Depression bei Kindern
Schleichend oder auch plötzlich ist das Kind “irgendwie anders”. Die Diagnose der Depression kommt wie ein Paukenschlag und kann nicht nur für das Kind, sondern auch für sein soziales Umfeld zur immensen Belastungsprobe werden.
Depression, der stille Feind
Wie erkennt man eine Depression bei Kindern? Was können Eltern tun, um einem erkrankten Kind zu helfen?
Die Depression zählt zu den häufigsten und schwerwiegendsten psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter. Dementsprechend groß ist ihre gesellschaftliche und gesundheitspolitische Bedeutung: Sie steht an zweiter Stelle der häufigsten lebensverkürzenden Erkrankungen (nach Herzinfarkten).
Lange wurde angenommen, dass eine Depression bei Kindern und Jugendlichen hingegen eher selten ist. Inzwischen steht aber fest:
Etwa 1% aller Vorschulkinder und 2% der Kinder im Grundschulalter sind von einer depressiven Störung betroffen. Im Alter zwischen 12 und 17 Jahren sind es sogar 6-10%. Tendenz steigend.
Vgl. auch: Fakten zu Kinderarmut 2023 – Überblick & zentrale Erkenntnisse
Eine Depression bei Kindern ist oft schwer zu erkennen
Betroffene Kinder zeigen zwar eine ähnliche Symptomatik wie depressive Erwachsene – die Unterschiede zeigen sich höchstens in den Leitsymptomen und in der Erscheinungsform.
Dennoch kann sich eine Depression bei Kindern äußerst unterschiedlich äußern. Dementsprechend oft ist sie nur schwer zu erkennen oder bleibt lange unentdeckt.
Schwierigkeiten bei der richtigen Diagnosestellung
In sehr vielen Fällen geht die Depression im Kindesalter mit weiteren psychischen Krankheiten einher – auch deshalb ist die Abgrenzung und Diagnose nicht immer leicht.
Vieles ordnen die Eltern eher dem Charakter des Kindes oder einer momentanen Situation zu, als einer psychischen Erkrankung.
Eine ständig gereizte und gedrückte Grundstimmung deuten Eltern beispielsweise eher als Charakterproblematik anstatt als affektive Störung.
Ein Kind hingegen, das sozial zurückgezogen und still ist, fällt nicht als störend auf und erweckt wenig Aufmerksamkeit.
Kopf- oder Bauchschmerzen lassen Eltern erst an eine rein körperliche Erkrankung denken. Eine gefährliche Fehleinschätzung.
Eine Depression im Kindesalter wird leicht übersehen
Generell gilt: Die psychische Entwicklung verläuft bei Kindern in Phasen. Eine psychische Störung liegt dann vor, wenn die Entwicklung deutlich von der Norm abweicht.
Ein Beispiel: Das Kind hat Einschränkungen in der sozialen Teilhabe und leidet sichtlich unter dem Defizit.
Erschwerend kommt hinzu: Einige Krankheiten überlappen mit einer Depression oder bestehen parallel zu ihr.
Deshalb müssen vor einer endgültigen Diagnosestellung andere körperliche oder psychische Krankheiten unbedingt klar ausgeschlossen werden.
Mögliche Auslöser einer depressiven Störung bei Kindern
Ob ein Kind eine Depression entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab.
Dazu zählen:
Genetische Veranlagung
Biologische Faktoren
Soziales Umfeld
(Schwierige) Lebenserfahrungen
Hormonelle Veränderungen
Körperliche Krankheiten
Wann aber ist ein Kind einfach nur launenhaft oder in der Trotzphase und wann ist es an einer ernsthaften Depression erkrankt?
Prinzipiell kann die Krankheit bereits ab dem Alter von drei Jahren diagnostiziert werden. Je jünger das Kind ist, desto schwieriger ist es allerdings, eine Depression sicher zu erkennen.
Die Depression hat viele Gesichter – auch bei Kindern.
Symptome einer Depression bei Kindern
Unter depressiven Störungen werden sowohl kurzfristige Zustände, als auch episodenhafte und chronische Verlaufsformen verstanden.
Die Beschwerden können leicht, mittelstark oder schwer ausgeprägt sein.
