Arme Kinder, arme Familien – warum arme Kinder arm bleiben

Aufstieg durch Bildung – so lautet ein Ideal, das so früher noch möglich war. Heute stehen die Chancen für arme Kinder, sich aus dem Teufelskreis der Armut zu befreien, weitaus schlechter. Bildung alleine reicht dafür nicht mehr.

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Die Armut hat viele Familien fest im Griff

Kinder, die in solchen Milieus aufwachsen, haben kaum Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben!

 

Teufelskreis Armut – einmal arm, immer arm?

Was im Deutschland der 1980er Jahre noch Thema von Randgruppen war, betrifft heute unsere gesamte Gesellschaft: und zwar nicht irgendwie, sondern im Kern! Aktuell gilt hierzulande jedes 5. oder 4. Kind (je nach Region) als armutsgefährdet oder arm. Hinzu kommt: Viele Kinder wachsen hierzulande nicht nur in Armut auf, sondern sind auch Zeit ihres Lebens im Teufelskreis der Armut gefangen.

Familien- und Kinderarmut ist heute mitten im Alltag angekommen. Und scheint von Politik und Wirtschaft weitestgehend akzeptiert zu werden. Denn bisher hat Deutschlands Regierung wenig Effektives gegen Kinderarmut zustande gebracht.

"Das Problem ist seit Jahren bekannt. Aber wenn man den Kindern wirklich helfen will, muss man auch bei den Eltern ansetzen. Das geschieht nicht" (4), sagt Heinz Hilgers vom Deutschen Kinderschutzbund.

Dabei wirkt sich relative Armut unglaublich tiefgreifend in der Kindheit aus und beeinflusst das spätere Leben als Erwachsener enorm.

"Politik wird heute nur noch für eine vermeintliche Mittelschicht gemacht. Menschen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sind, finden sich oft in dieser Politik nicht wieder und werden nicht als wahlentscheidende Zielgruppe wahrgenommen", (4) meint Igor Wolansky (AWO Landesverband Berlin).

 

Was bedeutet Kinderarmut in Deutschland?

Armut und speziell Kinderarmut hat in Wohlfahrtsstaaten wie Deutschland äußerst viele Facetten. Doch anstatt hier wieder die sperrige Definition von Armut wiederzugeben, beschreibt der Lebensalltag von betroffenen Kindern viel besser, was Armut bedeutet:

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  • Arm ist das Mädchen, das sich ein ganzes Jahr nur kalt duschte, weil ihre Eltern Strom und Warmwasser nicht bezahlen konnten.

  • Arm ist ein Junge, der keine Geburtstagseinladungen annimmt, weil seine Eltern kein Geld für Geschenke aufbringen können und er sich dafür schämt.

  • In Armut leben Kinder, die nie in den Zoo, ins Kino oder in den Sportverein gehen, da diese Dinge zuhause nicht finanziert werden können.

  • Sozial benachteiligt ist ein Mädchen, das noch nie Besuch von Freunden hatte, weil sie zuhause kein eigenes Zimmer hat und auch kein Geld da ist, um Essen und Trinken anzubieten.

  • Arm ist ein Junge, der durch Mangelernährung dick geworden ist und auffällig schlechte Zähne hat, so dass er sich nicht traut, vor anderen zu lachen.

Vgl. auch: Fakten zu Kinderarmut 2023: Überblick & zentrale Erkenntnisse – sowie Kind hat keine Freunde im Kindergarten: Ursachen & Tipps

 

All diese Kinder in Armut müssen nicht verhungern, haben Bekleidung und ein Dach über dem Kopf – das war’s aber auch schon!

Wer glaubt, ein Kind spürt diese Unterschiede und Missstände nicht, der täuscht sich gewaltig.

Kinder bekommen sehr viel mit. Sie leben in einem Elternhaus, das von finanziellen Problemen & Benachteiligung geprägt ist.

"Bei diesen Familien gibt’s nichts Unbeschwertes. Leben, um zu überleben, bietet keine Aussicht auf ein Erfolgserlebnis.", bestätigt Martina Furlan (Kinderschutzbund Dortmund).

 

Existenzsicherheit verändert Eltern

Finanzielle Mittel helfen gegen Familien- und Kinderarmut. Das ist durch viele Studien belegt. Vorausgesetzt, den Menschen wird nicht vorgeschrieben, was sie brauchen und kaufen dürfen – Geld hilft gegen Armut

 

Bildungsbenachteiligung – die Armutsfalle Nr. 1

Die größte Benachteiligung erfahren Kinder aus sozial schwachen Familien in der Bildung. Bildung beginnt nicht erst in der Schule, sondern bereits viel viel früher.

"Ein neues Screening aus Deutschland, das am ersten Schultag durchgeführt wurde, hat das erschreckend deutlich gemacht. Mehr als 40 Prozent dieser Kinder haben einen geringeren Wortschatz und drücken sich schlechter aus als Gleichaltrige.

Ein Drittel hat beim Erfassen von Mengen große Schwierigkeiten. Und jedes vierte Kind hat Probleme bei der Visomotorik – also dem Zusammenspiel von Augen und Händen bzw. Beinen.", gibt Spezialist Erich Fenninger an.

