Fördermaßnahmen bei verhaltensauffälligen Kindern

Wenn Kinder aus dem inneren Gleichgewicht geraten

Kinder, die nicht der Norm entsprechen, haben es schwer. Sie erleben Unverständnis und Hilflosigkeit. Wie kann man verhaltensauffällige Kinder fördern?

Was bedeutet verhaltensauffällig bei Kindern?

Begriffserklärung

Ein Kind ist verhaltensauffällig bezeichnet, wenn es sich von anderen Kindern seines bzw. ihres Alters in bestimmten Situationen unterscheidet.

Beispielsweise verletzt das Kind Regeln oder missachtet Normen in sozialen Situationen. Das Verhalten in der Gemeinschaft weicht also klar erkennbar von dem der Gleichaltrigen ab.

Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter sind nicht selten: Jedes fünfte Kind ist mittlerweile betroffen. Tendenz steigend.

 

Keine voreiligen Schlüsse ziehen

So wichtig es ist, Fördermaßnahmen für verhaltensauffällige Kinder zu ergreifen, so wichtig ist es, zu sehen: Jedes Kind ist einzigartig. Kinder entwickeln sich individuell und in ihrem eigenen Tempo.

Manche Kinder können schon vor der Grundschule rechnen. Andere mögen Bücher lesen nicht. Einige Kinder brauchen viel Bewegung » Bewegungserziehung. Andere sind sehr schüchtern und ruhig.

Vieles wächst sich, im wahrsten Sinne des Wortes, raus. Oft sind es Phasen oder vorübergehende (Entwicklungs-) Krisen.

In vielen Fällen gibt es klar erkennbare Gründe und Erklärungen. Leider gibt das soziale Umfeld oft (ungefragt) laienhafte Einschätzungen ab. Das verunsichert und befeuert Klischees.

Ein sehr aktives Kind hat aber nicht ganz klar ADHS. Ein stilles Kind ist nicht automatisch von Autismus betroffen. Vgl. auch Umgang mit ADHS-Kindern und 12 ADHS-Erziehungsfehler

Einschätzungen können allenfalls Vermutungen oder Denkanstöße sein. Nur ein ausgebildeter Kinder- und Jugendtherapeut oder Psychiater kann einschätzen, ob eine klinische Relevanz besteht.

 

Wie zeigen sich die Verhaltensauffälligkeiten?

Auffälliges Benehmen zeigt sich hauptsächlich in sozialen Situationen. Der Umgang mit anderen Menschen ist nicht angemessen.

Beispielsweise zeigen betroffene Kinder ein aggressives Verhalten. Sie verletzen andere, neigen zu Wutausbrüchen. Oft zeigt es sich in Lügen, Stehlen, selbstschädigendem Verhalten, aber auch in extremer Schüchternheit.

 

Warum sind so viele Kinder verhaltensauffällig?

Die Zahl verhaltensauffälliger Kinder steigt stetig an. Woran liegt das? Für viele Menschen liegt der Zusammenhang zu einer schlechten Kindheit, Gewalt und Missbrauch nah.

Doch so einfach ist es nicht.

Oft stehen andere, harmlos erscheinende negative Einflüsse in der Erziehung und im kindlichen Alltag dahinter. In vielen Fällen werden die Schulen in die Pflicht genommen und verantwortlich gemacht.

Klar ist: Ein Gefühl des Unwohlseins in der Schule kann die kindliche Seele belasten. Die Lösung beginnt aber in erster Linie zuhause.

 

Verhaltensauffällige Kinder – was steckt dahinter?

Um geeignete Fördermaßnahmen für verhaltensauffällige Kinder zu entwickeln, ist es wichtig, Kinder zu verstehen. Wer aufmerksam wahrnimmt, was Kinder belastet, sieht, was sie verletzen kann.

Je mehr Risikofaktoren zusammenkommen, umso wahrscheinlicher ist es, dass das Kind Verhaltensauffälligkeiten zeigt.

Es ist wichtig, die Ursache für die Auffälligkeit zu finden. Eltern und Kind müssen den Dingen zusammen auf den Grund gehen.

 

Welche Gründe können dahinter stehen?

