Überforderung bei Kindern erkennen

Wenn das Kind ständig gestresst ist…

Wie zeigt sich Überforderung bei Kindern? Und was können Eltern tun, um ihrem Kind zu helfen?

Nicht nur Erwachsenen leiden immer häufiger an psychischen Krankheiten. Auch Kinder sind zunehmend betroffen. Oft steht dahinter das Gefühl ständiger Überforderung. Der daraus resultierende Stress beeinflusst Kinder ebenso wie Erwachsene.

Stress raubt uns Kraft und Energie. Deshalb versuchen wir, schwierige Situation zu umgehen. Manchmal schaffen wir es. Manchmal werden wir vom Stress überwältigt.

Wenn wir Stress nicht mehr verarbeiten können, sind wir überfordert. Wir sind in Gefahr, krank zu werden.  

Viele psychische Erkrankungen, beispielsweise Esstörungen, entstehen aus selbst auferlegtem oder erzwungenem Perfektionismus: Die Krankheit ist ein Versuch, Überforderung zu bewältigen.

Mittlerweile leidet ca. jedes fünfte Kind an einer Depression oder Burnout.

Sehr oft kommen weitere psychische Erkrankungen hinzu. Zahlen, die erschrecken.

Überforderung bei Kindern - Anzeichen und Entstehung

Kindliche Überforderung ist nicht leicht zu erkennen. Viele Eltern sind sich nicht bewusst, dass sie ihr Kind chronisch überfordern.

Hinzu kommt: Bei kleinen Kindern vermuten sie keine psychische Krankheiten. Bei Jugendlichen erscheinen ihnen Stimmungsschwankungen normal.

Es gibt aber Warnzeichen. Wer auf sie achtet, kann reagieren.

Wie zeigt sich Überforderung bei Kindern?

Überforderung kann sich bei Kindern unterschiedlich zeigen. Meist ist sie zuerst auf körperlicher Ebene sichtbar. Später erscheinen geistige Symptome.

Die folgenden Symptome können ein Zeichen für Überforderung sein. Sie müssen ernstgenommen werden, wenn sie über einen längeren Zeitraum hinweg auftreten.

Körperliche Symptome:

  • Bauchweh

  • Schlafstörungen

  • Übelkeit

Geistige Symptome:

  • Traurigkeit

  • Emotionslosigkeit

  • Überstarke Emotionen

  • Aggressivität

  • Unruhe

  • Wut

  • Häufiges Weinen

Kindliche Überforderung kann durch verschiedenste Faktoren ausgelöst werden. Meist liegen die Ursachen im schulischen oder häuslichen Umfeld. Die häufigsten Gründe sind Leistungsdruck, gesellschaftliche Erwartungen und das familiäre Umfeld.

Überforderung in der Schule

Wir alle waren mal ein Schulkind. Dennoch: Viele Eltern versetzen sich wenig in ihre Kinder hinein. Sie können den schulischen Druck nur schwer nachvollziehen.

Mit Eintritt ins Schulalter erleben Kinder aber eine neue Dimension. Sie müssen sich an einen unbekannten Tagesablauf gewöhnen.

Sie sind mit Regeln, festen Strukturen und Hausaufgaben konfrontiert. Vgl. auch Familienregeln im Alltag + Beispiele

Die Coronavirus-Pandemie bedeutet zusätzlichen Stress. Die Kinder müssen morgens testen. Auf den Schulgängen herrscht Maskenpflicht.

All das ist für das kindliche Gehirn schwer zu verarbeiten. Hinzu kommen die Dinge, die die Schule belastend machen können.

Der Leistungsdruck

Manchmal scheint das Abitur der heilige Gral zu sein. Das Kind muss Abitur machen. Spätestens ab der vierten Klasse beginnt der Wettbewerb. Wer schafft es, den erforderlichen Notendurchschnitt zu erreichen?

Die Eltern setzen alle Hebel in Bewegung. Das Kind muss den Übertritt schaffen. Das Gymnasium ist das erklärte Ziel.

Einigen Kindern fällt es leicht. Andere tun sich schwer. Sie verlieren den Spaß an Schule und Lernen. Sie entwickeln Angst vor Schulaufgaben, Exen und Ausfragen.

Lernen in den Ferien

Kinder nehmen täglich viele neue Reize auf. Sie können sie aber noch nicht richtig verarbeiten. Schnell kommt es zur Reizüberflutung. Deshalb sind Ruhezeiten für Kinder sehr wichtig.

