Emotionaler Stress bei Kindern
Wenn die Seele nicht zur Ruhe kommt
Nicht nur Erwachsene leiden unter zu viel Stress. Auch Kinder sind zunehmend betroffen.
Emotionaler Stress – Generelle Definition
Was ist Stress?
Stress ist eine erhöhte körperliche und seelische Anspannung und Belastung. Es ist die Reaktion auf eine als nicht bewältigbar wahrgenommene Situation.
Im Grunde ist Stress also eine Fluchtreaktion des Körpers. Es ist die Antwort auf eine Überforderung der betroffenen Person.
Gleichzeitig ist Stress ein unpräzises und fast abstraktes Wort. Schließlich ist Stress Teil unseres Lebens.
Das Ende einer Beziehung kann Stress bedeuten, der Verlust des Arbeitsplatzes, der Tod eines geliebten Menschen. Wir alle müssen immer wieder mit Stress umgehen.
Stress per se ist deshalb auch keine Krankheit. Anhaltender, chronischer Stress kann aber durchaus zu Krankheiten führen. Er kann psychische und physische Leiden fördern.
Bei Erwachsenen ist Stress unter anderem verantwortlich für einen erhöhten Blutdruck, hohen Blutzuckerspiegel und überhöhte Reaktionen.
Stress führt zu generellen Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung 1).
Nicht jeder Stress ist ungesund
Stress per se ist nicht ungesund. Sofern sich Anspannung und Entspannung abwechseln, können wir mit Stress umgehen. In bestimmten Situationen kann Stress sogar eine positive Wirkung haben. Deshalb wird zwischen positivem und negativem Stress unterschieden.
Positiver Stress bzw. Eustress
Nicht jeder Stress ist automatisch schlecht. Beispiele für positiven Stress sind eine bestandene Prüfung oder der Wunschjob am Ende der Anstrengung.
Dieser kurzzeitige Stress gibt Antrieb, regt an und wirkt leistungssteigernd: Man arbeitet auf ein Ziel hin und empfindet es als eine gern angenommene Herausforderung.
Der Stress ist positiv, weil wir uns der Aufgabe gewachsen fühlen.
Negativer Stress bzw. Distress
Negativer Stress ist, sofern er über einen längeren Zeitraum hinweg besteht, ungesund. Er versetzt den Körper in ständige Alarmbereitschaft.
Wir können uns (irgendwann) an die Belastungen nicht mehr anpassen. Unsere individuellen Bewältigungsstrategien greifen nicht mehr.
Der Stress ist negativ, weil wir uns der Situation nicht gewachsen fühlen.
Emotionaler Stress bei Kindern – Definition
Die vier Bereiche kindlicher Stressfaktoren
Der kanadische Professor für Philosophie und Psychologie Stuart Shanker unterteilt kindliche Stressfaktoren in vier verschiedene Bereiche.
Das Schöne an diesem Modell ist, dass Shanker auch das teilweise tägliche Wechseln in Laune und körperlicher und geistiger Verfassung des Kindes mit einbezieht.
Die Bereiche können sich natürlich überschneiden. Kinder gehen, je nach Tagesform, außerdem in unterschiedlichen Situationen auf verschiedene Art mit den vier Bereichen um.
1. Biologischer Bereich:
Dazu gehören die genetische Disposition, die Ernährung an dem Tag (mit zu viel Süßem, zu wenig Trinken, etc.), Schlafmangel, Bewegungsmangel, Krankheit, Hitze, Kälte
2. Emotionaler Bereich:
Dazu zählt das angeborene Temperament, aber auch neue, verwirrende, positive oder negative Gefühle
3. Kognitiver Bereich:
Kein Muster bzw. keine ausreichenden Informationen sind erkennbar, Überforderung bei zu langer Konzentrationsdauer
4. Sozialer Bereich:
Verwirrende oder sozial überfordernde Situation, Aggression, Kollision zwischen eigenen Werten und denen anderer, Schuldgefühle, zwischenmenschliche Konflikte 2).
Emotionaler Stress bei Kindern – Symptome
Emotionaler Stress bei jüngeren Kindern
Bei Babys
Kinder sind bereits im Mutterleib anfällig für emotionale Schwingungen in ihrem Umfeld. Sie nehmen Anspannungen ihrer Bezugspersonen genau wahr. Sie reagieren auf Stress und Unruhe. Gestresste Babys sind unruhig, schreien, quengeln, fremdeln extrem. Starke Belastungen hinterlassen in ihrem kindlichen Gehirn Spuren. Sie können später im Leben zu psychischen Problemen führen.
Bei Kleinkindern
Kleinkinder reagieren auf Stress körperlich. Das Kind leidet eventuell unter
Bauchweh oder Schlafstörungen
Kopfschmerzen
Gereiztheit
Während Mädchen sich eher zurückziehen, reagieren Jungen mehr zu Aggressivität.
