeitraum hinweg sämtliche Hinweise, Aufforderungen oder auch klare Anweisungen von Autoritätspersonen nicht annehmen und befolgen will, ist es wichtig, auf Spurensuche zu gehen und genau hinzusehen. Falls das Kind sich den Eltern mitteilen möchte, ist es wichtig, dieses Vertrauen ernst zu nehmen und auch genau zuzuhören.
Die Gründe können sehr vielfältig sein
Verschiedenste Gründe oder Auslöser können dafür verantwortlich sein, dass ein Kind sich weigert, Ratschläge anzunehmen. Manchmal sind die Gründe nicht auf den ersten Blick erkennbar. Wenn sich die Situation bereits verschärft hat, ist das Kind vielleicht auch nicht mehr willens, es mit den Eltern zu teilen.
Die folgenden Punkte können erste Anregungen für Eltern liefern.
Hat das Kind eine sichere Bindung?
In der Spurensuche, warum ein Kind ein Autoritätsproblem hat, sollte der erste Blick der Eltern auf sich selbst gerichtet werden. Inwiefern habe ich meinem Kind eine sichere Bindung zu mir ermöglicht? Vgl. auch Bindungsorientierte Erziehung sowie Bindungstrauma – unsichere Bindungen
Die stabile Bindung zu einer Bezugsperson ist elementar für die psychische Entwicklung eines Kindes. Wenn diese Person nicht ausreichend fürsorglich ist und das Kind schützt, fühlt es sich unsicher. Auf die Umwelt offen zugehen, fällt dem Kind dann schwer.
Während manche Kinder sich zurückziehen und Kontakt eher vermeiden, gehen andere Kinder sehr offensiv in den Kontakt mit der Außenwelt. Somit kann ein Autoritätsproblem auch ein Hinweis auf eine emotionale Vernachlässigung sein.
Hat das Kind schlechte Erfahrungen mit Autoritätspersonen gemacht?
Vielleicht hat das Kind negative Erfahrungen mit Autoritätspersonen gespeichert und immer wieder neu erlebt. Vielleicht schimpft der Opa mehr, als den Eltern bewusst ist. Vielleicht hat ein Lehrer/ eine Lehrerin das Kind in der Schule vorgeführt oder benachteiligt.
Ein Kind, das früh lernen muss, kein oder kaum Mitspracherecht zu haben, kann verstärkt negativ auf jegliche Form von Autorität reagieren.
Kinder wollen einen Sinn erkennen
Sicherlich ist es bei dem einen Kind stärker ausgeprägt und bei dem anderen weniger, aber: Kinder stellen Fragen. Sie wollen verstehen, warum etwas so ist wie es ist. Sie wollen den Sinn dahinter erkennen.
Ein Autoritätsproblem bei Kindern ist stark verknüpft mit der individuellen Einschätzung des Kindes, ob es die Autorität als sinnvoll und nachvollziehbar empfindet. Vielleicht könnte man sagen: Autorität gibt Sicherheit, wenn das Kind darin einen Sinn erkennt.
Den heiklen Tanz rund um das Thema Autorität und was sinnvoll ist, nehmen Kinder natürlich unterschiedlich wahr. Dies gilt für einige Kinder mehr als für andere. Einige Kinder sind sensibler, sind ihrem Alter vielleicht sogar geistig voraus. Andere Kinder wiederum hinterfragen Dinge eher nicht.
Hinzu kommen äußere Einflussfaktoren. Manche Kinder sind beispielsweise immer die Lieblinge ihrer Lehrkräfte oder ihrer Eltern. In dem Fall wird ihnen oft mehr erlaubt als den Mitschüler*innen/ Geschwistern, sie erleben in der Folge die Lehrer*innen/ Eltern als weniger autoritär. Auch Möglichkeiten wie diese sollten Eltern erlauben und hinterfragen. Muss mein Kind immer vernünftig sein? Ist es vielleicht sogar ein Schattenkind oder steht im Schatten des Sonnenkindes?
Wie können Eltern ihrem Kind bei einem Autoritätsproblem helfen?
Fragen stellen
In welchen Situationen äußert sich das Autoritätsproblem am meisten?
Wie so oft ist auch hier die goldene Regel: Genau hinsehen. Mit dem Kind sprechen. Verständnis zeigen. Nachfragen. Interessiert sein. Kinder, die kategorisch Autorität ablehnen, haben meistens einen Grund.
Vielleicht hat das Kind sich lange Zeit nicht selbstwirksam fühlen können. Vielleicht haben die Eltern dem Kind zu wenig Raum gegeben, ihren eigenen Impulsen zu wenig Kontrolle gegeben. Vielleicht gab oder gibt es Lehrkräfte, die von dem Kind als übermäßig streng wahrgenommen werden.
