Wohlstandsverwahrlosung bei Kindern - Symptome & Folgen
Verwöhnt und doch arm dran
An Geld mangelt es betroffenen Kindern nicht. Dafür an allem anderen, insbesondere an Liebe, Sicherheit und Zuneigung.
Wohlstandsverwahrlosung hat schwerwiegende Folgen
Wohlstandsverwahrlost bedeutet, diese Kids haben so gut wie alles, was sich ein Kind wünschen kann: angesagtes Spielzeug, wertige Markenklamotten, tolle Ausflüge, regelmäßige Urlaubsreisen, Smartphone und private Nachhilfe.
Doch gerade Kinder aus wohlhabendem Elternhaus können sehr arm sein. Nämlich dann, wenn die kindliche Seele mit all ihren Bedürfnissen auf der Strecke bleibt.
Wohlstandsverwahrloste Kinder haben einen ungestillten Durst nach Zuneigung und Geborgenheit. Sie sind in materieller Hinsicht überversorgt, aber emotional unterversorgt.
Was vielleicht harmlos klingt, hat für die betroffenen Kinder schwerwiegende Folgen für ihre Kindheit und ihr Leben als Erwachsener.
Was ist Wohlstandsverwahrlosung?
Wohlstandsverwahrlosung ist die seelische, emotionale Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen. Manchmal ist auch von Verwöhn-Verwahrlosung die Rede.
Der Begriff wurde in den 1990er Jahren bekannt, durch das Buch „Die armen Kinder der Reichen“ (1997) von der Psychologin Ulrike Zöllner.
Das materielle Wohl der Kinder ist gesichert:
sie ernähren sich gesund und ausreichend,
können an vielen Freizeit- und Förderangeboten teilnehmen,
erhalten die meisten Bildungsmöglichkeiten
und kennen keine existenziellen Nöte (der Eltern).
Dafür fehlt es aber am Allerwichtigsten: der liebevollen Zuwendung der Eltern, sowie Aufmerksamkeit und Geborgenheit, die jedes Kind so dringend braucht. Kinder, die unter dieser speziellen Art der Verwahrlosung leiden, bekommen Luxus anstatt Liebe kredenzt.
Für Außenstehende wirkt alles normal: die Familie scheint glücklich und keine Sorgen zu haben, aber in Wirklichkeit sieht es anders aus. Oft herrscht bitterer Streit in der Familie, in den meisten Fällen zwischen Mutter und Vater. Ein weiterer häufiger Grund ist die fehlende Zeit für die Kinder, was dann durch materielle Zuwendung kompensiert werden soll.
Das kann natürlich nicht funktionieren.
Die emotionalen Bedürfnisse von Kindern lassen sich nicht mit Materiellem füllen.
Wie kommt es zu Wohlstandsverwahrlosung?
Es gibt so einige Situationen, in denen Eltern dazu neigen, das Kind mit materiellen Gütern zu verwöhnen. In vielen Fällen aus Unwissenheit oder weil die Erwachsenen so mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt sind, dass sie ihre Kinder übersehen:
Eltern, die bei Trennung in einen Wettstreit treten und sich gegenseitig ausspielen wollen.
Berufstätige und vielbeschäftigte Eltern, die ihr schlechtes Gewissen damit auszugleichen versuchen.
Eltern, die glauben, Kinder seien nur glücklich, wenn ihnen jeder Wunsch erfüllt wird.
Eltern, die selbst nicht gelernt haben, Gefühle auszudrücken und sie darum nur materiell zeigen können.
Symptome der Wohlstands-verwahrlosung
Wohlstandsverwahrloste Kinder haben mit ihren sozial benachteiligten (armen) Altersgenossen mehr gemeinsam als man auf den ersten Blick erkennt. Ob materiell oder emotional verarmt – in beiden Gruppen zeigen sich die gleichen Extreme: Schulversagen, Alkoholkonsum, Aggressionen etc.
Eine derartige Verwahrlosung ist leider nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Jeder einzelne Fall muss von einem Arzt abgeklärt werden.
Trotzdem gibt es ein paar allgemeine Merkmale, die auf eine Verwöhn-Verwahrlosung hindeuten, aber ebenso Hinweise auf andere psychische Probleme bzw. Störungen sein können:
starker Anspruch an die Eltern und Forderung nach Wunscherfüllung
niedrige Frustrationstoleranz, Aggressionen
Fixierung auf starke Reize, Exotik, Außergewöhnliches
Angst vor Routine und Alltagsaufgaben
asoziales Verhalten, Missachten von Normen
Nicht-Verlieren-Können
Schulversagen trotz normaler oder überdurchschnittlicher Intelligenz
Schulprobleme: Schwänzen, Verweise, Abbrüche
Überlegenheitsgefühle, Unterlegenheitsgefühle (narzisstische Störungen)
sozialer Rückzug
autistische Verhaltenszüge
schwaches Schuldempfinden, wenig Mitgefühl
Übererregung, Untererregung
Aversion gegen Verantwortung
Freundschaften werden nach dem Nutzen beurteilt
antriebslos, unmotiviert
„Häufig entwickeln emotional verwahrloste Kinder begleitende psychische Störungen. Zu diesen gehören Persönlichkeitsstörungen, psychosomatische Erkrankungen, Ängste, Depressionen, ADHS",
erklärt der Psychotherapeut Klaus Nitsch.
Ursachen der Wohlstandsverwahrlosung
Natürlich stellen sich Pädagogen und Psychologen schon lange die Frage, warum ein Kind, das für seine Entwicklung alles hat und verwöhnt wird, zu sozialem Rückzug, depressiven Gefühlen oder Schulvermeidung neigt.
