Philosophieren mit Kindern – spielend Bedeutung erkunden

Philosophieren mit Kindern ist kein klassischer Unterricht, sondern eine altbewährte Methode, um autonomes Denken, Selbstreflexion, humanistische Werte und das Selbstbild spielend zu fördern.

Philosophieren mit Kindern

Kinder & Philosophie

Philosophieren mit Kindern gibt es bereits seit der Antike. Schon damals galt: Philosophie-Unterricht hilft Kindern, die Welt zu verstehen, offen für Neues zu bleiben und selbstständig zu denken.

 

Philosophie für Kinder

Auf die Grundhaltung kommt es an

Philosophieren mit Kindern ist mittlerweile sehr beliebt. Doch wie philosophieren Erwachsene mit Kindern überhaupt? Und ist philosophieren wirklich schon in der KITA oder der Grundschule nötig?

Die Antworten auf diese Fragen hängen davon ab, was Erwachsene selbst unter Kindern und Philosophie verstehen.

Beim Philosophieren dreht sich alles um grundlegende Probleme des Menschseins:

  • Wie verhält sich der Mensch zur Natur?

  • Wie wollen wir leben?

  • Was ist ein gutes Leben?

  • Was verbindet uns mit anderen Menschen?

  • Was ist Gerechtigkeit?

Freilich ist das Philosophieren mit Kindern über Mensch und Welt etwas anderes als mit Erwachsenen zu diskutieren. Das Grundprinzip der Philosophie bleibt aber das gleiche: sich miteinander auf Augenhöhe austauschen. Vgl. auch: Das Bild vom Kind – Was bedeutet Kind-sein?

 

Was ist Philosophieren mit Kindern?

Philosophieren mit Kindern heißt, das freie, reflexive und selbständige Denken von Kindern zu fördern. Dabei sind Fragen und Techniken speziell auf Kinder ausgelegt, um die Entwicklung kognitiver, sprachlicher und kreativer Fähigkeiten zu unterstützen. 

 

Erwachsene müssen auf Deutungshoheit verzichten

Philosophieren lässt sich nur, wenn ich meinen Gesprächspartner als gleichwertig anerkenne und mich offen und ehrlich auf eine Unterhaltung einlasse. Selbst wenn sie mir unangenehm werden könnte, weil das Gespräch zu Fragen führt, die ich nicht so einfach beantworten kann.

Gerade im philosophischen Gespräch mit Kindern & Jugendlichen ist es wichtig, sich eigener Vorurteile zu entledigen, nicht rechthaberisch zu sein und sich sogar mit der eigenen Meinung zurückzuhalten.

Anstatt die Antworten vorzugeben, wird dem kindlichen Denken der Freiraum gelassen, um eigene Interpretationen und Erklärungen zu finden.

Philosophie für Kinder - Grundlagen

Darum ist das Nachfragen im philosophischen Gespräch so wichtig:

Was ist deine Meinung dazu?

Wie stellst du dir das Ganze vor?

Fällt dir eine Erklärung ein, warum xyz?

Das alles sind gute und inspirierende Fragestellungen für Kinder, die das eigenständige Denken und die kindliche Vorstellungskraft fördern.

 

Gemeinsam Nachdenken anstatt schnelle Lösungen

Egal ob Philosophieren mit Kindern innerhalb einer Gruppe oder im Dialog mit Erwachsenen – ein zweckrationales Lösungsdenken ist hier fehl am Platz.  Es geht nicht darum, endgültige Antworten parat zu haben. Und auch nicht darum, ein konkretes Problem zu lösen. 

Worauf kommt es dann an?

Darauf, offene und ungelöste Fragen, die sich nicht so einfach beantworten lassen, zu nutzen, um mit Kindern tiefsinnige Gedanken auszutauschen und sich auf die kindliche Welt einzulassen.

