ADHS-Erziehungsfehler – Tipps für den Alltag mit ADHS-Kindern
Kinder mit ADHS stecken voller Energie und Kreativität, haben aber auch besondere Bedürfnisse. Heute werden so viele Erwartungen an Kinder und Erwachsene gestellt, dass Eltern und Erzieher unbewusst Fehler unterlaufen – vor allem in stressigen Phasen.
Ist ADHS ein Erziehungsfehler?
Mit Sicherheit nicht. ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist eine Krankheit, eine sogenannte „neurodevelopmentale Störung“, die in der Regel durch eine Kombination von genetischen, biologischen und umweltbedingten Faktoren verursacht wird.
ADHS beeinflusst die Art und Weise, wie das Gehirn Informationen verarbeitet.
Das hat selbstverständlich Einfluss auf das Befinden und Verhalten von betroffenen Kindern.
Erziehung beeinflusst ADHS
Eltern und Erzieher können jedoch mit ihrer Erziehungsmethodik unbeabsichtigt Symptome und Verhaltensschwierigkeiten verstärken. Dazu gehören beispielsweise:
Mangelndes Verständnis: Wenn Eltern oder Betreuer die Symptome von ADHS nicht verstehen, führt das zu Missverständnissen und falschen Reaktionen auf das Verhalten des Kindes.
Negative Verstärkung: Harte oder negative Konsequenzen für impulsives oder unaufmerksames Verhalten verringern das Selbstwertgefühl des Kindes. » Entwicklungstrauma sowie unsichere Bindung
Unrealistische Erwartungen: Hohe oder nicht angepasste Erwartungen an das Verhalten und die Leistung eines Kindes mit ADHS führen zur Frustration und Stress.
Inflexibilität: Eine wenig anpassungsfähige Erziehung, die keine Rücksicht auf die Bedürfnisse und Stärken des Kindes nimmt, ist definitiv kontraproduktiv bis schädlich.
Vgl. auch: Tipps zum Umgang mit ADHS-Kindern
Beispiel:
eine typische Situation mit ADHS-Kind
Wahrscheinlich kennst du das von deinem eigenen Kind oder hast es bei anderen Eltern von ADHS-Kindern miterlebt: Du forderst das Kind zu etwas auf, aber es nimmt deine Worte nicht wahr bzw. überhört sie. Also wiederholst du deine Aufforderung – dieses Mal mit Nachdruck, weil du gereizt und verärgert darüber bist, dass du ignoriert wirst.
Doch dein Kind tut immer noch nicht das, wozu du es aufgefordert hast. Das ist der Moment, in dem du nicht mehr weiter weißt und beginnst, wütend Drohungen auszusprechen. Aber auch damit hast du keinen Erfolg, das Kind reagiert nicht. Schließlich stellt sich bei dir völlige Verzweiflung und Ratlosigkeit ein.
Im Grunde bleiben dir nur folgende Möglichkeiten: Nachgeben oder autoritär handeln. Was jetzt?
Gibst du nach, lernt das Kind, dass es dein „Meckern“ nur lange genug ertragen muss, bis du endlich aufhörst, Anforderungen an es zu stellen. Oder es wird deine Aufforderungen nicht mehr ernst nehmen und beim nächsten Mal noch stärker beim „Nein“ verharren.
Reagierst du jetzt gereizt, lernt dein Kind, dass am Ende nur noch Gewalt hilft – dieses Prinzip wird es auf jede andere Situation übertragen.
Siehe auch: Kind hört nicht und provoziert – So setzt du Grenzen!
Der häufigste Fehler bei ADHS-Kindern
Wenn dein Kind irgendwann doch der Aufforderung nachkommt, wird es trotzdem keine schönen Erfahrungen machen. Denn häufig sind Eltern mit anderen Tätigkeiten beschäftigt und wenden sich diesen wieder zu, wenn das Kind endlich ihren Wünschen entspricht.
Das Kind bekommt also keine Reaktion auf sein Tun. So macht es in diesem Fall die Erfahrung, dass sein „gutes“ Verhalten weniger Beachtung findet, als wenn es sie verweigert. Da ein Kind mit ADHS einen großen Bedarf nach Aufmerksamkeit hat, wird es sich automatisch wieder dem Verhalten zuwenden, bei dem es die meiste Aufmerksamkeit bekommt.
14 ADHS-Erziehungsfehler und ihre Folgen
Die Erziehung von Kindern ist eine Herausforderung, die viel Geduld, Empathie und Verständnis erfordert – und das gilt besonders für Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS).
In diesem Kontext ist es entscheidend, das richtige Gespür für die Bedürfnisse von Kindern mit ADHS zu entwickeln und eine unterstützende Umgebung zu schaffen.
