Kinder psychisch kranker Eltern
Wenn Papa oder Mama anders sind
Millionen Kinder in Deutschland leben mit einem oder zwei psychisch kranken Elternteilen zusammen - mit gravierenden Folgen.
Jede Woche sterben in Deutschland etwa zwei Kinder unter 15 Jahren an den Folgen von Gewalt, körperlicher Misshandlung und Vernachlässigung.
Das sind Extremfälle. Aber sie sind die tragische Spitze des Eisbergs.
Etwa drei Millionen Kinder in Deutschland leben mit einem psychisch kranken Elternteil 1). Ca. 500.000 von ihnen haben Eltern, die an einer Schizophrenie oder Psychose leiden. Sie sind stark gefährdet, selbst eine psychische Krankheit zu entwickeln.
Ein Kinderleben mit ständiger Belastung
Kinder von psychisch kranken Eltern sind mit besonderen Belastungen und Beeinträchtigungen konfrontiert 2). Sie stellen eine besondere Risikogruppe dar.
Fast die Hälfte aller Kinder, die in kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen aufgenommen wird, hat einen Elternteil mit einer psychischen Erkrankung.
Kinder mit einem depressiven Elternteil haben ein dreifach erhöhtes Risiko, auch eine Depression zu entwickeln.
Wenn beide Eltern an einer Depression leiden, erhöht sich das Risiko auf 70 Prozent 3).
Wie wird die Entwicklung von Kindern psychisch kranker Eltern beeinflusst?
Es gibt nicht die eine Ursache. Die Entstehung der meisten psychischer Krankheiten ist vielmehr multidimensional begründet. Das heißt, mehrere Faktoren kommen zusammen.
Die Veranlagung kann zwar vererbt werden. Es muss aber nicht zum Ausbruch kommen. Andauernder Stress und Belastung beispielsweise können zu Auslösern werden.
Verschiedene weitere Faktoren beeinflussen die kindliche Entwicklung. Zu den wichtigsten Gründen zählen:
Genetische Faktoren
Krankheitsbedingt eingeschränktes Verhalten und mangelnde Fürsorge der Eltern
Hohe psychosoziale Belastungen in der Familie
Erhöhtes Risiko für Misshandlungen
Zusätzliche Erschwerung durch Suchtverhalten der Eltern 2)
Vgl. Die 5 Entwicklungsbereiche von Kindern – Persönlichkeitsentwicklung bei Kindern fördern & stärken
Die Auswirkungen in den jeweiligen Lebensphasen des Kindes
Bereits im Mutterleib nehmen Kinder mehr wahr, als lange Zeit angenommen wurde. Heute wissen wir: Kinder spüren psychische Probleme ihrer Eltern - und das nicht erst, wenn sie älter sind. Ganz im Gegenteil.
Vor der Geburt
Kinder spüren schon während der Schwangerschaft, wenn ihre Mutter gestresst ist. Wie es ihr in dieser Zeit geht, spielt eine wichtige Rolle für die spätere Stressregulation des Kindes.
Auch wenn die Erfahrungen dem Kind später nicht bewusst zugänglich sind: das kindliche Gehirn speichert sie ab.
Eventuelle Mittel zur Stressbekämpfung der Mutter bekommt das Kind über die Nabelschnur mit. Dazu zählen der Konsum von Alkohol, Nikotion und härteren Drogen 4).
Säuglingsalter
In den ersten beiden Lebensjahren wird das Urvertrauen gebildet. Bei Kindern psychisch kranker Eltern ist das oft nur schwer möglich. Sie wachsen mit wenig Vertrauen in die Menschen und ihre Umwelt auf.
Dieses Vertrauen später nachträglich aufzubauen ist schwierig und nur sehr bedingt möglich.
Kleinkindphase
Die ersten Lebensjahre sind kritisch. Kinder brauchen Nähe und Bindung. Sie brauchen den Blickkontakt, die Reaktion auf ihre Emotionen. Nur so lernen sie, ihre eigenen Emotionen zu regulieren.
Depressive Mütter beispielsweise haben mangelnden Antrieb und keine Energie – und spüren keine oder nur wenig Freude. Sie müssen sich dazu aufraffen, sich um ihr Kind zu kümmern. Das Kind leidet unter der emotionalen Vernachlässigung.