Emotionaler Stress bei älteren Kindern
Mit zunehmendem Alter reagieren Kinder eher psychisch als körperlich auf Stress. Ältere Kinder und Jugendliche leiden eher an Angststörungen oder an Depressionen.
Stress macht sich bei ihnen immer mehr wie bei Erwachsenen bemerkbar.
Das Stress im Kindesalter bei Weitem nicht selten ist, belegen die Statistiken: Ca. 18 Prozent der Kinder und 19 Prozent der Jugendlichen leiden unter einem hohen Stress.
Die häufigsten Symptome sind:
Oft auftretende Schlafstörungen und Einschlafschwierigkeiten
Müdigkeit und Lustlosigkeit
Aggressives Verhalten
Schlechte Laune
Konzentrationsschwierigkeiten (vgl. Konzentration für Kinder)
Länger anhaltende, allgemeine Nervosität
Depressive Stimmung und Traurigkeit
Herzrasen
Stressbedingtes Fieber 3)
Emotionaler Stress bei Kindern – Ursachen
Leistungs-, Zeit- und Erwartungsdruck
Druck ist der häufigste Grund für Stress bei Kindern. Wenn Kinder beispielsweise zu viele Termine haben, entsteht Stress.
Zu hohe Erwartungen der Eltern können ebenfalls emotionalen Stress bei Kindern verursachen. Das Kind möchte den Eltern gefallen. Es möchte ihnen alles Recht machen.
Wenn die Erwartungen der Eltern überzogen sind, das Kind die Ziele nicht erreichen kann, entsteht emotionaler Stress. Das Kind hat jeden Tag verplant. Zeit zum Träumen, Spielen und Entspannen bleibt kaum.
Streit mit Freunden und Mobbing
Neben Eltern und Familie sind Freunde wichtige Bezugspersonen. Wenn das Kind sich ausgeschlossen fühlt oder gar gemobbt wird, hat es einen sehr negativen Einfluss auf die kindliche Psyche.
Manche Kinder sind schüchterner und können sich weniger durchsetzen. Sie werden schneller zum Ziel von Mobbing als selbstbewusstere und “coole” Kinder.
Andere Kinder werden geärgert, weil sie keine “klischeehaften” Jungs oder Mädchen sind.
Soziale Medien
Viele Kinder haben schon im Grundschulalter ein Handy. Spätestens ab der fünften Klasse organisieren sich die Kinder in Klassenchats. Hier werden Links aus sozialen Medien geteilt.
Gerade Mädchen vergleichen sich gerne mit den mit Photoshop perfektionierten Fotos von Influencern und Prominenten.
Soziale Medien üben einen immer stärkeren Druck auf Kinder aus.
Familiäre und finanzielle Probleme
In vielen Familien ist Streit leider an der Tagesordnung. Es mangelt an Geld, Verständnis und Kommunikation.
Kinder sind dem hilflos ausgeliefert. Sie können den Diskussionen nicht entgehen. Sie ergreifen Partei für die Elternteile - oder werden dazu angehalten, parteiisch zu sein.
Wenn das Geld zuhause knapp ist, spüren Kinder sehr schnell, dass sie nicht dazugehören. Sie fühlen sich oft ausgegrenzt und wenig akzeptiert.
Für das Kind eine schier unermessliche Stresssituation 4) 5).
Zu früh und zu lang in Krippe und Kleinkindbetreuung
Manche Mütter wollen, viele Mütter müssen es: Gleich nach der Geburt zurück zur Arbeit. Im Extremfall werden Kinder im Alter von wenigen Monaten bereits in die Kinderkrippe gegeben. Mit tragischen Folgen für das Kind.
Krippenkinder haben in den ersten Betreuungswochen um 75 bis 100 Prozent höhere Cortisolwerte als zuhause. Besonders Kinder, die jünger als 25 Lebensmonate sind, können diesen Stress kaum verarbeiten.
Trotz liebevoller Betreuung: Die Größe der Gruppe, der hohe Geräuschpegel, die Länge der täglichen Betreuung, haben einen negativen Einfluss auf die frühkindliche Entwicklung (6). Vgl. 5 Entwicklungsbereiche von Kindern (Überblick)
In Folge eines Traumas
Extreme Stresssituationen können Menschen ein Leben lang beeinflussen und erschüttern. Sie können zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen, die unbehandelt unter Umständen jahrzehntelang weitergetragen wird.
Traumatische Ereignisse können das kindliche Gehirn verändern. Schwere Traumata verändern sogar das Erbgut 7).
Traumata werden außerdem von Generation zu Generation weitergegeben.
Eltern, die selbst mit einem Trauma aufwachsen, können ihre eigenen tiefsitzenden Ängste unter Umständen unbewusst an die Kinder weitergeben.
Evtl. auch interessant für dich: Kinder in Armut – Was Armut mit Kindern macht und wie sie prägt
Emotionaler Stress bei Kindern – Hilfe
Das Kind beobachten
Wenn Kinder emotional überfordert sind, stehen sie unter Stress. Jeder Versuch für eine Lösung kann dann unmöglich werden.