1) Zu wenig elterliche Selbstfürsorge
So einzigartig und wundervoll jedes Kind auch ist – ein ADHS-Kind im Alltag und durchs Leben zu begleiten, ist sehr herausfordernd. Daher ist es überaus wichtig, dass Eltern auf die eigenen Bedürfnisse achten. Denn, wenn du zufrieden und ausgeglichen bist, hat dein Kind viel mehr von dir.
Leider machen viele Eltern diesen Erziehungsfehler, sowohl mit gesunden als auch kranken Kindern. Doch Zeit für sich selbst ist essenziell für einen guten Familienalltag. Du wirst sehen, der Umgang mit ADHS-Kindern wird dir viel leichter fallen, wenn du dich erholt fühlst.
Vgl. auch: Resilienzstärkung im Alltag – innere Stärke für die Familie
2) Perfektionismus bzw. zu hohe Ansprüche stellen
Ordnung und Struktur tun Kindern gut, keine Frage (» Familienregeln). Doch wer zu sehr auf Pünktlichkeit und Perfektion beharrt, tut weder sich noch dem Liebsten einen Gefallen.
Wichtiger als ideale Ergebnisse sind die vielen kleinen Schritte, die ADHS-Kinder machen, wenn sie eine Aufgabe erledigen oder sich mit etwas beschäftigen.
3) Fokus auf negative Aspekte
Es ist absolut menschlich, dass du bei dauerhaft erhöhtem Stresspegel vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr siehst. Das Leben mit einem ADHS-kranken Kind ist von so vielen herausfordernden Situationen geprägt, sodass die positiven Eigenschaften, Erfahrungen und Momente manchmal untergehen, die eine gute Bindung zu deinem Kind ermöglichen.
Unser Rat für ADHS-Eltern: Rufe dir Alltagsmomente vor Augen, die dein Kind heute schon besser bewältigen kann als vorher. Zum Beispiel 15 Minuten das gleiche Spiel zu spielen, ohne abgelenkt zu werden. Das ist ein großer Kraft- bzw. Konzentrations-Aufwand, der wirklich beeindruckend ist, wenn du bedenkst, wie einfach es hier andere Kinder haben.
Noch viel wichtiger: Sage deinem Kind, dass du dich freust, wenn es dies oder jenes gut macht.
4) Zu viele Regeln und Verbote
Kinder mit ADHS benötigen mehr – mehr Struktur, die Sicherheit gibt; mehr Ordnung, die Orientierung bietet; mehr Regeln (im Sinne eines zuverlässigen Leitfadens), die Unterstützung und Anleitung im Alltag garantieren.
Ein häufiger ADHS-Erziehungsfehler liegt darin, den Kindern ohne Nachzudenken eine Vielzahl von Geboten aufzuhalsen. Genau das setzt die Kinder unter Druck und gibt ihnen das Gefühl, nicht richtig zu sein.
Besser als viele Regeln ist die konsequente Anwendung einiger weniger, aber wichtiger Familienregeln. Auf diese Weise kann sich dein Kind in einem sicheren Rahmen frei entwickeln.
5) Häufige Kritik statt Lob
Strenge Bestrafungen oder häufiges Kritisieren können nicht nur das Selbstvertrauen beeinträchtigen, sondern gefährden das Selbstwertgefühl des Kindes mit einiger Sicherheit. Es ist nachgewiesen, dass dieses strenge und autoritäre Verhalten die ADHS-Symptome nur noch verstärkt.
» Selbstwertgefühl von Kindern stärken
Melde deinem Kind lieber Positives zurück, z. B. wenn es sich an Regeln hält.
6) Inkonsequenz bei Regelungen
Bleibe konsequent, wenn du bestimmte Regeln aufgestellt hast. Es ist nämlich ein häufiger ADHS-Erziehungsfehler, nicht standhaft zu bleiben. An dem einen Tag erlaubst du dem Kind etwas, weil du gestresst bist, zum Beispiel länger TV zu gucken oder wach zubleiben, aber am nächsten Tag wird das Kind dafür bestraft. Das kann nicht funktionieren.
Halte Regeln ein und sprich diese mit deinem Umfeld ab. So wird dein Kind nicht nur die Regeln, sondern auch dich als „echt“ (authentisch) wahrnehmen und nicht an dir zweifeln.
7) Keine Vorbereitung
Planung ist bei ADHS-Kindern das A und O. Das bedeutet nicht, dass du alles minutiös vorausplanen sollst, es geht vielmehr darum, gut auf bekannte Probleme eingehen zu können.
Als Elternteil und wichtigste Bezugsperson weißt du am besten, welche Situationen besonders herausfordernd für dein Kind sind, z. B. Hausaufgaben machen, Besuch zu Hause bekommen, Bus fahren, im Supermarkt einkaufen etc.).
Spreche gerne mit deinem Kind darüber und bereite es darauf vor, dass du es kurz vor solchen Situationen an die 3 wichtigsten Regeln passend zum jeweiligen Ereignis erinnerst.
