Warum steigt Kinderarmut in Deutschland?
Jedes 5. deutsche Kind ist von Kinderarmut betroffen
Bedürftige Kinder leiden unter dem Mangel an sozialer Teilhabe und Zukunftschancen
Familien, die über weniger als 60 Prozent des Durchschnittslohns verfügen, gelten als arm. In Deutschland liegt der Durchschnittslohn bei etwa 22.000 Euro netto im Jahr. Arm ist somit eine Familie, die mit 1.000 Euro im Monat oder weniger über die Runden kommen muss.
Rund 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland wachsen in Armut auf. Das sind 21,3 Prozent der Kinder. Das ist mehr als jedes fünfte Kind.
Am Höchsten ist die Kinderarmut in Bremen. Hier leben 31,6 Prozent der Kinder in Armut. Am Niedrigsten ist sie in Bayern. Hier sind 6,3 Prozent der Kinder betroffen 1). Ausländische Kinder sind besonders stark von Kinderarmut betroffen.
Vgl. auch:
Fakten zu Kinderarmut 2023 – Überblick & zentrale Erkenntnisse
Kinderarmut erkennen – subtile Anzeichen
Aus welchen Gründen steigt Kinderarmut in Deutschland?
Steigende Mieten
Immer mehr Familien drängen auf das Umland. Der Grund: Das Leben in der Großstadt wird unbezahlbar. Selbst Familien mit einem durchschnittlichen Einkommen sind gezwungen, mehr als die empfohlenen 30% ihres Gesamteinkommens für die Miete aufzuwenden.
Sozialwohnungen haben eine lange Warteliste. Auf eine bezahlbare Wohnung kommen hunderte bis tausende Bewerber. Steigende Wohnkosten bedeuten weniger Geld für Lebensmittel, aber auch für Kleidung und Freizeitaktivitäten.
Hohe Lebenshaltungskosten und Stromkosten
Die Kosten für Strom sind in Deutschland extrem gestiegen. Genauer gesagt: Er ist um 163 Prozent teurer als im weltweiten Mittel. Damit liegt Deutschland ganz weit vorne: Eine Kilowattstunde kostet in Deutschland knapp 32 Cent. Im internationalen Durchschnitt kostet sie 12,22 Cent.
2019 wurde in 289.000 Haushalten der Strom abgestellt. Es trifft Menschen, die sowieso schon arm sind. Sie konnten ihre Stromrechnung nicht bezahlen 2).
Die Eltern brauchen teilweise zwei Jobs
Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten reicht vielen Menschen ein Job nicht mehr aus. Für Extras bleibt nichts übrig. Von selbst einem bescheidenen Urlaub ganz zu schweigen. Geld zurücklegen ist nicht möglich.
In sozial schwachen Familien ist es keine Seltenheit, dass die Eltern das Haus schon um 5 Uhr morgens verlassen. Oft kommt eines der Elternteile erst spät nachts wieder nach Hause.
Ein großer Teil unserer Frühstücksklub-Kinder steht morgens ganz alleine auf. Sie stellen den Wecker, ziehen sich selbst an und sind schon um 7 Uhr morgens da, wenn der Frühstücksklub seine Pforten öffnet.
Ihre Eltern haben den ersten Job, bevor die Schule beginnt und den letzten lang danach.
Auch mittags ist niemand zuhause. Die Kinder sind sich selbst überlassen. Wir erleben in unseren Mittagstischen immer wieder, wie sehr die Kids aufblühen: Es tut ihnen gut, in der Gemeinschaft an einem Tisch zu sitzen - und eine warme Mahlzeit zu bekommen.
Jobverlust
Corona hat uns alle getroffen. Während der Pandemie waren viele Menschen in Kurzarbeit.
Sehr viele Menschen sind arbeitslos geworden. Minijobber und Menschen, die Hilfstätigkeiten ausüben, waren und sind am Meisten betroffen. In diesen Bereichen arbeiten sehr viele sozial schwache Menschen. Sie haben seitdem noch weniger Geld, um ihre Kinder zu versorgen.
Viele Eltern trennen sich
Die berufliche Unsicherheit und die Belastungen im modernen Alltag hinterlassen ihre Spuren: Mittlerweile scheitert jede zweite Ehe. Die Trennung der Eltern verschärft Kinderarmut.
Entweder findet ein Elternteil eine andere Wohnung. Dann geht es zulasten des Kindesunterhalts: Die zweifachen Wohnkosten müssen gedeckt werden.
Viele Eltern müssen aus Geldnot weiterhin zusammenleben. In sozial schwachen Familien ist der Wohnraum zudem meist beengt. Die Kinder sind zuhause Streit und Aggression ausgesetzt. Sie haben keinen Rückzugsort.
Keine Möglichkeit, etwas zu sparen
Menschen in sozial schwachen Familien kommen kaum über die Runden. Jede nötige Anschaffung stellt ein Problem dar. Selbst der Kauf einer neuen Waschmaschine kann eine unüberwindbare Hürde sein.
Sozial schwache Eltern können dem Kind kein Studium oder einen Auslandsaufenthalt ermöglichen. Während einer Ausbildung müssten die Kinder zuhause wohnen bleiben. Bei dem beengten Wohnraum und einer oft schwierigen Familiensituation zuhause ist es für viele junge Erwachsene keine Option.