Der erste Schritt ist, zu verstehen, warum das Kind gestresst ist. Es ist wichtig, zu beobachten, in welchen Situationen es überhöht reagiert.
Vielleicht gibt es Muster. Vielleicht ist es ein bestimmter Wochentag, eine Tageszeit, eine bestimmte Mahlzeit.
Beim Blick auf das große Ganze wird schnell klar, welche Stresssituationen vielleicht gedämpft oder gänzlich eliminiert werden können.
Verständnis für das Kind haben
Kinder, die vernachlässigt, missbraucht oder misshandelt wurden, haben als Erwachsene ein hohes Risiko, an psychischen Krankheiten zu leiden.
Aber auch Kinder, die „leichtere“ Stresserfahrungen gemacht haben, sind gefährdet.
Es ist wichtig, dass sich Eltern bewusst werden, dass ihr Verhalten, ihre Erfahrungen, Auswirkungen auf ihr Kind haben. Unbewusst wird der selbst erlernte und „ererbte“ Stress an das Kind weitergegeben.
Selbst ein gutes Beispiel sein
Eltern sind die wichtigsten Bezugspersonen für ihr Kind. Deshalb tragen sie eine große Verantwortung. Und sie sollten Vorbild sein.
Dazu gehört, selbst auch mal Pause machen. Wer täglich als Workaholic durch den Tag hastet, kann dem Kind schlecht beibringen, wie man Ruhepausen macht. Deshalb ist die Selbstreflektion der Eltern wichtig.
Zuhören und loben
Lob und Bestätigung sind für Kinder wichtig. Damit ist nicht gemeint, dem Kind täglich einzutrichtern, dass es besser ist als alle anderen. Aber das Kind zu schätzen und zu respektieren, ihm vorurteilsfrei zuhören, das hält die Kinderseele gesund.
Ein Kind, das tief drin weiß, dass es gut genug ist und es für seiner selbst und nicht für Leistungen und bestimmtes Verhalten gelobt wird, entwickelt ein stabiles Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Vgl. auch: Selbstbewusstsein bei Kindern stärken – 10 Übungen & Tipps
Pausen ermöglichen
Nicht jeder Tag muss verplant sein. Es muss nicht Klavier, Tennis, Geige, Handball und Sprachunterricht sein. Ein, besser noch zwei Tage pro Woche sollten nicht durchstrukturiert sein und Raum für spontane Unternehmungen erlauben.
Eventuelle Traumata aufarbeiten
Wenn die Eltern an ihre Grenzen stoßen, kann ein Kinder- und Jugendlichen- Psychotherapeut helfen.
Entspannen und spielen
Auch wenn dieser Punkt als letztes kommt, ist er so simpel wie wichtig. Gemeinsame Spielzeiten, zusammen auf dem Sofa ein Buch lesen, miteinander ein leckeres Essen kochen oder basteln, das ist für ein Kind unentbehrlich.
Eltern und Kind können einfach mal alle technischen Geräte zur Seite legen und miteinander ungestört Zeit verbringen. Wichtig ist: Das Kind sollte auch hier zu nichts gezwungen werden.
Erlaubt ist, was allen Spaß macht.
Ausblick:
Emotionaler Stress zeigt sich bei Kindern anders. Es ist wichtig, eventuelle Stress-Symptome ernst zu nehmen. Stress wächst sich oft nicht aus. Das Kind kann selbst als erwachsene Person weiter leiden.
Deshalb: So gesund wie momentane Anspannung sein kann, so wichtig ist es für das Kind, auch die Entspannung zu lernen.
Und was spricht dagegen, einfach mal unbeschwert zusammen Spaß zu haben?
Unsere Kinderhilfe leistet hier einen wichtigen Beitrag: Wir ermöglichen wirtschaftlich und sozial schwachen Kindern ein Stück Unbeschwertheit.
Unsere Projekte gegen Kinderarmut in Deutschland sind weit mehr als “nur” ein gesundes Essen: Sie sind ein sicherer Raum.
Die Kids können hier miteinander spielen und lachen. Sie können aber auch einfach die Seele baumeln lassen.
Übungen findest du hier: Konzentrationsübungen für Kinder (Aufmerksamkeit trainieren).
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1) Pschyrembel online
2) Märkische Allgemeine: So können Kinder Stress verarbeiten
3) Kinderinfo.de: Stress bei Kindern: Symptome, Ursachen und Hilfe
4) familie.de: Stress bei Kindern: So könnt ihr ihnen helfen
5) Kaufmännische Krankenkasse: Endstation Depression: Wenn Schülern alles zu viel wird
6) Gute erste Kinderjahre: Ergebnisse von Studien zum Stresshormon Cortisol und Erkenntnisse der Neurobiologie
7) MEDICA-Portal: Trauma hinterlässt Spuren im Erbgut
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