Hinter den Verhaltensauffälligkeiten können verschiedene Gründe sein.

Dazu gehören beispielsweise

  • Erbanlagen

  • Dispositionen

  • Entwicklungsverzögerungen

  • Behinderungen

  • Fehlernährung

  • Langwierige oder schwere Krankheiten

  • Geburtsschäden

Viele der obigen Gründe können nur wenig beeinflusst werden. Auf einiges können Eltern dennoch achten. Dazu gehört ein kindgerechter und ehrlicher Umgang mit Konflikten und offene Gespräche - sowohl bei Meinungsverschiedenheiten zuhause wie im Erklären von politischen Situationen.

 

Konflikte belasten auch Kinder

Wenn Kinder anhaltend mit Konflikten, mit schwierigen Situationen konfrontiert werden, können sie überfordert werden. Zumal ihnen schon früh viel abverlangt wird.

Kinder sind zunehmend von stressauslösenden Faktoren umgeben. Von der Corona-Krise über den Ukraine-Konflikt, all das geht an den Kindern nicht spurlos vorbei. (Vgl. Seelische Probleme bei Kindern)

Die Unbeschwertheit ist während der Pandemie bereits für Kleinkinder verlorengegangen. Sie haben gelernt, Abstand halten zu müssen, dass Menschen Masken tragen, dass Umarmungen gefährlich werden können.

Das Ausmaß davon ist heute nicht einmal absehbar.

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Die Auswirkungen der modernen Technik

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Digitalisierung. Der Fortschritt der Technik ist rasant. Urlaub und Freizeit verschwimmt mit dem Berufsleben, weil man durch seine Smartphones ständig erreichbar ist.

Wenn wir ehrlich sind, sind auch wir Erwachsenen von unserem modernen, schnelllebigen Leben eigentlich oftmals überfordert. Das gilt auch für Kinder.

Die Zeiten ändern sich und damit auch das Spielverhalten der Kinder. Kleinkinder können problemlos Youtube-Videos starten.

7-jährige spielen Kriegsspiele am PC. Online kämpfen sie gegen Freunde – oder gegen Fremde. Sie leben in einer Phantasiewelt - die oft genug von Brutalität bestimmt ist.

 

Das ganz normale Spielen geht verloren

Ein Phänomen von Spielkonsolen ist, dass das Zeitempfinden völlig verloren geht. Drei Stunden fühlen sich an wie 30 Minuten. Das geht unweigerlich zulasten von gesunder Bewegung an der frischen Luft.

Die Kinder verlieren den Spaß an traditionellen Kinderspielen wie Verstecken, Fangen oder Kastanienbasteln, weil es natürlich im Vergleich wenig spannend erscheint.

Die richtige Balance finden und vorgeben, das kann für Eltern schwer sein. Kinder wachsen heute mit dem Internet und den sozialen Medien auf. Bereits in der Grundschule werden die ersten Informatik-Grundlagen gelegt. Sie können sich in das Videostream-Programm einloggen und beispielsweise via Youtube auf Inhalte zugreifen, für die sie viel zu jung sind.

Das kindliche Gehirn kann die Informationen nicht ausreichend verarbeiten.

Die Folge: Eine gefährliche Reizüberflutung, die sich stark auf die soziale Entwicklung des Kindes auswirken kann.

 

Noch Verhaltensauffälligkeit oder schon Verhaltensstörung?

Verhaltensauffälligkeiten unterscheiden sich von Verhaltensstörungen in der Intensität und der Häufigkeit. Beide können als abweichende Verhaltensweisen bezeichnet werden.

Verhaltensstörungen treten aber erst im späten Kindes- bzw. im frühen Jugendalter auf. Jungen sind viel häufiger betroffen als Mädchen.

 

Welche Fördermaßnahmen bei verhaltensauffälligen Kindern gibt es?

Das Schöne ist: Jedes Kind hat Schutzfunktionen in sich (vgl. Resilienz & Kinder). Jedes Kind hat eine eigene Persönlichkeit. Das kann Risikofaktoren ausgleichen. Wenn die (Vor-) belastung aber zu groß wird, ist die Gefahr groß, dass das Kind verhaltensauffällig wird.

