Bildungsungleichheit
Wenn die Herkunft über die Zukunft entscheidet
In Deutschland hängt der schulische Erfolg von Kindern stärker von der sozialen Herkunft ab als in vielen anderen Ländern. Wie sieht Bildungsarmut bei uns? Mit welchen Problemen haben Kinder aus bildungsfernen Familien zu kämpfen?
Was bedeutet Bildungsungleichheit?
Definition Bildungsungleichheit
Bildungsungleich bedeutet, dass nicht allen Menschen (innerhalb eines Landes) der Zugang zu Bildung gleichermaßen möglich ist. Vielmehr ist der Zugang erschwert oder unmöglich. Die betroffenen Menschen können keinen zufrieden stellenden Bildungserfolg erreichen.
Zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg besteht ein klarer Zusammenhang. Bildungsungleichheit ist somit eine Form von sozialer Ungleichheit.
Menschen, die bestimmte Herkunftsmerkmale aufweisen, haben unweigerlich einen höheren bzw. geringeren Erfolg im Bildungssystem (1). » Mehr erfahren: Kinderarmut: Bildung bietet keinen Schutz
Merkmale von Bildungserfolg
Bildungserfolg wird in Deutschland anhand von erreichter Bildung und erlangten Bildungszertifikaten definiert.
Er kann anhand verschiedener weiterer Merkmale genauer beschrieben und gemessen werden:
Teilhabe: Möglichkeit der Weiterbildung. Hierzu gehören der Zugang zur Uni und diversen Studienangeboten, aber auch Möglichkeiten der Erwachsenenbildung.
Leistungen: Kompetenzen, die Lernende in einem bestimmten Bildungsbereich erreichen.
Leistungsbewertung: Schulnoten sind spätestens ab dem Übergang in weiterführende Schulen wichtigste Leistungsbewertung von Schüler*innen.
Zertifizierung: Die Schule wird mit einem Zertifikat abgeschlossen. Dazu zählen beispielsweise der Hauptschulabschluss, die Mittlere Reife und das Abitur. Das individuelle Zertifikat entscheidet über die weitere Laufbahn. Je nach Wert des Abschlusszertifikats hat das Kind unterschiedliche weiterführende Bildungsangebote.
Die Rolle der sozialen Herkunft bei Bildungsungleichheit
Die soziale Herkunft von Kindern spielt in Deutschland immer noch eine bedeutende Rolle. Der PISA-Bericht „21st-century readers“ der OECD zeigt hierzulande eine klare Bildungsungleichheit auf.
Deutschland schneidet zudem im Ländervergleich schlechter ab als der Durchschnitt 2).
Damit befindet sich Deutschland im internationalen Vergleich auf einer Stufe mit den USA. Beide befinden sich am unteren Ende der Skala für Chancengleichheit.
Zum Vergleich: Beispielsweise in Dänemark gehen maximal 20 Prozent der Ungleichheit auf den Einfluss familiärer Hintergründe zurück.
Der Bildungserfolg von deutschen Kindern hingegen hängt zu 50 Prozent vom sozioökonomischen Status des Elternhauses ab 3).
Merkmale der sozialen Herkunft
Die soziale Herkunft beschreibt das familiäre Umfeld einer Person. Sie kann in verschiedenen Dimensionen beschrieben und gemessen werden.
Wirtschaftliches Kapital. Dazu zählen das Einkommen der Eltern, aber auch die Position in der gesellschaftlichen Hierarchie.
Kulturelles Kapital. Kulturelles Kapital sind die Werte und Einstellungen der Eltern. Dazu zählen Bücher, Musikunterricht, aber auch Schul- und Ausbildungsabschlüsse
Soziales Kapital. Hierunter versteht man ein stabiles Netzwerk sozialer Beziehungen. Soziales Kapital und die damit verbundene Unterstützung kann beim Erreichen von Bildungszielen eine wichtige Rolle spielen.
Wie entsteht Bildungsungleichheit?