 

Kinder lernen mit Hilfe der Philosophie:

  • wie sinnvoll eine gemeinsame Suche nach möglichen Antworten ist

  • wie sie sich langsam und bedacht einem Problem gedanklich annähern können

  • dass es mehrere Wahrheiten geben kann, die gleich viel gelten

  • nicht jede Frage sofort gelöst werden kann und das völlig in Ordnung ist

 

Erwachsene müssen sich beim Philosophieren mit Kindern auf eine neue Rolle einlassen:

Sie sind nicht mehr die Wissenden, sondern selbst Suchende, die sich mit dem Kind auf Spurensuche begeben.

„Will man mit Kindern erfolgreich philosophieren, muss man jede Art von Verteidigungshaltung aufgeben. (...) Die Kombination von Stärken und Schwächen, die ein Erwachsener in die philosophische Begegnung mit einem Kind einbringt, enthält die Chance einer ganz besonderen Beziehung.

Der Erwachsene beherrscht die Sprache besser als das Kind und, zumindest latent, auch die sprachgebundenen Begriffe sicherer. Dafür hat das Kind einen ungetrübten Blick und eine erstaunliche Hellhörigkeit für Perplexität und Inkongruenz. Außerdem besitzen Kinder typischerweise einen Grad von Redlichkeit und Spontaneität, den ein Erwachsener kaum erreichen kann.

Weil beide Seiten etwas Wichtiges einzubringen haben, kann die Untersuchung leicht zu einem wahrhaften „joint venture“ werden, etwas, das bei sonstigen Begegnungen zwischen Erwachsenen und Kindern ziemlich selten ist.

(Gareth B. Matthews: Denkproben. Philosophische Ideen jüngerer Kinder. Berlin 1991, 107ff.)

 
Das kindliche Staunen als Startpunkt der Philosophie

Das kindliche Staunen als Startpunkt

Kinder fragen viel und auch gerne. Das ist ganz natürlich, schließlich ist vieles in der Welt für die Kleinen neu und aufregend.

Kinder beginnen mit ihren Fragen, sich die Welt denkend zu erschließen.

Dabei ist die kindliche Welt buchstäblich voller staunenswerter Wunder und rätselhafter Geschehnisse. Was für Erwachsene selbstverständlich ist, bringt Kinder zum philosophischen Staunen.

Und das nicht von ungefähr. In der Philosophie sind es allein die neugierigen Fragen und der offene Wissensdurst, mit denen das Nachdenken über Mensch und Welt begann und den Anfang der Philosophie begründete.

 

Typische philosophische Kinderfragen

  • Warum heißt ein Stein eigentlich „Stein“? Hat er keinen eigenen Namen?

  • Kann der Baum mein Freund sein? 

  • Warum gibt es Zahlen? 

  • Was passiert nach dem Tod? 

  • Wer hat Gott geschaffen? 

  • Warum gibt es so viele Sprachen? 

  • Was sind Gefühle?

  • Hat die Zeit ein Haus? 

  • Können Blumen wie wir Menschen glücklich sein? 

  • Warum gibt es Kriege? 

  • Brauchen wir Geld wirklich und wozu? 

  • Muss man denn etwas werden? Oder kann ich bleiben, wie ich bin?

  • Was bedeutet Anderssein?

  • Woher kommen die Wörter?

 
Philosophie mit Kindern Grundsätze

Der sokratische Grundsatz: 

Unsicherheit & Ratlosigkeit zulassen

Nicht selten reagieren Erwachsene auf Kinderfragen verärgert und ungeduldig.

Wie Sokrates in seinen berühmten Dialogen bewies, lösen schwierige und komplexe Fragen, die unsere Unwissenheit entlarven, häufig Unsicherheit und Ratlosigkeit aus (sokratische Aporie). Sie führen uns direkt vor Augen, was wir alles nicht wissen (können).

Auf die Frage nach der Entstehung von Welt & Mensch mit Evolutionstheorie oder einem abstrakten Gott zu antworten, bringt hier niemanden weiter.

