Armut bei Kindern – Max: Ein Beispiel der Kinderarmut

Bei uns zu Hause ist es anders“, erzählt Max. Der Junge mit den braunen Haaren besucht die erste Klasse einer Hauptschule. Auf den ersten Blick wirkt er wie jedes andere Schulkind auch. Doch Max zählt zu den 3 Millionen Kindern in Deutschland, die als armutsgefährdet gelten.

Vgl. auch Kinderarmut erkennen – subtile Anzeichen

Wenn am Monatsende nichts bleibt

Meine Mama hat wenig Zeit, weil sie 2 Jobs hat. Und ich kann nicht so viel machen, weil wir wenig Geld haben.
— antwortet Max auf Nachfrage, was denn bei ihm so anders sei.

Damit meint der 7-Jährige keine Markenklamotten oder ein angesagtes Handy, sondern die einfachsten Dinge, wie spontan Eis essen zu gehen oder am Wochenende im Kino einen Film zu sehen.

Eigentlich macht mir das nichts aus...Nur ab und zu fühlt sich alles schwerer an als bei den anderen Kindern in meiner Klasse.
Und ich mag nicht, dass meine Mama traurig ist.

Max glaubt, dass die Sorgen seiner Mutter etwas mit ihm zu tun haben. Zum Beispiel gestern, als er einen Brief von der Schule mitbrachte: für ein neues Arbeitsheft in Deutsch müssen 12,99 € bezahlt werden. Was für einige nach wenig klingt, ist für Max’ Mutter viel.

Die Alleinerziehende arbeitet als Putzkraft bis in den späten Abend, da sie 2 Anstellungen hat. Doch trotzdem reicht das Einkommen kaum bis zum Monatsende.

Wenn es nur das Arbeitsheft für 12,99 Euro wäre, doch in der Regel bleibt es nicht dabei. Entsprechende Schulbriefe kommen häufig nach Hause, zum Beispiel für einen Klassenausflug, Bücher und Klassenlektüre, Kopiergeld etc. Die Beträge summieren sich. Und dann sind das ja nicht die einzigen Kosten, die im Familienleben anfallen.

Am Ende des Monats wird es für Max und seine Mutter besonders knapp. Die Mama kocht dann „kreativ“, berichtet Max mit einem großen Grinsen. Nudeln mit Ketchup hat er am liebsten. Die gibt es immer dann, wenn nichts mehr im Kühlschrank ist, um richtig zu kochen. Dabei spürt der 7-Jährige, dass es um mehr geht als nur etwas Geld:

Wenn ich traurig bin, umarmt mich meine Mama ganz fest. Danach geht es mir etwas besser.

Ich wünschte, ich könnte ihr auch so eine Umarmung geben, damit sie sich nicht so viele Sorgen macht.
 

Aufwachsen in Armut ist keine Bagatelle

Was Kinderarmut bedeutet …

Die relative Armut in Deutschland ist weniger offensichtlich als die absolute Armut in Entwicklungsländern. Dennoch ist sie vorhanden. Vgl. Kinderarmut in Deutschland

Viel wichtiger: Kinderarmut in Europa erscheint subtiler, doch ist sie genauso schwerwiegend. Kinder in Armut leiden nicht nur unter Geldmangel, sondern vielmehr unter täglichen Benachteiligungen, die ihr Selbstwertgefühl schwächen und Entwicklungsmöglichkeiten einschränken. Vgl. Was Armut mit Kindern macht

Armut hat extreme Folgen in grundlegenden Lebensbereichen wie Bildung, Gesundheit, Wohnen und gesellschaftliche Teilhabe. Die vielfachen Nachteile durchdringen einander und schaffen so eine komplexe Wechselbeziehung, die nur schwer zu bekämpfen ist. Vgl. Teufelskreis der Armut

Kinder in solchen Lebensumständen haben nicht nur zu wenig Materielles, sondern erleben einen grundlegenden Mangel an Wertschätzung, Zukunftsperspektiven und Gleichberechtigung.

 

Beispiel: Kinderarmut und Wohnungsnot

Max und seine Mutter wohnen an einer viel befahrenen Straße in einer 1,5-Zimmer-Wohnung. Eine größere Wohnung kann sich seine Mutter nicht leisten. Ein eigenes Zimmer hätte der Junge gerne, doch noch viel lieber wäre es ihm, an einem Ort zu wohnen, wo es nachts ruhig ist. Denn das Brummen und Hupen der Autos findet er in der Nacht viel zu laut. Außerdem verängstigen Max die Schreie und Streitereien, die von den dunklen Straßen in die Wohnung hallen.

Oft kann ich nicht so gut einschlafen. In der Schule bin ich manchmal müde und passe nicht auf. Die Lehrerin schimpft mich dann immer.
— berichtet der Junge

Wohnen in Enge & Lärm

Ein oft unterschätzter, aber wichtiger Faktor für die Allgemeingesundheit von Erwachsenen und Kindern ist das Wohnen. Studien belegen vielfach, wie negativ sich beengte Wohnräume und ein lautes Wohnumfeld auf die psychische und körperliche Gesundheit auswirken.

So wie Max und seine Mutter leben die meisten benachteiligten Familien auf zu engem Wohnraum in sogenannten „Problemvierteln“.

Das wirkt sich wiederum schlecht auf die Leistungen und die Gesundheit der Kinder aus. Heranwachsenden fehlt so der Rückzugsort, um sich zu erholen und ungestört lernen zu können. Das hat Einfluss auf die Noten und den weiteren Schulweg.

