Kinderarmut & Scham – Auswirkungen auf das Leben von Kindern

Armut beeinflusst viele Aspekte im Leben von Kindern, angefangen bei ihrem physischen Wohlbefinden bis zu ihrer psychischen Gesundheit. Diese Auswirkungen erschweren die Schulbildung und soziale Interaktion und münden in einen Teufelskreis der Benachteiligung. Hinzukommt das Gefühl der Scham, das sich tief in das Selbstwertgefühl der Kinder einnistet.

Kinderarmut: Scham bei betroffenen Kindern weit verbreitet

Woher die Scham kommt

Viele Kinder sind frühzeitig mit Geldnot in der Familie konfrontiert und spüren die Sorgen ihrer Eltern. Sie bekommen direkt mit, wie beschämend es für ihre Eltern ist, arm zu sein, und lernen auch über gesellschaftliche Stereotype, dass arme Menschen ausgegrenzt werden.

Das Band zwischen Kindern und ihrer Familie ist stark. Daher sind Schuldzuweisungen an die Eltern eher selten. Stattdessen versuchen sie, die familiären Belastungen zu verringern und die Familie zu verteidigen. In den meisten Fällen fühlen sich betroffene Kinder verantwortlich und helfen mit, damit alle gemeinsam über die Runden kommen.

So erklärt sich zum Beispiel, dass manche Kinder keine Bedürfnisse äußern, keine Pläne schmieden oder über die Zukunft nachdenken möchten. Im Elternhaus haben sie gelernt, Enttäuschungen zu vermeiden oder sich mit eigenen Wünschen zurückzunehmen, um niemanden zu belasten.

Vgl. auch Kinderarmut erkennen – subtile Anzeichen sowie Kinderarmut (Definition)

 

Armutsstudien belegen

  • Betroffene Kinder haben schon früh Erfahrung mit Beschämung aufgrund von Armut gemacht.

  • Armutsbetroffene Familien ziehen sich aus Scham sozial zurück oder reagieren ablehnend, wenn sie auf Armut angesprochen werden.

  • In unserer Gesellschaft werden arme Menschen und Kinder auf vielfältige und subtile Weise diskriminiert, oft unbewusst.

Mehr erfahren » Was Armut mit Kindern macht

 

Wann entwickeln Kinder Schamgefühle?

Schamgefühle beginnen sich in der Regel ab einem Alter zwischen 2 und 3 Jahren auszubilden. In dieser Phase machen Kinder bedeutende Fortschritte in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung. Ihnen wird zunehmend bewusst, wie sie von anderen wahrgenommen werden, und sie beginnen, Verhaltensnormen und soziale Erwartungen zu erkennen.

Wenn Kinder die Fähigkeit zur Selbstreflexion entwickeln, können sie Scham empfinden, sobald sie das Gefühl haben, nicht den Erwartungen oder Normen ihrer Umgebung zu entsprechen. Diese Gefühle werden durch verschiedene Situationen ausgelöst, wie zum Beispiel durch das Scheitern an einer Aufgabe oder durch (indirekte und direkte) soziale Ausgrenzung.

 

Soziale Beschämung als bewährtes Mittel

Beschämung ist eine soziale Waffe der jeweils Mächtigeren
— Armutskonferenz 2019 (1)

Beschämung lenkt den Fokus auf Einzelpersonen und erklärt Armut zu ihrem persönlichen Versagen. Dadurch wird die eigentliche strukturelle Ursache in unserer Gesellschaft verdeckt. Denn, wenn die Schuld bei den Betroffenen gesucht wird, dient dies als Rechtfertigung dafür, dass Armut überhaupt existiert. Vgl. Was ist Armut?