Bildungsungerechtigkeit hat aber nicht nur eine materielle Dimension, sondern auch eine pädagogische: "Diese jungen Menschen bekommen in der Schule zu oft vor Augen geführt, wo ihre Defizite sind. Das schwächt das Selbstwertgefühl und führt dazu, dass ihre schulischen Leistungen noch schlechter werden.", sagt Fenninger. » Selbstwertgefühl von Kindern stärken

Es ist wenig überraschend, dass sich sehr viele sozial schwache Kinder an den Hauptschulen finden, während Kinder aus finanziell besser gestellten Familien aufs Gymnasium gehen. » Mehr erfahren: Kinderarmut: Bildung bietet keinen Schutz – Vgl. auch: Bildungsexpansion – mehr Bildung ist nicht die Lösung

 

Armut raubt Lebensjahre & Lebensqualität

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(Kinder-)Armut zieht einen Rattenschwanz an ernstzunehmenden Folgen mit sich, die sich auf das gesamte Leben der betroffenen Kinder negativ auswirken.

Schließlich ist alles, was in der Kindheit passiert, für die Entwicklung zum Erwachsenen stark prägend (vgl. Entwicklungstrauma).

Darum ist es so wichtig, bereits in den ersten Lebensmonaten und Lebensjahren wichtige Grundsteine zu legen. Zum Beispiel eine gesunde Ernährung, genug motorische Förderung, geistige Anregung und viel Geborgenheit – das alles trägt zur körperlichen, psychischen und emotionalen Entwicklung von Kindern bei.

Vgl. auch: Das Bild vom Kind – Was bedeutet Kind-sein?

 

Arme Kinder müssen auf diese Grundsteine für ihr späteres Leben oft verzichten:

  • Arme Kinder sind häufiger krank, weil sie sich schlechter ernähren – ob aus Unwissenheit oder weil hochwertige Lebensmittel zu viel kosten. (vgl. Geld und Gesundheit – Ungerechtigkeit und Armut machen krank)

  • Arme Kinder sind meist deutlich ungeschickter und haben weniger körperliche Bewegung, aufgrund ihrer beengten Wohnsituation und eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten.

  • Arme Kinder sind statistisch häufiger in Unfälle verstrickt.

  • Arme Kinder leiden fast 3-mal häufiger unter psychischen Problemen als ihre bessergestellten Altersgenossen. (vgl. Angst bei Kindern und Depression bei Kindern)

  • Arme Kinder erfahren häufiger Ausgrenzung, weil ihre Eltern sich vieles nicht leisten können (Klassenfahrten, außerschulische Aktivitäten, neue Kleidung, neue Schulsachen etc.) Evtl. auch interessant für dich: Was Armut mit Kindern macht und wie sie prägt

  • Arme Kinder haben erschwerte Lernbedingungen durch schlechtere Ernährung, fehlende Unterstützung und mangelhafte Entwicklung. (vgl. Übergewicht – Dicke Kinder haben mehr als nur ein Problem)

 

Fazit: Warum arme Kinder arm bleiben

Zwar gibt es Förderprogramme des Bundes, aber die greifen seit Jahren nicht. Der Grund: sie laufen am Problem vorbei. Armut ist ein sehr komplexes und vielschichtiges Phänomen, dass sich nicht nur in materieller Armut zeigt, sondern auch in schlechterer Bildung, gesundheitlichen Problemen und wenigen Aufstiegsmöglichkeiten.

So sind Förderprogramme zwar gut gemeint, berücksichtigen aber nicht die vielen Facetten von Kinder- und Familienarmut, die zur Aufrechterhaltung von Armut führen. Darüber hinaus sind die Förderprogramme zeitlich befristet und dadurch so kurz, dass sie sich kaum langfristig auswirken können.

Am wichtigsten ist aber, dass Deutschland mit der Zeit geht. Der Staat fokussiert sich immer noch auf die Unterstützung von klassischen Familien, die relativ gut verdienen, und von kinderlosen Ehen.

Das größte Armutsrisiko tragen allerdings Alleinerziehende, die doppelt bestraft sind: Sie haben nicht nur mehr Kraft aufzuwenden, um ihr Leben mit Kind zu bestreiten, sie sind auch steuerlich schlechter gestellt.


Quellen:
1) Ute Brühl: Warum arme Kinder arm bleiben
2) Spektrum Lexikon der Geographie: Teufelskreis der Armut
3) Michael Passon: Arme Kinder bleiben meistens arm
4) Silke Hoock: Aus armen Kindern werden chancenlose Erwachsene
5) Bertelsmann Stiftung: Factsheet Kinderarmut
6) Arbeiterwohlfahrt (AWO)
7) Silvia Plahl: Kinderarmut in Deutschland – Ungleiche Chancen
8) Deutsches Kinderhilfswerk
9) DPG Studie: Arme Kinder – arme Eltern. Zahlen, Daten, Fakten (PDF)
10) Der Paritätische Gesamtverband: Aktionsaufruf #ArmutAbschaffen 2021

Tamara Niebler

Tamara ist studierte Philosophin (Mag. phil.) & freie Journalistin in München. Sie unterstützt unsere Redaktion mit jeder Menge Fachwissen und kritischen Denkanstößen. Tamaras Motto: „Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen“ (Franz Kafka)

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