Kindergartenzeit
Für viele Kinder ist die Kindergartenzeit die erste richtige Trennung von ihren Eltern. Sie müssen mit vielerlei Eindrücken und Herausforderungen kämpfen.
Der für ein Kind oft stressige und belastende Tag im Kindergarten endet nicht mit einer so wichtigen, ausgleichend beruhigenden und geborgenen Zeit zuhause.
Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern werden deshalb oft schon im Kindergartenalter sichtbar.
Während der Grundschule
Mit Beginn der Schulzeit verschärfen sich die Probleme. Kinder, die kein sicheres Elternhaus erfahren, suchen teilweise die (negative) Aufmerksamkeit bei Lehrkräften. Einige sind introvertiert, andere stören den Unterricht.
Große Klassen und Zeitmangel bedeuten: Die Lehrer haben weder die Zeit noch die Kapazität, um genauer nachzuhaken.
Viele der betroffenen Kinder erfahren zuhause wenig schulische Unterstützung. Ihre Eltern haben keine Energie oder kein Interesse daran, ihrem Kind zu helfen.
Besonders die dritte und die erste Hälfte der vierten Grundschulklasse sind entscheidend. Hier werden die Weichen für die Zukunft gelegt. Viele betroffene Eltern sind aber zu stark mit sich und den Auswirkungen ihrer Krankheit beschäftigt um ihr Kind zu unterstützen.
Dem Kind morgens ein gesundes und nahrhaftes Frühstück zuzubereiten und mitzugeben, kann für Eltern mit psychischen Schwierigkeiten bereits eine unüberwindbare Anstrengung sein.
Mittlere Kindheit und Jugendalter
Die Pubertät ist eine herausfordernde Zeit für Eltern und Kind gleichermaßen. Für Kinder psychisch kranker Eltern verstärkt sich die Problematik in dieser Zeitspanne oft zusätzlich.
Kinder von psychisch kranken Eltern tragen die emotionalen Defizite aus der frühen Kindheit mit in die Teenagerzeit.
Sie erfahren weiterhin nicht die Stabilität und Sicherheit, die sie brauchen.
Die betroffenen Eltern können mit ihrem erwachenden Willen nicht mehr umgehen. Kinder die in gewalttätigen Familien leben, beginnen, sich zu wehren. Oft kommt es zur Eskalation.
Zudem nehmen die Kinder nun bewusster wahr, dass es bei ihnen zuhause nicht wie bei anderen Kindern ist.
Suizid ist bei kleineren Kindern eher selten. Anders im Jugendalter: Hier steigt die Gefahr stark an. Kinder die an schweren Depression leiden, sind bei Weitem kein Einzelfall.
Viele Kinder leiden an Schuldgefühlen, dass sie ihren Eltern nicht helfen können.
Einige Jugendliche stehen vor großen Probleme in der Schule und zuhause. Als letzten Ausweg fliehen sie aus dem Elternhaus - ohne Schulbildung und ohne Hoffnung auf eine stabile, glückliche Zukunft.
Warum suchen die Eltern keine Hilfe?
Die gesunde Entwicklung der Kinder ist bei psychisch kranken Eltern oft nicht gegeben. Nicht nur die Kinder, auch die Eltern brauchen Hilfe. Viele Eltern nehmen sie aber nicht oder nur spät in Anspruch.
Oft befürchten sie die Stigmatisierung, “krank” zu sein.
Ein großer Teil von ihnen ist schlicht nicht krankheitseinsichtig: Sie fühlen sich nicht krank und sehen keinen Handlungsbedarf.
Andere befürchten, ihre Kinder zu verlieren.
Warum werden manche Kinder krank und andere nicht?
Diese Frage beschäftigt Psychologen, Therapeuten und Ärzte seit langem. Genau sind die Ursachen immer noch nicht geklärt. Gründe sind
Die Resilienz des jeweiligen Kindes und seine individuelle Schmerzgrenze.
Die Fähigkeit des Kindes, traumatische und schwierige Situationen zu verarbeiten.
Die unterschiedliche Bewertung der Umwelt. Jedes Kind nimmt sein Umfeld anders wahr und bewertet es individuell.
