Ich-Entwicklung beim Kind – Wann entsteht Ich-Bewusstsein?

Die Ich-Entwicklung bei Kindern findet zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr statt. Es wächst zu einer eigenständigen Persönlichkeit heran und benötigt neben Vorbildern, welche ihm Orientierung bieten, ebenso die Freiheit und den Raum, sich entfalten und explorieren zu können. Die Balance dieser zwei Elemente – Sicherheit und Freiraum – bildet die Basis für eine gesunde Kindesentwicklung. 

Ich-Entwicklung beim Kind erklärt

Was versteht man unter Ich-Entwicklung?

Was ist Entwicklung?

Die Entstehung des Ich-Bewusstseins beschreibt einen wichtigen Entwicklungsprozess bei Kindern, der mehrere Aspekte umfasst. Das Zusammenspiel dieser verschiedenen Lern- und Entwicklungsfelder ist grundlegend für das Selbstbild des Kindes und seine sozialen Fähigkeiten, außerdem prägen sie langfristig die Persönlichkeitsentwicklung.

1) Das Ich entwickelt sich ab dem 1. Lebenstag

Babys lernen in den ersten Monaten, sich als eigenständige Individuen wahrzunehmen und erkennen, wer sie sind, was sie mögen und was sie von anderen unterscheiden. In dieser Phase suchen Babys nach Identität und experimentieren mit verschiedenen Rollen und Verhaltensweisen, um herauszufinden, wo und wie sie sich einordnen. 

2) Emotionale Entwicklung verläuft parallel

Kinder lernen, eigene Gefühle sowie die anderer zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. Darum ist der Umgang mit Gleichaltrigen, Geschwistern und Eltern so hilfreich, das Kind lernt auf diese Weise soziale Normen und Werte. 

3) Fähigkeit zur Selbstregulation

Mindestens ebenso wichtig ist die Fähigkeit zur Selbstregulation. Mit zunehmendem Alter lernen Kinder, ihre Impulse zu kontrollieren und überlegte Entscheidungen zu treffen. 

 

Entwicklungspsychologie: Wie Kinder ein Ich-Bewusstsein bilden

Selbstwahrnehmung ab den ersten Lebensmonaten

Zu Beginn des Lebens fühlt sich ein Baby eins mit seiner Mutter. Erst durch alltägliche Situationen macht es allmählich die Erfahrung, dass es mit seinem Verhalten etwas bewirken kann. Die Reaktionen der Bezugspersonen gleichen sozusagen einem Spiegel. 

Bereits ab dem 2. – 3. Lebensmonat nimmt ein Baby sich selbst auf körperlicher Ebene als eigenständiges Individuum wahr. Das Kind erlebt, dass es Sinne, wie das Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Fühlen besitzt. » Wahrnehmung bei Kindern

Am Ende des 1. Lebensjahres/ Anfang des 2. Lebensjahres entdeckt ein Kleinkind seinen eigenen Willen. Es erfährt Grenzen und lernt mit Unterstützung seiner Bezugspersonen, eigene Gefühle zu benennen und zu regulieren. » Wutausbrüche bei Kleinkindern

Das alles sind notwendige Bedingungen dafür, dass sich ein Ich-Bewusstsein entwickeln kann.

 

Ab wann erwacht das Ich-Bewusstsein?

Wann entwickeln Kinder ein Ich?

Zum Ende des 2. Lebensjahres entdeckt ein Kind schließlich sich selbst. Es erkennt sich selbst zum ersten Mal im Spiegel und weiß „Das bin ich!“. Bis es sich jedoch auch in der Sprache findet und von sich in der „Ich“-Form spricht, dauert es noch einige Monate. 

Bei all den neuen Erfahrungen und Entdeckungen kann es während der Selbstentwicklung schon mal überwältigend werden, denn …

  • Das Kind erfährt nun, dass es etwas wollen darf und zwischen Möglichkeiten wählen kann

  • Es möchte selbstständig handeln und darf es auch. Jedoch kann es vieles noch nicht. 

Daher kommt es in der Autonomiephase (Trotzphase) zu überwältigenden und ambivalenten Gefühlen. Hier ist nicht nur Lob und Motivation seitens der Bezugspersonen wichtig, sondern auch klare Grenzen, Routinen und Strukturen sowie Regeln. Sie geben dem Kind in der Entwicklungsphase, Sicherheit und Orientierung. 