Beschämung ist dazu gedacht, die Betroffenen zu erniedrigen und kleinzuhalten. – Tatsächlich gibt es zahlreiche Orte, an denen Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status strukturell und menschlich beschämt werden, zum Beispiel

  • am Arbeitsplatz

  • in medizinischen Einrichtungen

  • bei Behörden

  • in den Medien

Diese Art der Herabsetzung wird auch als Klassismus bezeichnet. Personen, die oft herabgesetzt werden, reagieren gestresst und werden viel häufiger krank. Viele Betroffene ziehen sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück, während andere mit Wut und Frust kämpfen (2). Mehr erfahren: Klassismus in Deutschland

 

Wie Schamgefühle Kinder prägen

Kinder, die in Armut aufwachsen müssen, fühlen eine chronische Scham über ihre Lebensumstände und die daraus resultierende subtile Stigmatisierung. Das führt langfristig zur sozialen Ausgrenzung: Viele betroffene Kinder berichten, dass sie sich alleine fühlen und Angst haben, von anderen verurteilt zu werden.

Aus der Kinder- und Jugendpsychologie wissen wir, dass Kinder, die sich schon in so jungen Jahren einsam und ausgegrenzt fühlen, nur schwer ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln, resilient werden und soziale Kompetenzen aufbauen können.

Die soziale Isolation schmälert das Selbstvertrauen eines Kindes erheblich. Soziale Unsicherheit ist da nur eine natürliche Folge und kann sogar dazu führen, dass keine gesunden Beziehungen aufgebaut werden. Ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung und Gesundheit eines jeden Kindes.

Mehr erfahren: Soziale Armut – über soziale Ungleichheit & Ausgrenzung

 

Was Scham mit Kindern macht

 

Auswirkungen der Armut auf das Leben von Kindern

Das Gefühl der Scham, das arme Kinder täglich begleitet, wirkt sich weitreichend auf ihr Leben aus. Es ist daher entscheidend, die Auswirkungen der Armut auf das Leben von Kindern genauer zu betrachten. Denn sie alle erzeugen und verfestigen toxische Schamgefühle.

Vgl. auch Folgen von Armut und die Folgen von Kinderarmut

 

1) Materielle Armut

Armut zeigt sich oft in den Lebensbedingungen, wie Wohnraum, Ernährung und Kleidung. So kann man Kinderarmut u. a. an schlechten Wohnverhältnissen erkennen: zu laute Umgebung, Feuchtigkeit / Schimmel, wenig Tageslicht oder eine Überbelegung, bei der zu viele Menschen auf zu wenig Platz leben.

Armut wirkt sich auch auf die Ernährung aus. Wenn Familien von Armut betroffen sind, können sie sich oft nicht genug oder nur minderwertige Lebensmittel leisten. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden.

Ähnlich verhält es sich bei der Kleidung: Der Kauf neuer, passender und wettergerechter Kleidung ist für viele aufgrund finanzieller Engpässe kaum möglich.

Auch das Heizen oder Warmwasser können Herausforderungen darstellen. Manche Kinder, die von Armut betroffen sind, können nur kalt duschen oder müssen zu Hause im Herbst und Winter frieren.

 

2) Soziale Armut

Die Einbindung eines Kindes in sein soziales Umfeld und die Entwicklung sozialer Kompetenzen und Kontakte sind extrem wichtig. Doch Kinder und Jugendliche, die unter Armut leiden, sind häufiger von Mobbing und Gewalt betroffen. Armut schließt sie oft von sozialen Aktivitäten aus.

Wenn niemand zum Geburtstag kommt oder sie nicht an einem Ausflug teilnehmen können, entsteht ein dauerhaftes Gefühl des Nicht-Dazugehörens. Auch die Gebühr für den Fußballverein oder den Eintritt ins Schwimmbad können sich betroffene Familien kaum leisten.

 

3) Gesundheitliche Armut

Armutsgefährdete Kinder sind häufiger krank oder weniger leistungsfähig. Auffällig ist auch ein höheres Verletzungsrisiko. Selbst die Teilnahme an frühkindlichen Förderprogrammen (vgl. frühkindliche Entwicklung) wie Babyschwimmen, Spielgruppen oder Eltern-Kind-Turnen hängt stark vom sozioökonomischen Hintergrund der Eltern ab.