Die im folgenden gelisteten Symptome dienen als Anhaltspunkte zur Diagnosestellung einer Depression bei Kindern. Wenn mindestens zwei der Hauptsymptome und zwei der Zusatzsymptome über den Zeitraum von mindestens zwei Wochen bestehen, kann eine depressive Störung vorliegen.
Hauptsymptome einer Depression:
Traurigkeit und Niedergeschlagenheit
Interessenverlust, Wahrnehmen weniger Aktivitäten, Freudlosigkeit
Ermüdbarkeit, Müdigkeit, aber auch Antriebslosigkeit
Mögliche Zusatzsymptome:
Konzentrationsmangel, verringerte Aufmerksamkeit
Unentschlossenheit, Unschlüssigkeit
Reduziertes Selbstwertgefühl, geringes Selbstvertrauen
Gefühle der Wertlosigkeit
Unangemessene Schuldgefühle, Selbstvorwürfe
Innerliche Unruhe oder Gehemmtheit
Schlafstörungen
Suizidgedanken
Appetitmangel oder -steigerung mit Gewichtsveränderung
Symptomatik gemäß Alter des Kindes
Die Hauptsymptome einer Depression sind in jedem Alter feststellbar. Je nach Alter des Kindes zeigen sich aber unterschiedliche Tendenzen in der Symptomatik und im Verhalten des Kindes:
Kleinkindalter (1-3 Jahre)
Vermehrtes Weinen
Ausdrucksarmes Gesicht
Erhöhte Reizbarkeit
Überanhänglichkeit: das Kind kann schlecht alleine sein
Selbststimulierendes Verhalten: Schaukeln des Körpers, exzessives Daumenlutschen
Teilnahmslosigkeit
Spielunlust oder auffälliges Spielverhalten
Gestörtes Essverhalten
Schlafstörungen
Vorschulalter (3-6 Jahre)
Trauriger Gesichtsausdruck
Verminderte Gestik und Mimik
Schnelle Irritierbarkeit
Stimmungslabilität
Auffällige Ängstlichkeit
Mangelnde Fähigkeit der Freude
Teilnahmslosigkeit
Antriebslosigkeit
Introvertiertes Verhalten
Vermindertes Interesse an motorischen Aktivitäten
Innere Unruhe und Gereiztheit
Unzulängliches Verhalten
Aggressives Verhalten
Essstörungen
Schlafstörungen
Schulkinder (6-12 Jahre)
Verbale Berichte über Traurigkeit
Denkhemmungen
Konzentrationsschwierigkeiten
Gedächtnisstörungen
Schulleistungsstörungen
Zukunftsangst
Ängstlichkeit
Unangemessene Schuldgefühle
Unangebrachte Selbstkritik
Psychomotorische Hemmung (z.B. langsame Bewegungen, in-sich-versunkene Haltung)
Steigerung des Appetits
(Ein-) Schlafstörungen
Suizidgedanken
Pubertäts-und Jugendalter (13-18 Jahre)
Vermindertes Selbstvertrauen
Selbstzweifel
Ängste
Lustlosigkeit
Konzentrationsmangel
Stimmungsanfälligkeit
Tageszeitabhängige Schwankungen des Befindens
Leistungsstörungen
Gefühl, sozialen und emotionalen Anforderungen nicht gewachsen zu sein
Isolation und sozialer Rückzug
Psychosomatische Beschwerden (z.B. Kopfschmerzen)
Gewichtsverlust
Schlafstörungen
Suizidgedanken
Häufige Begleiterkrankungen einer Depression bei Kindern
Mindestens die Hälfte der an einer Depression erkrankten Kinder und Jugendlichen leiden unter einer oder mehreren weiteren psychischen Störungen. Die häufigsten sind:
1) Autismus
Die Krankheit zeigt sich in gestörter sozialer Interaktion, mangelnder Aufmerksamkeit, beeinträchtigter Kommunikation und Sprache, sowie in wiederholten, stereotypen Verhaltensweisen und Interessen.
Autistische Kinder suchen wenig Kontakt zu Gleichaltrigen. Ihr Einfühlungsvermögen in sich und andere ist gering ausgebildet.
Die daraus resultierenden ständigen Anpassungsschwierigkeiten an das soziale Umfeld sind ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Depression und eine häufige Begleiterscheinung.