Genauso wichtig ist es allerdings auch, dem Kind Zeit und Raum zu geben, sich auszuprobieren. » Was Kinder brauchen – Sicherheit, Werte & Zeit

 

Tabelle: Ich-Entwicklung im Überblick


1. Lebensjahr

  • Dein Kind protestiert, wenn es aufgefordert wird

  • Dein Kind beginnt zu fremdeln und ist auf deine Geduld angewiesen

  • Dein Kind zeigt Interesse an seinem Spiegelbild; schaut sich in die Augen

2. Lebensjahr

  • Dein Kind erkennt, dass es einen eigenen Willen besitzt, es sagt „Nein“ und wird wütend 

  • Dein Kind verteidigt etwas, was ihm gehört

  • Dein Kind nennt sich beim Namen und beginnt in der „Ich“–Form zu sprechen


3. Lebensjahr

  • Dein Kind erledigt gern Dinge selbst, nimmt aber Hilfe an, wenn es merkt, dass es etwas noch nicht kann

  • Dein Kind drückt unterschiedliche Gefühle sprachlich aus

4. Lebensjahr

  • Dein Kind kann sich regulieren und akzeptiert im Kern ein „Nein“

  • Dein Kind erkennt sich selbst auf Babyphotos


5. Lebensjahr

  • Dein Kind zeigt Interesse an seiner Zeit als Baby

  • Dein Kind kann seine Gefühle benennen

6. Lebensjahr

  • Dein Kind kann mit Frustration umgehen, auch wenn es nicht jeden Wunsch erfüllt bekommt

  • Dein Kind kann seine Bedürfnisse verbal mitteilen


 

Was passiert bei der Ich-Entwicklung im Gehirn? 

Vom „Wir“ zur eigenständigen Persönlichkeit

Das Selbst eines Kindes ist eine Kombination aus physischen und psychologischen Attributen. Dies macht jeden von uns einzigartig. Doch was passiert bei der Ich-Entwicklung in einem Kindergehirn? Im Gehirn sind verschiedene Regionen an der Entdeckung des Selbst beteiligt:

  1. Der präfrontale Cortex (reagiert auf Unterschiede)

  2. Teile des Schläfenlappens (nehmen Bekanntes wahr)

  3. Ein Bereich des limbischen Systems und der Inselrinde (für die Emotionen zuständig)

  4. Der Parietalcortex (nimmt das Gesicht als Teil des Körpers wahr)

Die aktive Nutzung dieser Hirnregionen durch Erfahrungen und soziale Interaktionen sorgen dafür, dass sich neuronale Verbindungen festigen, stärken und effizienter arbeiten. All das ist entscheidend für die gesunde Ich-Entwicklung und das Selbstbewusstsein des Kindes.

 

Ich-Entwicklung fördern

10 Tipps, wie du dein Kind dabei unterstützen kannst, sich selbst zu fühlen

  1. Unterhalte dich angeregt mit deinem Kind und äußere echtes Interesse » Sprachförderung bei Kindern

  2. Lobe dein Kind gern für selbst gemachte Entdeckungen und Erfahrungen und erfreue dich authentisch an seinen Leistungen

  3. Lasse dein Kind gern selbstständig handeln, auch, wenn es beim ersten Mal schiefgeht

  4. Ermutige dein Kind gern bei Misserfolg zu einem erneuten Versuch

  5. Schaffe Kontakt zu Spielmöglichkeiten mit anderen Kindern » Kind hat keine Freunde

  6. Unterstütze dein Kind im Forscherdrang und ermutige es, Fragen zu stellen und sich auszuprobieren

  7. Fördere die Bewegung deines Kindes. Sie ist wichtig für die Entwicklung des Gehirns » Bewegungserziehung

  8. Schaffe für dein Kind eine sichere und freie Umgebung, die zum Entdecken einlädt

  9. Äußere deinem Kind gegenüber gern authentische Gefühle

  10. Gib deinem Kind zu jeder Zeit das Gefühl, geschätzt und geliebt zu werden » bedürfnisorientierte Erziehung


Quellen:

  • Graber EG (MSD Manual), Kindliche Entwicklung/Tabelle (2013)

  • Kasten H, Entwicklungspsychologische Grundlagen der frühen Kindheit und frühpädagogische Konsequenzen (2014)

  • stifungnetz: Ein durchschnittlich entwickeltes 6-jähriges Kind

  • Vaterfreuden: Die Ich-Entwicklung bei Babys und Kleinkindern

Svenja Gleffe – Redaktion Deutsche Lebensbrücke

Co-Autorin: Tamara Niebler, freie Journalistin und seit mehreren Jahren Teil des Redaktionsteams der Deutschen Lebensbrücke.

Svenja schreibt als ausgebildete Pädagogin über kindliche Entwicklung und unterstützt unsere Redaktion mit fundierten Fachtexten. Ihr Motto: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen!“ (Aristoteles)

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