Alkohol bei Jugendlichen – ein No-Go?!

Moritz, komm, sei kein Spielverderber! Chill doch mal!“ Das bekam mein Sohn als Teenager oft zu hören, wenn er auf Partys, in Clubs oder bei Klassenfahrten keinen Alkohol anrührte. Er blieb bei seiner Apfelschorle und dem Entschluss, bis zum 18. Geburtstag nicht zu „trinken“. Und er bereute ihn nicht.

Für seine Freundinnen und Freunde war er bald der zuverlässige Begleiter. Spaß hatte er trotzdem. Und er konnte sich nach einem tollen Abend auch noch an jedes Detail erinnern. Heute trinkt er gerne ein Glas Wein oder ein Bier. Aber er hat kein Problem damit, Maß zu halten.

Heute verzichten immer mehr Teenager immer öfter auf Alkohol.

Gerade bei Jugendlichen ist die Peergroup von großer Bedeutung. Wer dabei sein will, muss mitmachen?

 

Der Rausch als Ritual 

Es fängt beim Kuchenriegel an und hört beim Schoko- oder Malaga-Eis noch lange nicht auf. Alkohol versteckt sich in vielen Lebensmitteln, die Kinder und Jugendliche mögen. Alkohol ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Und er ist, im Gegensatz etwa zu Zigaretten oder Marihuana, immer noch bei den meisten akzeptiert.

 

Ob beim Grillfest, auf dem Jahrmarkt, im Restaurant, im Urlaub – oder ganz einfach beim Abendessen: Kinder und Jugendliche werden überall mit Alkohol konfrontiert.

 

Vom Dionysos-Kult ins Bierzelt

Eine kleine Kulturgeschichte des Alkohols

In China wurde Alkohol bereits 7000 v. Chr. aus Honig, Reis und Früchten gewonnen und für Ahnenrituale genutzt. Schon in den späteren Kaiserzeiten wurde allerdings vor Missbrauch und Sucht gewarnt.

 

Schon in der Antike waren Wein und Bier gebräuchlich. Im Kult – oder als Luxusgut.

 

In der Antike war Alkohol sowohl ein Kulturgut als auch eine Gabe der und für die Götter und wurde bei Ritualen und Feiern verwendet. Ab ca. 3000 v. Chr. war Bier in Mesopotamien ein Grundnahrungsmittel, das auch als Opfergabe verwendet wurde.

In Ägypten war das Bier das Getränk der Armen, Wein blieb der Elite und den Göttern vorbehalten. In Griechenland galt es als zivilisiert, Wein mit Wasser zu verdünnen. Aus der Literatur kennen wir die berühmt-berüchtigten Symposien, auch Dionysien: Gelage mit Wein, Diskussionen und Kunst. Die Römer übernahmen die griechische Weinkultur. Wein wurde zum Tischgetränk und im ganzen Reich im- und exportiert.

Auch in Japan und Indien war Alkohol früh bekannt. Im Judentum und Christentum war Wein ein fester Bestandteil religiöser Rituale – bis hin zur Abendmalsymbolik als „Christi Blut“.

Sogar im Islam existierte der Wein, trotz seines Verbots im Koran, sowohl in der Dichtung als auch als Konsumgut – und als Medizin.

 

Im Mittelalter perfektionierten die Klöster Braukunst und Weinanbau. In Zeiten der Pest wurde Branntwein als Gegenmittel eingesetzt – allerdings ohne die gewünschte Wirkung, außer, dass die Kranken im Rausch weniger litten.

 

In der Kolonialzeit verbreiteten die Seefahrer den Branntwein in der ganzen bekannten Welt – und nutzten ihn als Mittel zur Unterwerfung der indigenen Völker.

Mit der Industrialisierung wurde die Alkoholsucht bzw. der Alkoholismus zunehmend zum Problem, zunächst in der Arbeiterschicht. Gleichzeitig entstanden in Deutschland, Tschechien, Frankreich und Italien Bier- und Weinkulturen.

Das „Gläschen in Ehren“ wird erst seit den 1970er-Jahren infrage gestellt, und Alkoholsucht, Alkoholprävention und Jugendschutz werden öffentlich diskutiert.

 

"Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren – oder doch?

Alkohol gilt auch heute noch als „normales“ Konsumgut. Werbung und Gesellschaft flüstern uns ein, dass mit einem Glas Wein, einem Aperitif oder einem Schluck Bier das Leben leichter und rosiger wird. Und wir stärker, witziger, mutiger.