8) Kind unter Stress setzen
Einer der gravierendsten Fehler in der Erziehung von Kindern ist es, sie Stress auszusetzen. Vor allem Konflikte und Streitereien verstärken ADHS-Symptome massiv.
Steckst du in einer Situation, in der du merkst, dass du sauer wirst und es in dir kocht, dann unterbreche sofort die Diskussion mit deinem Kind und kündige an, dass du eine kurze Auszeit brauchst. Bitte verlass den Raum, mach einen Spaziergang oder irgendetwas anderes, womit du deine Emotionen gut regulieren kannst. Im Anschluss kannst du noch einmal das Gespräch mit deinem Kind suchen.
Denk daran: Auch Kinder mit ADHS haben gute und schlechte Tage – sowie jeder andere auch.
9) ADHS als Erklärung für alles
Dein Kind bemerkt unterbewusst genau, wie du als Elternteil mit den ADHS-Symptomen umgehst und auf sie eingehst oder nicht.
Entsprechend wird sich auch dein Kind verhalten. Damit ein Kind seine ADHS nicht als Erklärung oder Entschuldigung für alles benutzt, muss es verstehen, was mit ihm los ist und welches Verhalten in bestimmten Situationen angemessen ist.
10) Zu viel Bildschirmzeit
Heute verbringen viele Kinder leider zu viel Zeit vor Bildschirmen anstatt draußen an der frischen Luft. Damit sind elektronische und digitale Geräte gemeint, zum Beispiel TV, Computer, Videospiel-Konsole, Smartphones). Gerade diese reiz-intensiven Beschäftigungen können sich sehr ungünstig auf ADHS-Kinder auswirken und sie noch unruhiger machen.
Das soll nicht heißen, dass Kinder mit ADHS nie fernsehen oder auf dem Handy spielen dürfen. Die Bildschirmzeit sollte jedoch wohl dosiert gestattet werden.
Du kannst die Bildschirmzeit z.B. als Belohnung für erledigte Aufgaben nutzen. Wichtiger ist es allerdings, eine bildschirmfreie Zeit mit Ausflügen in die Natur und Hobbys zu fördern.
11) Kein ADHS-Training fürs Kind
Viele Eltern möchten ihr Kind nicht belasten und versäumen es daher, es über ADHS aufzuklären. Auf diese Weise lernt das Kind jedoch nicht, seine eigenen Bedürfnisse zu verstehen und mit unangenehmen Symptomen umzugehen.
An dieser Stelle daher eine Bitte:
Sprich mit deinem Kind über ADHS und hilf ihm, Strategien zu finden, mit denen es sich selbst beruhigen oder helfen kann.
12) Strafen bei impulsiven Verhalten
Mangelndes Wissen über die Symptome und Herausforderungen von ADHS führt dazu, dass Eltern das Verhalten ihrer Kinder falsch interpretieren und sie für spontane, impulsive Handlungen bestrafen.
Nicht weil die Eltern so gerne Strafen verhängen, sondern weil die ADHS-Symptome mit schlechtem Verhalten verwechselt werden.
ADHS-Kinder haben jedoch andere Bedürfnisse als gesunde Kinder und benötigen daher auch andere Unterstützung im Alltag.
13) Vergleiche mit anderen Kindern
Wird das Kind häufig mit Geschwistern oder Altersgenossen verglichen, ist Frustration vorprogrammiert. Das Selbstwertgefühl von Kindern ist sehr sensibel und muss sich erst entwickeln. Gerade solche Vergleiche können das Selbstwertgefühl dann negativ beeinflussen.
Stattdessen ist es wichtig, die individuellen Stärken eines jeden Kindes zu erkennen und zu fördern. Sage deinem Kind lieber zu oft als zu selten, dass es in Ordnung ist, anders zu sein und kein Mensch gleich ist. Diese Art der Bestärkung ist entscheidend, um die Resilienz des Kindes zu unterstützen.
14) Ignorieren von speziellen Bedürfnissen
ADHS-Kinder brauchen eine gezielte Förderung, um sich frei entwickeln zu können. Erhalten sie diese Unterstützung nicht, haben sie kaum die Möglichkeit, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln und Selbstwirksamkeit zu erfahren.
Wichtig ist, dass diese Unterstützung nicht mit Druck verbunden ist. Es geht darum, das Kind zu ermutigen, neue Interessen zu entdecken und seine Stärken in einem geschützten Rahmen auszuprobieren.
Kleine Erfolge sollten gefeiert werden, egal, wie unbedeutend sie auf den ersten Blick erscheinen. Ein einfaches „Ich bin stolz auf dich, dass du es versucht hast“ kann Wunder wirken und Kinder enorm motivieren.
Quellen:
1) ADHS Kompakt e.V.
2) familie.de
3) ADHS-Info