Viel wichtiger ist das Ernst nehmen der Frage und sich dem Kind zuzuwenden. Wenn Kinder solche tiefgründigen Fragen stellen, also philosophieren, dann ist das ein wertvoller Versuch, der Welt Bedeutung & Sinn abzugewinnen.

 

Geschichte des Philosophierens mit Kindern

Antike – Bereits bei den alten griechischen Philosophen hatte Philosophie zusammen mit Gymnastik einen hohen Stellenwert in der Erziehung. Um nur einen berühmten Vertreter zu nennen: Epikur (490-430 v.Chr.) betonte in seinen Schriften, dass Philosophieren eine Art lebenslanges Lernen sei. Niemand sei zu jung oder zu alt für die Philosophie, um seine seelische Gesundheit zu fördern und die geistige Beweglichkeit zu bewahren.

Ab 1920er – Erste Bemühungen einzelner Philosophen in Deutschland, das Philosophieren mit Kindern fruchtbar zu machen. Darunter zum Beispiel Herman Nohl (1922), Arthur Liebert (1927) und Leonard Nelson.

In den 1970ern – Der amerikanische Philosophieprofessor Matthew Lipman (1922-2010) brachte die Förderung des Denkens von Kindern wieder ins Gespräch.  Seine Idee war sehr erfolgreich und fand großen Anklang. Lipmans Bücher wurden in 80 Sprachen übersetzt, in 14 Ländern gibt es (P4C) Zentren.

Seit 1980 – dank dem Philosophen Gareth Matthews ist das Philosophieren mit Kindern erneut ins Interesse der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Der Philosoph stellte Entwicklung einer Gesprächskultur in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten. Matthews philosophierte mit Kindern mit Hilfe eigener Denkgeschichten (z. Bsp. „Können Blumen glücklich sein?“). 

Ab 1979  – in Deutschland ist das Philosophieren mit Kindern eng mit dem Namen Ekkehard Martens verzahnt. Er führte 1979 das erste Seminar zum Philosophieren mit Kindern in Deutschland durch. In seinem gleichnamigen Buch „Philosophieren mit Kindern“ betont er, dass zum Philosophieren eine Haltung der Offenheit und Neugier gehört.

 

Methoden der Philosophie für Kinder

  1. phänomenologische Methode: wahrnehmen und beschreiben

  2. hermeneutische Methode: Gedanken und Symbole verstehen

  3. analytische Methode: Begriffe klären und argumentieren

  4. dialektische Methode: Das sokratisches Gespräch

  5. spekulative Methode: Gedankenexperimente 

Mehr erfahren: Beispiele & Methoden – Philosophieren mit Kindern (Teil 2)

 

Wozu mit Kindern philosophieren?

Es gibt viele Gründe, warum es sinnvoll ist, mit Kindern zu philosophieren. 

 
Philosophieren mit Kindern schult Selbstvertrauen

1) Philosophie schult Selbstvertrauen

Beim Philosophieren mit Kindern gibt es kein Richtig oder Falsch. Vielmehr geht es um Selbständigkeit und kritisches Denken. Indem Kinder lernen, dass sie ihre eigene Verstandeskraft nutzen und ihr vertrauen dürfen, werden sie dazu angeregt, ihre eigenen Meinungen zu bilden, zu begründen und zu hinterfragen. 

2) Philosophieren fördert kritisches Denken

Für Unabhängigkeit und Selbstständigkeit braucht ein Kind sein logisches Denken. Durch Logik lassen sich Aussagen und Sachverhalte analysieren und kritisch überprüfen. Auch hier geht es aber nicht um ein Schwarz-Weiß-Denken im Sinne von, das ist die Wahrheit und das nicht, sondern ein denkendes Sich-Orientieren-Können in der Welt.

3) Philosophisch zu mehr Selbstreflexivität

Beim klassischen Philosophieren ist der Austausch von Gedanken ein grundlegendes Moment. Durch Philosophie verstehen Kinder das eigene Denken besser und lernen die Gedanken und Gefühle anderer Kinder kennen. Diese Empathie und Selbstreflexivität trägt wesentlich dazu bei, im späteren Erwachsenenleben Verständnis für andere Menschen zu haben.