Erkennen:
Ein Autoritätsproblem ist auch ein Ausdruck von Hilflosigkeit
Kinder brauchen Regeln und Strukturen. Kinder lernen so, sich in die Gemeinschaft einzugliedern. Wenn die Autorität aber übermäßig stark ausgeübt wird und das Kind sich wehrlos fühlt, fühlt es sich nicht selbstwirksam.
Dies resultiert in verschiedenen Verhaltensweisen, die grob in zwei Richtungen einteilbar sind:
Das Kind leidet leise und zieht sich zunehmend zurück. Es baut einen Schutzpanzer auf und macht die inneren Konflikte mit sich selbst aus.
Das Kind versteckt die mangelnde Selbstwirksamkeit und beginnt, offen gegen die autoritären Personen zu rebellieren. Nachdem ein Kind über einen längeren Zeitraum hinweg das Gefühl hat, von Autorität „überrollt“ zu werden, beginnt es, sich mit allen Kräften zu wehren.
Für beide Reaktionen gilt: Sie sind verbunden mit der unbewussten Angst, von der Autorität in der eigenen Identität übermäßig eingeschränkt und vereinnahmt zu werden.
vgl. auch Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern
Sinnvolle, gemeinsam besprochene Grenzen können ein Autoritätsproblem aufweichen
Manche Kinder haben einfach ein starkes Gerechtigkeitsgefühl. Auch wenn sie einerseits noch sehr kindlich sind, wirken sie andererseits fast „philosophisch“. Dies wahrzunehmen und zu fördern bedeutet für die Eltern, ihrem Kind zumindest stellenweise eine fast gleichberechtigte Stellung einzuräumen.
Vgl. auch Philosophieren mit Kindern – Sinnfragen & Bedeutung
Das kann natürlich schnell zu einem Balanceakt werden. In diesem Fall haben Eltern die große Aufgabe vor sich, ihr Kind mit anderen, erweiterten, Augen zu sehen. Aber gemeinsam Dinge besprechen und auch mal ein wenig zu philosophieren, hilft dem Kind, die Welt besser zu verstehen und Ängste abzubauen. Vgl. Grenzen setzen bei Kindern – Kind hört nicht und provoziert
Ein stark gerechtigkeitsliebendes Kind wird häufiger gegen (gefühlt) unsinnige Verbote rebellieren als andere Kinder. Es wird ihm oder ihr schwerer fallen, sich unterzuordnen, das als wenig sinnvoll erachtete Verhalten von Eltern und Lehrkräften zu akzeptieren. Es wird häufiger über den Sinngehalt von Verboten und Regeln mit den Eltern diskutieren wollen.
Vgl. Autonomiephase verstehen – Was die Trotzphase für Kinder bedeutet
Die Eltern können sich fragen: Machen die Verbote Sinn? Hat das Kind vielleicht zu selten das Gefühl der Selbstwirksamkeit? Wie kann ich dem Kind mehr das Gefühl geben, gesehen zu werden? Wenn die Lehrer*innen sich dem Kind gegenüber falsch verhalten, kann ein Besuch der Sprechstunde der entsprechenden Lehrkraft vielleicht helfen.
Ausblick
Wenn Eltern merken, dass ihr Kind ein Autoritätsproblem hat, sollten sie schnell handeln und sich und ihr eigenes Verhalten im ersten Schritt hinterfragen. Im nächsten Schritt können sie offen mit ihrem Kind besprechen, wie beide Seiten ab jetzt aufeinander zugehen können. Dazu gehört auch, zu spüren, wo Verhandlungsspielraum für beide Seiten sein könnte.
Auf keinen Fall sollten Eltern das Verhalten des Kindes einfach akzeptieren und resignieren. Tyrannische Kinder werden als erwachsene Menschen ein Problem mit sich und ihrer Umwelt haben. Sie werden später im Leben erwarten, dass andere sich nach ihnen richten. Sie werden wahrscheinlich wenig bereit sein, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, in einen Dialog mit den Mitmenschen zu treten.
Wichtig ist also eine Problemlösung, mit der alle Beteiligten zufrieden sind und sich gehört und gesehen fühlen. So lernt ein Kind etwas sehr wichtiges für das spätere Erwachsenenleben: Mit Schwierigkeiten konstruktiv umzugehen.
Vgl. auch das Thema Resilienz bei Kindern: Resiliente Kinder – Was Kinder stark macht oder Innere Stärke entwickeln – Tipps: Resilienzstärkung im Alltag