Dazu gibt es mehrere mögliche Gründe bzw. Theorien:
Erziehung ohne materielle Grenzen (Vgl. auch: Was ist Erziehung?)
zu viele unpersönliche Bildungsprogramme
leistungsbezogene und emotionale Überforderung
fehlende Auseinandersetzung mit Existenzsicherung
zu frühe Konfrontation mit sexuellen Reizen
Parentifizierung durch die Eltern
(zum Beispiel die Tochter als beste Freundin der Mutter
Eine Erziehung der Sorglosigkeit, nennen das Fachleute. Die Sorge als notwendige Erfahrung von Identität und Existenz (vgl. den Philosophen Martin Heidegger) wird von diesen Kids nicht erlebt. Sie erfahren sich selbst auf emotionaler Basis als unauthentisch, unselbstständig und unwichtig.
Die späteren Folgen: Als Erwachsene erscheinen Betroffene zwar vorbildlich, in vertrauten Kreisen zeigen sie sich jedoch als psychisch instabil und emotional unreif. Häufig führt das zu psychischen Leiden, mit denen in erster Linie die Betroffenen selbst ihr Leben lang kämpfen müssen, aber auch ihr Umfeld.
Die Folgen der Wohlstands-verwahrlosung sind extrem
Die Folgen, die durch Wohlstandsverwahrlosung entstehen, sind tiefgehend für die Psyche des Menschen. Und schränken die Lebensqualität der betroffenen Kinder, Jugendlichen und späteren Erwachsenen extrem ein.
Psychische Probleme sind keine Banalität, sondern beeinträchtigen das ganze Wesen: Psyche, Körperfunktionen und Geist.
Mögliche Symptome sind daher:
Depressive Verstimmungen mit passiver Verweigerungshaltung und Antriebslosigkeit
Mangelndes Durchhaltevermögen aufgrund fehlender Motivation (Motivationsschwäche)
Eingeschränkte Leistungsfähigkeit durch fehlenden Antrieb und emotionale Defizite
ausgeprägte passive Formen von Befriedigung: zum Beispiel Heißhunger, ständiger Wunsch nach Urlaub, Bedürfnis nach Bespaßung
Flucht in Drogen, Alkohol und Medikamentenmissbrauch
psychische Instabilität, leichte Manipulation
geringes Selbstwertgefühl, wenig Selbstbewusstsein
Probleme, Sachverhalte realistisch einzuschätzen
fassadenhafte Als-Ob bzw. Moment-Persönlichkeit
Unfähigkeit, Verantwortung für die eigenen Handlungen zu übernehmen
Beziehungsstörungen (Nützlichkeitsprinzip)
fehlende Selbstkontrolle
Wunschfantasien
Was hilft gegen Wohlstandsverwahrlosung?
Wir möchten noch einmal betonen: Vielen Eltern ist gar nicht bewusst, dass mit ihren Kindern etwas nicht stimmt, da sie äußerlich ja ganz normal wirken. Vorbeugung ist die beste Lösung anstatt die Auswirkungen zu bekämpfen. Der erste Schritt ist daher immer, mit den Eltern des Kindes zu sprechen, zum Beispiel in Form einer Erziehungsberatung.
Bewährte Tipps von Familientherapeuten sind zum Beispiel:
Planen Sie Quality-Time mit ihren Kindern, um die Eltern-Kind-Beziehung zu festigen. Das bedeutet nicht, dass Sie sich jeden Tag ständig mit dem Kind beschäftigen müssen. Viel mehr geht es um eine intensive Zeit mit dem Kind, in der Sie nur für Ihr Kind da sind und ihm liebevolle Aufmerksamkeit schenken. Das allein kann schon Wunder bewirken.
Als Eltern haben Sie immer eine Vorbildfunktion. Kinder verinnerlichen schnell, was Sie ihnen im Alltag vorleben. Insbesondere perfektionistische Ansprüche sollten Sie nicht ans Kind stellen. Es ist ein Kind, noch am Wachsen und Reifen. Um Ihrem Kind gerecht zu werden, sollten Sie also zu große Anforderungen aufgeben.
Kinder brauchen Grenzen, weil sie sich die komplexe Welt noch nicht erschließen können. Und das ist auch völlig in Ordnung so. Setzen Sie Ihren Kindern daher klare Grenzen, auch mit einem ausgesprochenen „Nein“. So schützen Sie Ihr Kind und bereiten es auf ein eigenständiges Leben vor. Vgl: Grenzen setzen bei Kindern
Zeigen Sie dem Kind, dass es völlig normal und okay ist, nicht jeden Tag neuen Nervenkitzel zu erleben. Ganz im Gegenteil: der Alltag besteht aus Wiederholungen, dadurch lernen Kinder hinzu.
Auch eine Psychotherapie für die betroffenen Kinder & Jugendlichen kann helfen. Selbstverständlich lohnt es sich genauso als junger oder älterer Erwachsener eine fundierte Behandlung beim Psychotherapeuten anzugehen, um bestehende Probleme aufzuarbeiten und lösen zu können.
Doch je früher die Gefahr einer Wohlstandsverwahrlosung erkannt wird, desto eher lässt sich gegensteuern, um ausgewachsene psychische Leiden zu verhindern.
Quellen:
1) Simone Blaß: Emotional unterversorgt: Experten warnen vor Wohlstandsverwahrlosung
2) Klaus Nitsch, Psychotherapeut
3) Zöchling E.: Verwahrlosungsprobleme bei Sekundarschülern
4) Zöllner U.: Die armen Kinder der Reichen
5) Wolfgang Albrecht, Psychologischer Psychotherapeut
6) Markus Deggerich: (K)eine Frage des Geldes