 

4) Kulturelle Armut

Dazu gehört unter anderem die kognitive Entwicklung, insbesondere der Zugang zu Bildung und Sprache sowie der Erwerb kultureller Kompetenzen. In Deutschland wird Bildung im Vergleich zu anderen Industrieländern überdurchschnittlich stark vererbt.

Vgl. Bildungsarmut sowie Bildungsungleichheit

Das bedeutet, dass Kinder selten und mit enormer Anstrengung einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern erreichen können: Sozialer Aufstieg durch Bildung & die Opfer des Erfolgs – das ist allerdings nur einer von vielen Hinweisen auf strukturelle Benachteiligung.

Kinder, die von Armut betroffen sind, nehmen auch seltener an Spielgruppenangeboten teil. Vielen stehen weniger Bücher oder lernfördernde Spielsachen zur Verfügung.

» Mehr erfahren: Kinderarmut: Bildung bietet keinen Schutz

 

Kinderarmut hat gravierende Auswirkungen auf das spätere Leben

Kinderarmut ist ein weitreichendes gesellschaftliches Problem. Neben den physischen und psychischen Auswirkungen beeinflusst Armut auch die Bildungschancen und soziale Integration der Kinder. Das Gefühl der Scham, das häufig mit Armut einhergeht, prägt das Selbstwertgefühl und Solidaritätsempfinden der nächsten Generationen nachhaltig. Und das nicht erst seit heute, sondern bereits seit vielen Jahrzehnten.

Wen wundert es da noch, wenn diese Kinder keine Träume und Hoffnungen entwickeln?

Während die öffentliche Debatte stets das Ideal der Chancengleichheit beschwört, sieht die Realität für viele anders aus. Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben oft nicht dieselben Möglichkeiten wie ihre wohlhabenderen Altersgenossen. Studien belegen, dass die Chancen auf einen erfolgreichen Bildungsweg in Deutschland wesentlich vom sozioökonomischen Status der Eltern abhängen.

Die Gründe sind vielfältig:

  • weniger Ressourcen für Nachhilfe

  • schlechterer Ernährung

  • eingeschränkte kulturelle Teilhabe

  • belastendes Familienumfeld, das nicht die nötige Unterstützung bieten kann

Das alles und noch viel mehr mündet in einen Teufelskreis: Geringere Bildungschancen resultieren in schlechter bezahlten Berufen oder gar Arbeitslosigkeit, was wiederum die soziale und wirtschaftliche Teilhabe der betroffenen Personen und ihrer Kinder einschränkt. Vgl. Teufelskreis der Armut

 

Fazit: Kinderarmut & Scham

Scham über die eigene finanzielle Situation spüren bereits die Kleinsten. Wer ständig subtil diskriminiert wird, tut sich schwer, ein gesundes Selbstwertgefühl oder die Vorstellung zu entwickeln, das Leben aktiv gestalten zu können.

Ökonomische Konzepte und empirische Forschung zeigen, dass frühkindliche Förderung und Investitionen in Bildungssysteme die sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede langfristig verringern. In Ländern, die gezielt in Bildung und soziale Unterstützung benachteiligter Kinder investieren, gibt es nicht nur mehr Chancengleichheit, sondern auch eine höhere Produktivität und einen stärkeren sozialen Zusammenhalt.


Quellen:
1) Die Armutskonferenz 2019, 4–7
2) Seeck/Theißl, 2020: Klassismus
3) Deutsches Kinderhilfswerk: Kinderrechte und Kinderarmut. Warum Kinderarmut krank macht

Tamara Niebler

Tamara ist studierte Philosophin (Mag. phil.) & freie Journalistin in München. Sie unterstützt unsere Redaktion mit jeder Menge Fachwissen und kritischen Denkanstößen. Tamaras Motto: „Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen“ (Franz Kafka)

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