Die kindlichen Bewältigungsmaßnahmen und Anpassungsfähigkeiten im Familienleben sind von Kind zu Kind unterschiedlich.
Wie können wir den Kindern psychisch kranker Eltern helfen?
1. Aufklärung
Nicht jedes Kind, das mit einem oder zwei psychisch kranken Elternteilen lebt, erkrankt selbst. Das Risiko erhöht sich aber, wenn das Kind keine „Anlaufstelle“ hat, keine Möglichkeit, sich auszutauschen.
Das Kind muss verstehen können, dass es an der Krankheit der Eltern nicht schuld ist. Das ist aus der subjektiven Sicht heraus schwierig. Oft kann eine psychotherapeutische Behandlung oder der Besuch einer Beratungsstelle sinnvoll sein.
2. Ansprechperson
Eine Ansprechperson bzw. nahestehende Person in der Kindheit zu haben, kann einiges abfedern. » Kindheit prägt das Leben
Es ist möglich, aber nicht notwendig, dass es eine verwandte Person ist. Wichtig ist dass er oder sie verständnisvoll ist, jederzeit ein offenes Ohr für das Kind hat und die Sorgen und Nöte ernst nimmt.
3. Unbeschwerte Zeit
Jedes Kind benötigt unbeschwerte Spiel- und Freizeit mit Freunden, in denen es einfach nur toben, rennen und Spass haben kann.
In schwierigen Familiensituationen ist der Ausweg oft schwer. Die Stimmung zuhause kann erdrückend werden. In vielen Familien gibt es für das Kind zusätzlich wenig oder keine Rückzugsräume. Umso wichtiger ist dann die Eingebundenheit in soziale Netzwerke sowie sorglose Momente. So wird ein stärkendes Gegengewicht zu der schwierigen häuslichen Situation geschaffen.
Entwicklungstrauma – Wenn Kinder ein negatives Selbstbild prägt
Unter einem Entwicklungstrauma leiden viele. Die meisten Erwachsenen wissen jedoch nichts davon, haben aber mit den Folgen ihres kindlichen Entwicklungstraumas zu kämpfen. Weiterlesen
Ausblick
Die drei oberen Punkte könnte man in “Unterstützung” zusammenfassen: Die Kinder müssen gestützt werden. Sie müssen gesichert und stabilisiert werden. Vgl. Gegen Kinderarmut
Das Jugendamt wird leider oft erst dann auf die Situation aufmerksam, wenn es Hinweise auf die Gefährdung des Kindeswohls gibt - oder die Eltern selbst Unterstützung suchen. (Vgl. auch Kindeswohlgefährdung in Deutschland)
Aber: Jede*r, der in seinem sozialen Umfeld ein Kind hat, das in einer schwierigen Situation ist (oder sein könnte), kann helfen!
Der erste und wichtigste Schritt ist hinsehen.
“Einfach nur” zuhören kann einen großen Unterschied machen. Es signalisiert dem Kind: Du bist nicht allein. Es ist in Ordnung, was Du fühlst und spürst.
Es ist vielleicht ob der Fülle und Schwere der Problematik, unter der Kinder psychisch kranker Eltern leiden, nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein, aber:
In unseren Sozial-Projekten gegen Kinderarmut unterstützen wir die Kinder, soweit wir können.
Es ist weit mehr als „nur“ das Bereitstellen einer täglichen Mahlzeit: Unsere Frühstücksklubhelfer*innen und Mitarbeiter*innen in den Mittagstischen haben immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Kinder.
Die Frühstücksklubs und Mittagstische sind klein und persönlich. Die Mitarbeiter*innen kennen ihre Schützlinge genau. Nach ein paar Wochen taut selbst das schüchternste Kind auf und erzählt von seinen kleinen und größeren Sorgen und Nöten.
Ach ja: Eine gesunde, leckere und kräftigende Mahlzeit sowie eine gehörige Portion Freude und Unbeschwertheit gibt’s immer mit dazu!
Und so sehen unsere Frühstücksklubs und Mittagstische aus:
https://www.lebensbruecke.de/gegen-kinderarmut/deutschland/fruehstuecksklubs.html
https://www.lebensbruecke.de/gegen-kinderarmut/deutschland/mittagstische-kinder.html
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