Was ist dran an diesem Mythos und der Gleichung Alkohol = gute Laune?

Ob auf einer Party oder beim Clubbing: Nach einem Glas fühlt man sich entspannter und selbstsicherer. Wie kommt das? Alkohol wirkt im zentralen Nervensystem als Depressivum, d. h., er dämpft die Reizweiterleitung.

Das sorgt kurzfristig für ein Gefühl von Entspannung, senkt Hemmungen und kann die Stimmung heben. Vorausgesetzt, man ist psychisch stabil, befindet sich in angenehmer Gesellschaft – und trinkt nur eine kleine Menge Alkohol.

 

Nach einem Schluck Alkohol fühlen sich viele entspannter.

 

Wie wirkt Alkohol auf das Gehirn?

Ansonsten kippt die Stimmung um. Denn auch, wenn Alkohol zunächst das Kontrollzentrum im Frontalhirn, das für Impulskontrolle, Planung und Sozialverhalten zuständig ist, hemmt, verliert das Gehirn nach und nach die Fähigkeit, Reize realistisch zu verarbeiten. Mögliche Folgen sind Aggressivität, Traurigkeit oder Distanzlosigkeit.

Vgl. auch Kinder alkoholkranker Eltern

 

Warum ist Alkohol nicht wie Zigaretten „geächtet“?

Zigaretten sind inzwischen “geächtet”. Alkohol nicht. Denn Alkohol ist ein systemisches Problem, Zigaretten sind ein individuelles.

 

Während Alkohol seit Jahrtausenden ein Kulturgut ist, sind Zigaretten eine relativ „junge“ Erscheinung und kamen erst im 20. Jahrhundert auf. Das macht die Ächtung leichter. Auch hat Tabak nachweislich kaum sozialverträgliche Nutzungsformen – Alkohol dagegen schon, z. B. als „Genussmittel“ beim Essen.

Die Alkoholindustrie ist ein starker Wirtschaftsfaktor, und Alkohol in Maßen wird in der Gesellschaft als unschädlich angesehen, im Gegensatz zu Zigaretten. Außerdem: trinken kann man leichter im Verborgenen.

Und Alkohol ist praktisch überall zugänglich, auch für Kinder und Jugendliche. Ein Bier, eine Flasche Wein, ein Aperitif oder Likör sind fast in jedem Haushalt vorhanden. Und wenn es „nur“ zum Kochen ist. 

 

Warum ist Alkohol für Kinder gefährlich?

Alkohol ist für Kinder und Jugendliche aus medizinischer, neurologischer und psychosozialer Sicht besonders schädlich – deutlich mehr als für Erwachsene. Dabei geht es nicht nur um direkte Schäden wie Unfälle oder Alkoholvergiftung. Alkohol kann die langfristige körperliche, geistige und emotionale Entwicklung massiv einschränken.

Vgl. Entwicklungsstufen und Entwicklungsbereiche

 

Medizinische Gründe

Folgen von Alkoholkonsum im Jugendalter

  • Das menschliche Gehirn reift bis etwa zum 25. Lebensjahr, vor allem der präfrontale Cortex, der für Impulskontrolle und Urteilsvermögen zuständig ist. Alkohol bremst und beeinträchtigt dessen Entwicklung. Die Folgen sind Konzentrationsstörungen, Lernschwierigkeiten und eine schlechtere Gedächtnisleistung – besonders, wenn Alkohol regelmäßig oder in hoher Dosis konsumiert wird.

  • Kinder und Jugendliche haben ein höheres Abhängigkeitsrisiko als Erwachsene. Sie reagieren stärker auf die Dopaminausschüttung. Gleichzeitig erleben sie weniger körperliche Warnsignale wie Kater oder Kontrollverlust.

  • Die Leber von Kindern und Jugendlichen ist kleiner, das Blutvolumen geringer, und ihr Körper hat weniger Enzyme zum Alkoholabbau. Deshalb sind sie anfälliger für dauerhafte Schäden.

 

Psychische und soziale Schäden 

Gefahren von Alkohol für Minderjährige

  • Jugendliche sind in der Selbst- und Fremdwahrnehmung noch nicht voll ausgereift. Alkoholkonsum kann Depressionen auslösen und verstärkt Risikobereitschaft, Impulsivität und den Druck durch eine Peergroup. Dadurch werden sie anfälliger für Unfälle, Gewalt, als Opfer und als Täter*innen, aber auch für sexuellen Missbrauch. 