Ein stabiles und sicheres Umfeld, auch in der Familie des Kindes, sind wichtig. Das gesamte soziale Netz des Kindes ist gefragt.

 

Kinder brauchen Sicherheit

Kinder brauchen Schutz und Vertrauen. Von den Reaktionen der Eltern auf ihr Verhalten lernen sie, ihre Gefühle zu regulieren. Das gilt sowie im Positiven wie im Negativen: Wenn ihr Verhalten gelobt wird - aber auch, wenn Grenzen gezogen werden. Vgl. Grenzen setzen bei Kindern – Kind hört nicht und provoziert – Durch diese Regulierung erlernen Kinder Sozialverhalten.

Viele Eltern sind aber genau damit überfordert: Vater und Mutter sind berufstätig und wenig zuhause. Das Kind hat keine ständig anwesenden Bezugspersonen.

Im Gegenteil: Viele Kinder sind mittags nach der Schule alleine zuhause. Niemand wartet mit einem Essen, lieben Worten und Hausaufgabenbetreuung auf sie. Viele müssen sich stattdessen um kleinere Geschwister kümmern.

Um zu psychisch gesunden Erwachsenen zu werden, brauchen Kinder viel Verständnis, Respekt und Akzeptanz.

 

Die Rolle der Schule

Zugegeben: Es ist viel verlangt von den Lehrern. Die Klassen werden größer. Der Lernstoff ist umfangreich. Verhaltensauffällige Kinder sind eher im Fokus der Lehrkräfte, wenn sie laut sind. Aber auch da sind die Möglichkeiten eingeschränkt. Den Lehrkräften fehlt oft einfach die Zeit.

Viele Lehrer sind leider dankbar, wenn das Kind still und unauffällig ist. So werden Kinder, die an ADS leiden, oft schlicht übersehen.

Idealerweise sollten Lehrer die Schüler*innen genau beobachten und sich fragen:

  • Wird das Kind gemobbt?

  • Fühlt es sich in der Schule unverstanden?

  • Kommt es mit dem Stoff klar?

  • Wurde es von der Klasse in eine Rolle gedrängt?

  • Hat es Freunde? Vgl. auch: Kind hat keine Freunde im Kindergarten – Ursachen & Tipps

  • Ist es in den Pausen immer alleine?

  • Ist die häusliche Situation schwierig?

  • Nehme ich genug Rücksicht auf die verschiedenen Eigenschaften der Kinder?

  • Gibt es extremen Leistungsdruck?

  • Existiert ein Konkurrenzkampf, besonders vor dem Übertritt auf eine weiterführende Schule?

Kinder, die sich abgelehnt fühlen, leiden. Oft werden ihnen in der Schule Rollen zugeschrieben. Im Laufe der Zeit werden sie oft zu dieser Rollenfigur.

 

Die Rolle der Eltern

Eine der wichtigsten Aufgaben für Eltern ist, ihr Kind zu stärken. Dazu gehört, sich auf die positiven Seiten und Aspekte ihres Kindes zu konzentrieren. Denn jedes hat seine eigenen, ganz speziellen Talente (vgl. Die Stärken eines Kindes). Die Eltern sollten diese erkennen und fördern.

Jedes Kind ist anders und benötigt eine individuelle Unterstützung durch die Eltern.

 

Kinder nehmen Rollen in der Familie ein

Gerade in Familien mit mehr als einem Kind nimmt jedes Kind einen eigenen Platz ein. Damit verbunden ist oft eine individuelle Rolle. Welche Rolle das ist, wird durch das elterliche Verhalten maßgeblich festgelegt.

Die Eltern können sich bewusst fragen:

  • Hat das Kind zuhause eine Rolle eingenommen?

  • Ist es mit diesem Platz im Familiengefüge glücklich?

  • Wird es eher geschützt oder kritisiert?

  • Ist es beispielsweise das Sonnenkind oder das Schattenkind der Familie?

Auch im gemeinsamen Gespräch kann sich zeigen: Fühlt das Kind sich zuhause sicher und geliebt?

 

Fördermaßnahmen bei Verhaltensauffälligkeiten

Entwicklungsmöglichkeiten bieten.