Soziale Ungleichheit beginnt früh. Erste Weichen werden im Kindergarten gestellt. Spätestens mit der Wahl der weiterführenden Schule beginnt der Druck auf die Schüler*innen.
In der Grundschule wird gnadenlos ausgesiebt
Ab Mitte der dritten Klasse beginnt der Wettbewerb. Wer schafft den Übertritt, bei wem reicht es für den Sprung auf das Gymnasium?
Kinder aus höheren Schichten werden fünfmal so oft fürs Gymnasium empfohlen wie Kinder aus sozial schwächeren Familien. Auch bei gleichen schulischen Leistungen.
Kinder aus unteren sozialen Schichten werden somit stigmatisiert. Ihnen wird wenig zugetraut. Dieser Mangel an Vertrauen von außen wird zum Mangel an Vertrauen von innen.
Besser gestellte Eltern können ihre Kinder mehr unterstützen
Der Hochschulbildungsreport 2020 zeigt, dass nur 27 Prozent der Grundschüler*innen aus einem Nichtakademikerhaushalt studieren. Bei Akademikerkindern sind es 79 Prozent.
Ob mithilfe von Nachhilfelehrern oder mit abfragen und helfen bei den Hausaufgaben: Akademikereltern können ihren Kindern eine ganz andere Art von Unterstützung ermöglichen.
Die finanzielle Situation zuhause
Alle Eltern müssen bei der Bildungsgangwahl ihres Kindes unterschiedliche Kosten-Nutzen-Abwägungen treffen. Die eigene soziale Schicht spielt dabei eine wichtige Rolle. Wer mehr Geld zur Verfügung hat, will und kann seinem Kind die bestmögliche Ausbildung ermöglichen.
Eltern aus wirtschaftlich schwachen Familien betonen oft die Wichtigkeit, schnell die Berufstätigkeit zu beginnen. Das Kind soll so schnell wie möglich auf eigenen Füßen zu stehen.
Der Mangel an Förderung in der Schule
Der Mangel an Schulzeit ist ein weiterer Grund für Bildungsungleichheit 4).
In der Schule werden Themen nur angerissen. Zuhause sollten die Themen vertieft werden.
Kinder aus höhergestellten Familien erhalten zuhause eine solide Förderung. Die Eltern unterstützen Bücher, Bildung und Kultur.
Ob Theater oder Museumsbesuch: Der Horizont der Kinder wird von klein auf geweitet. Sie kommen in Kontakt mit Malerei und Musik. Von klein auf erlangen sie ein breitgefächertes Allgemeinwissen.
Wie zeigt sich Bildungsungleichheit in Schule und Ausbildung?
Bildung bedeutet Einkommen
Eine bessere Bildung ist mit einem höheren Einkommen klar verknüpft. Das wiederum bedeutet eine bessere soziale Teilhabe. Dieser Druck kann Unsicherheit verstärken.
Viele Kinder aus sozial schwächeren Familien erleben einen ständigen Kampf um das Geld. Für sie bedeutet Bildung besonders eins: Den Weg aus dem Teufelskreis der Armut.
Aber der Weg ist steinig: Beispielsweise finden sich betroffene Kinder in der Ausbildung oft kaum zurecht.
Wie sehr sie sich bemühen müssen und wie viele Grenzen sie erleben, ist vielen Menschen nicht bewusst. Bildungsungleichheit wird in Deutschland immer noch als wenig präsent eingeschätzt.
Selbstzweifel
Bildungsungleichheit geht meist mit einem geringen Selbstbewusstsein einher. Kinder aus sozial schwachen Familien trauen sich Leistungen nicht zu, die Kinder aus bildungsnahen Familien von klein auf lernen.
Sie sind zerrissen zwischen elterlichen Werten und der Suche nach ihrer eigenen Identität. Es ist für sie nicht einfach, die oft gegensätzlichen Lebenswelten zusammen zu bringen.
Den meisten fällt es nicht leicht, sich überhaupt ein Universitätsstudium zuzutrauen.