  • Bei Jugendlichen mit psychischen Vorerkrankungen (z. B. Angststörungen, ADHS) wirkt Alkohol besonders destabilisierend.

  • Jugendliche, die regelmäßig Alkohol trinken, haben statistisch belegt häufig Probleme in der Schule. Sie sind oft unmotiviert und fallen leicht in soziale Isolation, werden gemobbt – bzw. sie geraten unter den Einfluss gefährlicher Peergroups.

 

Studien zeigen: je früher Jugendliche Alkohol trinken, desto höher ist das Risiko für späteren Suchtmittelmissbrauch und psychische Störungen.

 

Eltern als Vorbilder – Was Kinder sehen, prägt ihr Verhalten

Studien besagen: Kinder von trinkenden Eltern trinken früher. Müssen wir als Eltern deshalb auf Alkohol komplett verzichten?

Eltern spielen beim Umgang mit Alkohol eine entscheidende Rolle – und leider oft auch eine unterschätzte. Sie sind Vorbild, Schutzfaktor, Gesprächspartner*innen und Grenzsetzer*innen in einem. Was sie sagen, wie sie sich verhalten und wie sie mit dem Alkohol umgehen, prägt die Haltung ihrer Kinder, und zwar zu8nächst einmal weit mehr als Schule oder Peergroup.

Vgl. Grenzen setzen bei Kindern

 

Tipps für Eltern zum Umgang mit Alkohol in der Familie: 

  • Konsum nicht bagatellisieren („Ich brauch jetzt erstmal ein Gläschen zum Runterkommen“)

  • Alkohol nie als Belohnung oder „Erwachsenenprivileg“ inszenieren

  • Auch mal bewusst und in Gegenwart der Kinder auf Alkohol verzichten, z.B. auf Festen oder bei Stress, und stattdessen eine Alternative sichtlich genießen, z.B. Wasser, Saft oder entspannende Kräutertees

  • Immer ein nicht alkoholisches Getränk griffbereit im Kühlschrank oder im Regal haben und dieses regelmäßig trinken

  • Alkohol frühzeitig thematisieren – sachlich und ehrlich, ohne Panikmache, aber mit einer deutlichen Haltung. Dazu gehört, den Kindern zu erklären, wie Alkohol auf das Gehirn und den Körper wirkt

  • Authentisch über eigene Alkoholerfahrungen sprechen

  • Nicht tabuisieren und nicht verharmlosen: Alkohol ist kein Teufelszeug, aber für Kinder und Jugendliche hoch riskant

  • Verständnis zeigen, wenn Kinder und Jugendliche neugierig sind – und einen sicheren Rahmen bieten. Z.B. Kein Alkohol unter 16 - auch kein "Probieren", klare Absprachen für Partys: Wer bringt dich heim? Was ist erlaubt?

  • Die Regeln immer gemeinsam mit dem Kind besprechen, statt sie einfach zu diktieren.

 

Schluss mit dem Mythos

Es stimmt einfach nicht, dass „doch alle trinken“. Immer mehr Jugendliche verzichten – wie Moritz – ganz bewusst darauf.

Seit 2002 muss es in Gaststätten und Clubs mindestens ein alkoholfreies Getränk geben, das nicht teurer ist als das günstigste alkoholische Getränk.

 

Alkohol in der Küche?

Alkohol ist nicht nur in Kuchenriegeln und Snacks enthalten. Wer gerne kocht, würzt seine Speisen schon mal mit Rot- oder Weißwein oder flambiert mit Cognac und Rum. Denn Alkohol ist ein Geschmacksträger und sorgt z. B. bei Soßen für zusätzliche Tiefe. Aber ist ein mit Alkohol verfeinertes Gericht für Kinder und Jugendliche gut oder nicht?

Das Wichtigste vorneweg:

Ja, du darfst Alkohol auch dann beim Kochen verwenden, wenn Kinder mitessen. Aber du solltest einen wachsamen Blick auf Zielgruppe, Zubereitungsart und Anlass haben.

Denn: Alkohol verfliegt nicht immer vollständig, wie oft behauptet wird. Je nachdem, ob du flambierst oder bis zu 2 Stunden kochst, bleiben 75 % bzw. 10 % Restalkohol im Essen.