4) Philosophieren befähigt zur Selbsterkenntnis

Kinder kommen beim Philosophieren nicht nur mit fremden Welten in Kontakt, sondern setzen sich auch konstruktiv mit unterschiedlichen Anschauungen auseinander. Es geht nicht nur darum, dem anderen zuzuhören – Es geht darum, in die Perspektive des anderen zu wechseln und seine Wirklichkeit anzuerkennen. So begreifen Kinder schon früh, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, eine Sache sinnvoll zu deuten. Dass es Fragen gibt, auf die es keine eindeutige oder zufriedenstellende Antwort gibt, ist eine weitere wichtige Einsicht.

5) Philosophie fördert die ethische Orientierung

Ethische Fragen haben in der Philosophie einen besonderen Stellenwert. Den ethischen Aspekt von Situationen anzusprechen, gibt Kindern Orientierungshilfe. Das hat allerdings nichts mit Belehrung und Moralpredigten zu tun, sondern mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass sich ethisches Handeln aus zwischenmenschlichen Beziehungen speist. Werte lassen sich bei Kindern also nicht direkt vermitteln. Beim Philosophieren mit Kindern werden die Rahmenbedingungen dafür geschaffen, damit die Kleinen selbst Werte entwickeln, verhandeln, vorleben und erleben können.

6) Philosophieren stärkt die Sprachfähigkeit von Kindern

Philosophieren funktioniert über Sprache. Das bedeutet, es geht nicht nur darum zu verstehen, sondern auch verstanden zu werden. Kinder lernen durch Philosophie, sich klar auszudrücken, die eigenen Gedankengänge verständlich zu formulieren und folgerichtig zu denken. Auch die Fähigkeiten, zu argumentieren und sachlich zu diskutieren, werden dadurch eingeübt. Im Grunde werden Kinder so überhaupt erst dialogfähig – eine soziale Kompetenz, die heute unerlässlich ist. 

7) Philosophie unterstützt Verbundenheit & Teilhabe

In einer demokratischen Gesellschaft, wie Deutschland, sind Gesprächsfähigkeit und Verständnis für andere Sichtweisen von zentraler Bedeutung. Indem Kinder philosophieren, lernen sie genau die Fähigkeiten, die es in einer gerechten und fairen Gesellschaft braucht: eigene Sichtweisen einbringen, Meinungen verständlich machen, konstruktiv mit anderen Perspektiven umgehen und vieles mehr. 

 
Philosophieren für Kinder als Grundlage fürs Leben

Fazit: Philosophieren mit Kindern

Philosophieren mit Kindern ist ein Projekt, das Kinder nicht belehren will, sondern ihnen wichtige Grundlagen fürs Leben vermittelt. Die Philosophie inspiriert, sich persönlich weiterzubilden, Gedanken & Gefühle zu hinterfragen, sich mit anderen Kindern auszutauschen und sich in der Welt leichter zurechtzufinden.


Quellen:

1) Universität Hamburg
2) Barbara Brüning: Philosophieren mit Kindern
3) Martin Textor: Kita-Handbuch
4) Philosophisch-Politische Akademie (PPA) e.V. Bonn 
5) Institute for the Advancement of Philosophy for Children (IAPC)
6) ICPIC The International Council of Philosophical Inquiry with Children
7) Institut für Kinderphilosophie in Österreich

Tamara Niebler

Tamara ist studierte Philosophin (Mag. phil.) & freie Journalistin in München. Sie unterstützt unsere Redaktion mit jeder Menge Fachwissen und kritischen Denkanstößen. Tamaras Motto: „Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen“ (Franz Kafka)

Zurück
Zurück

Letzte Chance für Vlad?

Weiter
Weiter

Leistungsdruck in der Grundschule