Weil das geringe Einkommen während der Ausbildung nicht reicht, schlagen sich viele Jugendliche mit Aushilfsjobs durch. Der Teufelskreis der Armut setzt sich fort. Evtl. auch interessant für dich: Kinder in Armut – Was Armut mit Kindern macht und wie sie prägt
Weiter sozioökonomische Faktoren
Die Ernährung
Kinder aus sozial schwachen Familien haben Defizite in der Ernährung. Ihre Eltern können sich gesunde und hochwertige Lebensmittel kaum leisten. Obst und Gemüse sind unerschwinglich teuer.
Hinzu kommt: Viele Eltern haben weder Zeit noch Geld, um ihren Kindern etwas Gesundes und Warmes zu kochen.
Viele Kinder hangeln sich mit Fast Food und salzigen oder süßen Snacks durch den Tag. Sie leiden an den Folgen der schlechten Ernährung: Sie sind schlapp und anfällig für Krankheiten. In der Schule ist ihre Leistungsfähigkeit stark reduziert.
Psychische Probleme
Kinder spüren schon in sehr jungem Alter, dass sie arm sind. Sie sehen täglich, dass sie nicht die gleichen Teilhabechancen haben wie Kinder aus besser gestellten Familien.
Kinderarmut verschärft psychische Probleme und psychische Probleme verschärfen Kinderarmut.
Viele Eltern können oder wollen sich nicht um die Sorgen ihrer Kinder kümmern. Sie kämpfen selbst, mit ihren eigenen Problemen.
Immer mehr Kinder leiden an AD(H)S und an emotionaler Vernachlässigung. Sie können sich im Unterricht nicht konzentrieren, sind verhaltensauffällig. Gerade bei AD(H)S ist eine Unterstützung im sozialen Umfeld unerlässlich.
Kinder aus sozial schwachen Familien leiden unter dem ständigen finanziellen Druck. Sie leiden unter der immensen Belastung der Eltern. Sie wissen, dass sie nicht dazugehören. Sie können mit ihren Klassenkameraden nicht mithalten.
Das Selbstbewusstsein der Kinder ist schwach und wenig entwickelt. Sie trauen sich wenig zu.
Corona verstärkt die Kinderarmut zusätzlich
Die Kinder sind auf Leistungen außerhalb der Familie angewiesen
In den Phasen des Lockdowns wurden fast alle unterstützenden Angebote für Kinder eingestellt. Viele Eltern waren monatelang in Kurzarbeit. Es war mehr als eine finanzielle Herausforderung.
Sozial schwache Eltern haben völlig den Boden unter den Füßen verloren: Das Essen in der Schule entlastet die Eltern finanziell etwas. Während Corona fiel es monatelang komplett weg.
Vor Corona konnten unsere Frühstücksklub-Kinder sich täglich am gesunden und leckeren Buffet bedienen. Während Corona drücken wir den Kids nun jeden Morgen eine reichhaltig befüllte Tüte mit Kinderfrühstück in die Hand.
Das Homeschooling
Das Homeschooling stellt einen weiteren Stressfaktor dar. Die Kinder sind zuhause, auf beengtem Raum. Sie machen wenig für die Schule - und sie können oft nichts machen: Sie haben keinen Rückzugsort.
Sie leben auf zu engem Raum, sie haben kaum Ruhe und Zeit für sich. Viele sind vermehrt häuslicher Gewalt und Aggression ausgesetzt. Die Nerven in vielen Familien liegen blank.
Die Eltern sorgen sich um die Zukunft, wie sie die Kosten im Alltag weiterhin stemmen sollen. Ein großer Teil der Mütter und Väter können oder wollen beim Lernen nicht helfen. Sie verstehen den Lernstoff nicht. Nachhilfe können sie sich nicht leisten.
Keine ausreichende technische Ausrüstung
Während Corona wurde sichtbar: Sozial schwache Kinder sind auf noch einer Ebene die Verlierer: Sie können am Homeschooling gar nicht teilnehmen.
24 Prozent der Kinder in Haushalten, die Grundsicherung beziehen, haben keinen Zugang zu einem internetfähigen PC 3).
Ein sicherer Umgang mit dem Computer ist auf dem Arbeitsmarkt eine wichtige Voraussetzung. Deshalb wird es auch bei Kindern zunehmend in den Lehrplan integriert.
Während ihre Schulkamerad*innen inzwischen wie Profi-Manager ihre Online-Meetings absolvieren, haben bedürftige Kinder wenig Wissen über Computer, ihre Bedienung und Möglichkeiten.
Ausblick:
Deutschland ist ein reiches Land. Dennoch gilt weiterhin: Es gibt wenig Aussicht auf eine Besserung der Situation. Sozial schwache Kinder sind in der Armut gefangen. Haushalte von Alleinerziehenden, Kinder mit Migrationshintergrund, sowie Haushalte mit mehreren Kindern bleiben besonders stark gefährdet 4).
Je länger die betroffenen Kinder in Armut leben, desto negativer ist es - für ihre Entwicklung und für ihre Zukunft. Die Folgen begleiten sie, ein Leben lang.
Quellen:
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1) WELT: Darum steigt Kinderarmut in Deutschland
2) Der Spiegel: Versorger klemmten 289.000 Haushalten den Strom ab
3) ZDF: Corona droht Kinderarmut zu verschärfen
4) WSI Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut
Wenn ein Kind vor Energie und Lebensfreude nur so übersprudelt, ist das wunderbar und toll, aber auch ganz schön anstrengend – für die Kinder und die Bezugspersonen gleichermaßen. Unruhe bei Kindern ist nicht selten, kann allerdings schnell in Überdrehtheit oder starke Nervosität umschlagen. Lies hier, wie du deinem Kind helfen kannst, wieder zur Ruhe zu kommen.