 

Eltern am Limit ohne Aussicht auf Besserung

Betroffene Eltern, wie Max’ Mutter, stehen vor Herausforderungen, die weit über finanzielle Sorgen hinausgehen. Ständige Geldknappheit, unsichere Arbeitsplätze, Leben auf engstem Raum etc. sind nichts anderes als chronischer Stress.

Dieser zeigt sich oft in gesundheitlichen Problemen, wie Kopf- und Rückenschmerzen, Schlafstörungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch psychische Leiden und Erschöpfungszustände sind typisch.

Der Einfluss dieser Belastungen auf das Leben mit den Kindern ist enorm. Eltern, die mit schweren Sorgen zu kämpfen haben, übersehen vor lauter Erschöpfung die Bedürfnisse ihrer Kinder nach Nähe, Spielen, Gesprächen und gemeinsamen Erlebnissen.

Sie tun das nicht, weil sie schlechte Menschen sind, sie tun das, weil sie überfordert sind und verständlicherweise Hilfe brauchen.

Vgl. auch Bedürfnisorientierte Erziehung und Entwicklungsstufen

Unter all den belastenden Umständen geht betroffenen Eltern schlicht die Kraft aus, auf die Bedürfnisse ihrer Kinder feinfühlig zu reagieren und aktiv nach Hilfe oder Beratung zu suchen, um die Situation zu verbessern. 

Aufgrund diskriminierender Erfahrungen (insbesondere in Kontakt mit Ämtern)  verlieren so manche auch den Glauben daran, dass ihre Anstrengungen überhaupt etwas nützen.

 

Kinderarmut führt zu Isolation und Einsamkeit

Viele Eltern geben alles, um die Familienarmut vor ihren Kindern zu verstecken. Doch Armut erzeugt Scham, Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle. Das alles sind erschreckende psychische Zustände, die sich negativ auf den Alltag einer Familie auswirken. Überdies sind Familien in Not so emotional belastet, dass sich viele sozial zurückziehen, Freizeitaktivitäten meiden und viel Zeit zu Hause verbringen. 

Vgl. Was ist Armut? und Soziale Armut (Netzwerk-Theorie) sowie Kinderarmut & Scham

Menschen, die sich in einer schwierigen Lage befinden, sich ausgegrenzt fühlen und nicht am allgemeinen Lebensstandard teilhaben können, isolieren sich aus Selbstschutz. Teils fehlen auch schlichtweg die Mittel, zum Beispiel weil der Eintritt ins Schwimmbad einfach zu teuer ist.

Alle in meiner Klasse erzählen am Montag, was sie Tolles am Wochenende oder in den Ferien gemacht haben. Zum Beispiel gehen die in einen Freizeitpark oder waren am See oder in einem anderen Land.
— sagt Max

Kein Wunder, dass Armut nicht nur bei Erwachsenen, sondern schon in der Kindheit Einsamkeit hervorruft. Manche Kinder berichten, dass sie vor allem die freien Tage unangenehm finden: Während andere mit ihren Eltern etwas unternehmen und in der Schule davon erzählen, schlagen sie sich die Zeit irgendwie tot.

 

Studien über Kinderarmut belegen:

Zukunft ab 6 Jahren festgelegt

Die Ergebnisse der AWO-ISS-Längsschnittstudie sind ernüchternd: Oftmals sind die Weichen für die Zukunftschancen von Kindern bereits im zarten Alter von 6 Jahren festgelegt (1). Zudem entscheidet schon in jüngsten Jahren der finanzielle Hintergrund der Familie maßgeblich darüber, inwiefern die Kinder an frühkindlichen Förderangeboten (wie Babyschwimmen und Krabbelgruppen) teilnehmen können.

Vgl. Bildungsarmut und Bildungsexpansion

Diese Unterschiede setzten sich im Laufe ihres Heranwachsens fort. Kinder aus ärmeren Verhältnissen bewegen sich im Vergleich deutlich seltener oder lernen ein Musikinstrument.

Diese Erkenntnisse sind alarmierend, da sie nicht nur die ungleichen Startbedingungen, sondern auch die langfristigen Entwicklungsunterschiede zwischen unterschiedlichen sozioökonomischen Schichten offenlegen. Genau dagegen kämpfen Soziale-Projekte in Deutschland an.

 

Fazit: Armut bei Kindern

Max verkörpert ein schlagendes Beispiel von Kinderarmut in Deutschland. Sein Leben ist geprägt von Einschränkungen, sozialer Isolation und einem stetigen Gefühl des Anders-seins. Der Stress und die Erschöpfung seiner Mutter spiegeln die Multidimensionalität der Armut wider, die Familien in allen Bereichen des Lebens trifft – von der Ernährung und Gesundheit über das Wohnen bis hin zur gesellschaftlichen Teilhabe.

Mehr Infos auf der Website unserer Kinderhilfe „Deutsche Lebensbrücke“:

 

Quellen:
1) ISS Langzeitstudie zur Lebenssituation und Lebenslage von (armen) Kindern
2) Familienhandbuch.de
3) DJI: Armut im frühen Grundschulalter

Tamara Niebler

Tamara ist studierte Philosophin (Mag. phil.) & freie Journalistin in München. Sie unterstützt unsere Redaktion mit jeder Menge Fachwissen und kritischen Denkanstößen. Tamaras Motto: „Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen“ (Franz Kafka)

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