2) AD(H)S
Das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom kann mit einigen Anzeichen einer autistischen Störung übereinstimmen.
AD(H)S zeigt sich durch Aufmerksamkeitsprobleme, eine niedrige Stresstoleranz, eine oft stark erhöhte Sensibilität und mangelhaft entwickelte Bewältigungsstrategien.
Die betroffenen Kinder werden aufgrund ihres abweichenden Verhaltens oft sozial ausgegrenzt und stigmatisiert.
So kann die Depression eine AD(H)S überhaupt erst in den Fokus bringen, das Ausmaß der Beeinträchtigung des Kindes aufzeigen.
Eine Depression kann andererseits auch zu einer höheren Ausprägung der AD(H)S-Symptomatik führen.
3) Angststörungen
Angst bei Kindern ist bis zu einem gewissen Grad normal und Teil der kindlichen Entwicklung.
Abgegrenzt werden muss diese kindliche Angst von sogenannten Angststörungen: Hier sind besonders die Trennungsangst bei kleineren Kindern, sowie Phobien zu nennen, von denen rund 10% der Kinder betroffen sind.
Häufig werden Angststörungen von einer Depression begleitet.
4) Essstörungen
Essstörungen wie Anorexie oder Bulimie sind eine ernstzunehmende Krankheit, die vor allem junge Mädchen betrifft.
Die betroffenen Kinder und Jugendlichen unterwerfen sich einem hohen Leistungsdruck und inneren Zwang, der eine Depression zur Folge haben kann.
5) Rechen-, Lese- und Rechtschreibschwäche
Lernschwächen auf speziellen Gebieten, wie die Dyslexie, sind kein Anzeichen mangelnder Intelligenz des Kindes.
Betroffene Kinder entwickeln allerdings häufig eine Depression: Überhöhter Leistungsdruck, die Angst, negativ aufzufallen, können zu sozialem Rückzug, Isolation und zu einer depressiven Störung führen.
6) Verstärkende Effekte
Einen verstärkenden Effekt in der Ausbildung einer Depression können unter anderem haben:
Emotionale Vernachlässigung. Die Kinder empfinden sich als isoliert und nicht zugehörig
Kinderarmut. Der Mangel an sozialer Teilhabe ist ein Risikofaktor in der Entwicklung einer Depression.
Die Corona-Pandemie. Die momentane soziale Isoliertheit hat einen Einfluß auf die kindliche Psyche und kann ein auslösender Faktor für eine Depression sein.
Eine ungesunde Ernährung mit einem Mangel an lebenswichtigen Nährstoffen kann Antriebslosigkeit und Depression verstärken.
Eine Depression hat weitreichende Folgen
Das Bestehen weiterer psychischer Krankheiten und Risikofaktoren erschwert eine erfolgreiche Behandlung und Heilung.
Doch auch, wenn es “nur” die Depression ist: Eine depressive Störung kann für das leidende Kind weitreichende Folgen haben. Die Zukunfts-Chancen können stark eingeschränkt werden.
Möglicherweise kommt es zu Störungen im Sozialverhalten des Kindes, zu Problemen mit den Eltern, bis hin zu völliger Schulverweigerung, Schulabbruch, aber auch zu aggressivem Verhalten - oder gar zu Selbsttötungsgedanken.
Die Gefahr der Suizidalität
Das Wissen, anders zu sein als die anderen Kinder, kann zu Gefühlen des ausgegrenzt seins führen und in der Folge zu sozialer Isolierung.
Oft fühlen sich die Eltern hilflos und wissen nicht, wie sie mit dem betroffenen Kind umgehen sollen.
Bereits ab dem 6. Lebensjahr können zudem lebensmüde / suizidale Gedanken aufkommen. Im Kindesalter sind Suizide zwar noch sehr selten.
Bei Jugendlichen hingegen zählen sie zu den häufigsten Todesursachen.
Suizidale Gedanken sind ein klares Symptom der Depression
Bis zu 39% der Jugendlichen geben an, bereits Suizidgedanken gehabt zu haben, bis zu 9% haben mindestens einen Suizidversuch hinter sich.
Der vollendete Suizid ist nach Unfällen die zweithäufigste Todesursuche bei jungen Menschen:
Es besteht ein bis zu 20-fach erhöhtes Risiko für Suizidversuche sowie für eine Selbsttötung.