Mag das Kind sich gerne bewegen? Vielleicht ist ein Sportverein besser als der Klavierunterricht. Manchmal dauert es, die richtige Freizeitaktivität für sich herauszufinden.

Freizeitverhalten hinterfragen

Verbringt das Kind zu viel Zeit vor PC, Handy und Spielkonsolen? Sitzt es zu viel vor dem Fernseher? Wie kann man die Freizeit aktiver gestalten? Wenn die ganze Familie beispielsweise am Wochenende Ausflüge macht, kommt das Kind spielerisch mit der Natur in Kontakt.

Freundeskreis beobachten

Welche Freunde hat das Kind? Beeinflussen sie das Kind positiv oder eher negativ? Auch wenn Kinder ihre eigenen Freundschaften wählen oder gestalten sollten: Wenn es klare rote Flaggen gibt, sollten Eltern ein ernstes und ehrliches Gespräch mit dem Kind nicht scheuen.

Gemeinsame Mahlzeiten

Miteinander essen ist inzwischen zur Seltenheit geworden. Jedes Familienmitglied isst, wann es hungrig ist, was gerade im Kühlschrank ist. Gemeinsame Mahlzeiten sind wichtig. Sie stärken das Familiengefüge und bringen Struktur.

Abwechslungsreiche und gesunde Ernährung

Die Ernährung hat einen großen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort “Du bist, was Du isst.” Kinder, die genügend Vitamine und Mineralstoffe zu sich nehmen, haben allein mehr Energie für körperliche und kognitive Tätigkeiten.

Zuhören und emotional anwesend sein

Es klingt so einfach, aber aufmerksames Zuhören ist in vielen Familien selten. Es fehlt die Zeit, andere Dinge werden parallel erledigt, die Eltern werten, anstatt einfach zuzuhören.

Kindliche Entwicklungsphasen berücksichtigen

Wie schon oben erwähnt, ist jedes Kind anders. Zudem können Situationen und Phasen wie der Schulübertritt das Kind belasten. Hier ist es wichtig, nicht zu bewerten oder das Kind abzuwerten. Vielmehr sollten die Eltern das Kind unterstützen und ihm oder ihr signalisieren, dass sie immer da sind.

Erwartungen an das Kind überprüfen

Wird von dem Kind zu viel erwartet? Kann es all das wirklich erfüllen? Stecken dahinter vielleicht eigene nicht erfüllte Träume und Wünsche? Egal, was dahinter steckt, jedes Kind möchte dafür geliebt werden, dass es da ist, nicht dafür, was es leistet.

 

Ausblick: Förderung bei Verhaltensauffälligkeit

Jedes Alter bringt eigene Herausforderungen mit sich und die Problematik kann sich verlieren. In vielen Fällen ist es nur eine Phase, die vorbeigeht.

Ein kritischer Blick auf die eigenen Erziehungsmethoden kann aber ein wichtiger Schritt sein. Nicht im Sinne von Schuldzuweisung, sondern um nach Hinweisen und einer Lösung zu suchen: Was trägt man als Eltern vielleicht selbst sogar unwissentlich bei?

Dann sind diese fünf Tipps eine wichtige erste Leitlinie:

  1. Sicherheit geben und das Gefühl, dass das Kind gut genug ist

  2. Geduld haben

  3. Dem Kind zuhören

  4. Auf das Kind eingehen und Probleme ernst nehmen

  5. Strukturen und feste sinnvolle Regeln schaffen

Wenn das Kind sich in seinen Sorgen und Nöten ernstgenommen und verstanden fühlt, ist der erste, wichtigste Schritt schon getan. Vieles löst sich nach und nach vielleicht auf.

Sollte doch eine psychische Erkrankung wie ADHS, Entwicklungsstörungen oder Autismus dahinterstehen, kann der Besuch in einer psychiatrischen und/ oder psychotherapeutischen Praxis helfen.

Ariane Faralis

Ariane ist studierte Soziologin & hat eine eigene private psychotherapeutische Praxis. Sie verstärkt unsere Online-Redaktion mit fundierten Fachtexten und wertvollem Content. Ariane’s Motto: ”Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit” (Erich Kästner)

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