 

Achtung; Alkohol verflüchtigt sich beim Kochen entgegen landläufiger Meinung nicht vollständig.

 

Deshalb sollte für Kleinkinder, Schwangere, stillende Mütter und abstinente Personen besser kein Alkohol in der Nahrung enthalten sein, auch nicht in Spuren.

Für Kinder unter 6 Jahren raten viele Expert*innen, komplett auf Alkohol beim Kochen zu verzichten – oder ausschließlich Rezepte zu verwenden, bei denen der Alkohol über Stunden mitgekocht wird. Als Alternativen könnt ihr alkoholfreien Wein, Traubensaft, Brühe, Essig oder Zitronensaft verwenden – je nach Rezept.

 

Kein Alkohol in der Schwangerschaft!

Alkohol in der Schwangerschaft ist niemals unbedenklich. Schon kleinste Mengen können dem ungeborenen Kind schaden.

 

Alkohol kann deinen Embryo dauerhaft schädigen. Deshalb trinke lieber keinen Alkohol während deiner Schwangerschaft.

 

Alkohol gelangt ungefiltert über die Plazenta ins Blut des Embryos oder Fötus und trifft dort auf ein nicht entwickeltes Entgiftungssystem (die Leber des Ungeborenen ist unreif). Zusätzlich können das zentrale Nervensystem und Organe nachhaltig geschädigt werden.

 

Dein Kind trinkt. Und jetzt?

Wenn Jugendliche heimlich trinken, oft verkatert sind, Stimmungsschwankungen zeigen oder sich zurückziehen und die Eltern dahinter Alkoholkonsum vermuten, sollten sie unbedingt handelnohne Vorwürfe, aber konsequent.

Was tun:

  • Gespräch suchen, nicht Kontrolle

  • Verantwortung nicht bei der Schule oder Gesellschaft abladen – sondern bei sich selbst beginnen

  • Hilfe anbieten, nicht bestrafen

  • Bei Unsicherheit: professionelle Beratung einholen (Jugendamt, Suchtberatungsstellen)

 

Wichtige Anlaufstellen für Eltern (bundesweit)


BZgA Beratungsportal: Kenn dein Limit

  • Infos zu Alkoholkonsum, Suchtentwicklung, Risikoverhalten bei Jugendlichen

  • Extra Rubrik für Eltern

  • Telefonberatung  0221 – 89 20 31 (anonym, Mo–Do 10–22 Uhr, Fr–So 10–18 Uhr)

  • Online-Beratung (auch per Mail oder Chat möglich)


Sucht & Drogen Hotline (für ganz Deutschland)

  • Telefon 01805 – 31 30 31

  • 24/7 und anonym

  • Für akute Fragen, Krisen, Vermittlung zu lokalen Hilfen. Auch geeignet, wenn man sich unsicher ist, ob ein Problem vorliegt


Caritas / Diakonie / AWO – Suchtberatungsstellen vor Ort

  • Fast jede Stadt oder jeder Landkreis hat kostenfreie Suchtberatungen für Jugendliche & Familien mit Beratung für Eltern, Kinder, Familien, Gruppenangebote (z. B. Elternkreise), Hilfe bei Therapieanbahnung, Schulproblemen etc.

  • Adressen findest du z. B. hier: www.suchthilfeverzeichnis.de  (DHS eV.)


Jugendämter & Erziehungsberatungsstellen

  • Ansprechpartner für Erziehungsfragen, akute Krisen oder Überforderung, oft in Kooperation mit Schulen und Jugendhilfe, neutral, diskret und lösungsorientiert


Online-Selbsthilfe & Foren für Eltern

  • bke-Elternberatung.de (öffentlich gefördert, anonym möglich)

  • Forum auf kenn-dein-limit.de


Wenn’s akut ist

Bei Alkoholvergiftung, Gewalt, Kontrollverlust oder akuten Krisen:

112 (Notruf) oder ärztlicher Bereitschaftsdienst 116 117

MaJa Boselli

MaJa hat Romanistik und evangelische Theologie studiert. Sie schreibt seit über 20 Jahren Fachartikel im sozialen Bereich. Von praktischen Themen wie Kinderhilfe bis hin zur Sozialpolitik. Außerdem bloggt und twittert sie leidenschaftlich, seitdem es soziale Netzwerke gibt. Ihre Spezialität: so lange am Thema dranbleiben, bis allen alles klar ist. Ihr Motto: “ich schreibe, also bin ich.”

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