Die Bildungsungleichheit bleibt sichtbar
Viele Kinder aus bildungsfernen Familien schaffen es letztlich, sich an der Uni zurechtzufinden. Auch wenn es vielleicht anfangs mehr Einsatz und Mühen bedeutet: Sie schaffen es, dem Stoff zu folgen.
Lerntechnisch sind sie Kindern aus Akademikerkindern durchaus ebenbürtig. Klar erkennbar ist die Herkunft aber dennoch.
In ihrer Kindheit gab es keinen Musikunterricht. In ihrem Wohnzimmer standen keine Bücherwände.
Die Eltern brachten ihnen Kunst und Kultur nicht nahe. Es gab kein Geld für Urlaube im Ausland verbunden mit Einblicken in fremde Kulturen. Vielleicht wurde im Elternhaus nur Dialekt gesprochen.
Sie wissen, die Kommilitonen sehen den Unterschied. Es sind Dinge, die für andere selbstverständlich sind. Sie hingegen können nicht mitreden.
Sie bekommen zuhause keine oder wenig Unterstützung
Kinder aus bildungsfernen Haushalten müssen mehr kämpfen. Auch während der Ausbildung. Den Eltern ist es nicht möglich, finanziell zu helfen. Sie sind beispielsweise gezwungen, Bafög zu beantragen.
Das bedeutet, mit hohen Schulden in das Berufsleben zu starten. Sie müssen einen studiumbegleitenden Job nach Höhe des Einkommens auswählen, statt nach persönlichem Wunsch.
Nicht-Akademiker-Kinder, die ein Studium beginnen, sind oft ähnlich erfolgreich wie Akademiker-Kinder. Sichtbar werden die Ungleichheiten aber auch hier:
Sie haben andere oder mehr Studentenjobs
Sie können seltener ein Auslandssemester antreten
Sie können nicht einfach für ein unbezahltes Praktikum für ein halbes Jahr in eine andere Stadt ziehen
Das Gefühl, anders zu sein
Wenn die Eltern Nicht-Akademiker sind, ist das Unileben für sie eine fremde Welt. Kinder aus bildungsfernen Familien tun sich besonders anfangs in der Uni schwer.
Gleichzeitig gehören sie aber zuhause auch nicht mehr dazu.
In vielen Fällen haben die Eltern kein Verständnis für oder Interesse an der Ausbildung des Kindes. Nicht selten kämpfen die Kinder nicht nur gegen die Schwierigkeiten in Uni und Ausbildung, sondern auch gegen die eigenen Eltern.
Vgl. auch Bildungsexpansion – mehr Bildung ist nicht die Lösung
Evtl. auch interessant für dich: Kinder in Armut – Was Armut mit Kindern macht und wie sie prägt
Ausblick
Bildungsungleichheit in Deutschland erfährt immer noch zu wenig Aufmerksamkeit. Es gibt Vorbehalte und Vorurteile gegenüber Kindern aus bildungsfernen Familien.
Seit der Corona-Pandemie hat sich diese Ungleichheit weiter verstärkt und verfestigt. Während des Homeschoolings waren sozial und wirtschaftlich schwache Kinder die Verlierer.
Sie hatten kein eigenes Zimmer zum Lernen. Sie hatten weder Computer noch Laptop zuhause. Viele von ihnen hatten nicht einmal Internetzugang! Ihre Eltern können ihnen in der Schule nicht helfen.
Der Ausstieg aus dem Teufelskreis der Armut erscheint schwerer denn je.
Vgl. auch: Soziale Armut – über Soziale Ungleichheit & Ausgrenzung
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1) Bundeszentrale für politische Bildung: Was sind soziale Bildungsungleichheiten?
2) oecd.org: Lesen im 21. Jahrhundert
3) Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V.: Familiärer Hintergrund hat großen Einfluss auf Zukunftschancen.
4) Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung - Heike Solga: Wie das deutsche Bildungssystem Ungleichheit verursacht.