Jungen begehen im Vergleich zu Mädchen dreimal so häufig Suizid. Die Hauptrisikogruppe für Suizidversuche hingegen sind Mädchen und junge Frauen.
Jeder Suizidgedanke, jegliches suizidale Verhalten eines Kindes muss unbedingt ernstgenommen werden.
Suizidale Gedanken oder Äußerungen dürfen nicht tabuisiert werden – im Gegenteil, das Kind muss offen darauf angesprochen werden. Es besteht dringender Handlungsbedarf.
Bei akuter Suizidgefahr muss das Kind umgehend stationär (und gegebenenfalls medikamentös) behandelt werden.
Schnelles handeln ist wichtig
Manchmal kündigt sich eine Depression sich an. Eventuell zeigt das Kind im Vorfeld bereits ein
Geringes Selbstwertgefühl
Ausgeprägtes Schamempfinden
Oft waren die betroffenen Kinder und Jugendliche negativen Lebensereignissen ausgesetzt. Dazu zählen Verlust- oder Trennungserlebnisse.
Auch die Geburt eines Geschwisterkindes, Geschwisterrivalität oder eine Phobie kann eine Belastungssituation für das Kind darstellen.
Allerdings: Es gibt nicht die eine Ursache für Depressionen. Oft kommen mehrere Faktoren zusammen.
Eltern betroffener Kinder sollten genau hinsehen, wahrnehmen, wenn sich das Verhalten verändert.
Gegebenenfalls sollte das Kind einem Kinder- und Jugendpsychiater vorgestellt werden, eine Psychotherapie in Erwägung gezogen werden.
Eine Therapie bringt Linderung
Eine Depression heilt selten von alleine – sie ist aber gut behandelbar. Je früher die Behandlung beginnt, desto besser.
Mithilfe einer zielgerichteten, mehrdimensionalen Therapie erfährt das Kind eine schnelle Linderung und / oder Heilung der Symptomatik.
Bei ausgeprägter depressiver Symptomatik können ab dem 8. Lebensjahr unterstützend Antidepressiva verschrieben werden.
In schweren Fällen ist eine (teil-) stationäre Behandlung notwendig.
Wie sind die Heilungsaussichten?
Die gute Nachricht ist: Depressive Episoden im Jugendalter sind meist kürzer als im Erwachsenenalter.
Bei einem Drittel der betroffenen Kinder und Jugendlichen lassen die Symptome innerhalb von 3 Monaten nach.
Bei rechtzeitiger Behandlung werden etwa 30 % der Kinder und Jugendlichen nach einer depressiven Phase wieder „dauerhaft“ gesund.
Ein schlechter Einfluss im Freundeskreis, Arbeitslosigkeit der Eltern und beengte Wohnverhältnisse können weitere Risikofaktoren darstellen. Hier wirkt sich die Integration in Jugendgruppen sehr positiv aus.
Die schnelle und wirkungsvolle Behandlung einer Kinderdepression ist auch in Bezug auf das soziale Verhalten des Kindes wichtig:
Störungen im Sozialverhalten sind sehr stabil. Wenn Kinder im jungen Alter beispielsweise auffällig aggressiv sind, ist davon auszugehen, dass ca. 40% der betroffenen Kinder auch im Erwachsenenalter diese Verhaltensweisen zeigen werden.
Fazit:
Eine Depression kann jeden treffen, egal ob Erwachsene*r oder Kind. Wichtig ist, Warnsignale bei Kindern wahrzunehmen, richtig zu deuten und schnell professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Eine Depression “wächst sich nicht aus” - im Gegenteil: Unbehandelt nimmt sie meist einen chronischen Verlauf.
Eine Spontanheilung ist sehr selten. Bei Vorliegen mehrerer Risikofaktoren besteht sogar in bis zu 80% die Gefahr eines Rückfalls.
Je schneller die therapeutische Behandlung erfolgt, desto größer sind die Chancen, dass das Kind seine/ihre Kindheit bald wieder genießen kann.
Vgl. auch: Kind hat keine Freunde im Kindergarten – Ursachen & Tipps
Quellen:
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1) Deutsche Depressionshilfe 2) WHO - World Health Organization 3) www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org