Eltern wollen oft nicht sehen: Nicht alle Kinder sind “geborene Akademiker”. Vielleicht ist das Kind langsamer in der Entwicklung. Vielleicht sollte es eine Klasse wiederholen. Vielleicht ist es eher handwerklich begabt.

Nichtsdestotrotz gilt für viele: Lernen, lernen, lernen. Oft viele Stunden am Tag, jeden Tag.

Viele Eltern werden zu selbsterklärten Aushilfslehrern. Selbst im Familienurlaub muss das Kind täglich stundenlang üben. Die Schule überschattet für manche Kinder fast alles.  

Sozialer Druck in der Schule

In Schulklassen bestehen fast hierarchische Strukturen.

  • Wer hat die meisten Freunde?

  • Erhalte ich so viele Stimmen, dass es zur Klassensprecherwahl reicht?

  • Bin ich so beliebt, wie ich gerne wäre?

  • Werde ich zu Geburtstagsfeiern eingeladen?

  • Haben die anderen Kinder mehr zum Anziehen? Schönere Klamotten?

  • Die meisten Kinder wollen der individuellen Klassendynamik entsprechen. Wer anders ist, wird schnell geärgert oder gemobbt.

  • Kinder aus wirtschaftlich schwachen Familien sind besonders verletzlich. Sie dürfen ihre Freunde nicht nach Hause bringen. Ihre Eltern haben kein Geld für die Bewirtung. Oder es gibt nicht genug Platz.

  • Bedürftige Kinder haben keine neue, schicke Kleidung. Sie spüren täglich, dass sie nicht mithalten können. Sie wissen, dass sie nicht dazuzugehören. Sie sind von Kindheit an Außenseiter. Das kann zur enormen Stressbelastung werden.

Vgl. auch: Kind hat keine Freunde im Kindergarten – Ursachen & Tipps

Überforderung zuhause

Helikoptereltern

Viele Eltern sind sogenannte Helikoptereltern: Sie behüten ihr Kind zu stark. Sie wollen es vor schlechten Erfahrungen schützen.

Helikoptereltern erlauben ihren Kindern wenige eigene Erfahrungen. Sie bedenken nicht: Enttäuschungen tun zwar weh. Sie gehören aber zum Leben dazu.

Manchmal ist das Kind auf sich allein gestellt. Nicht in allen sozialen Situationen sind die Eltern dabei. Ohne den elterlichen Schutz ist das Kind dann überfordert.

Der Grat zwischen fördern und überfordern ist schmal.

Zu viele Hobbys und Aktivitäten

Viele Eltern sind wahre Manager: Sie verplanen jede freie Minute ihrer Kinder. Jeden Tag steht eine andere Aktivität auf dem Programm. Ob Geigenunterricht, Tennisstunde oder Englischkurs: Zeit zum Spielen und Entspannen bleibt kaum.

Evtl. auch interessant: 45 Aktivitäten mit Kindern – Liste für Indoor & Outdoor Spielideen

Zu viel Zeit mit digitalen Medien

Die digitalen Medien beeinflussen die kindliche Entwicklung maßgeblich: Die heutigen Kinder wachsen mit ihnen auf. Und die Technik bringt durchaus Vorteile: Während des pandemiebedingten Homeschoolings spielte der Computer eine wichtige Rolle.

Digitales Arbeiten ist die Zukunft. Kinder müssen den Umgang damit lernen.

Schwierig ist aber, wenn das Tablet der Babysitter ist. Später wird oft die Spielkonsole zum besten Freund.

Videospiele vermindern die Kreativität. Und sie erzeugen Stress: Viele Kinder spielen keine altersgerechten Spiele. Sie werden zwangsläufig ständig geistig überfordert. 

Ähnlich ist es mit Handy und Fernsehen. Viele Eltern achten nicht darauf, was und wie lang das Kind fernsieht. Ob wahllose Youtube-Videos oder Trash-TV: Das Kind wird mit nicht altersgemäßen Informationen und Eindrücken überschwemmt.

Zu viele Pflichten und Aufgaben

Zu viele Pflichten bedeuten: Das Kind muss viel zu früh erwachsen werden. Besonders wirtschaftlich schwache Kinder sind hier gefährdet.

Kinder von Alleinerziehenden haben oft zu viele Pflichten. Sie sind häufig allein. Papa oder Mama müssen früh in die Arbeit. Viele arbeiten nachts und schlafen tagsüber.

Das Kind wird zum kleinen Erwachsenen. Es muss sein Zimmer ganz allein aufräumen. Es muss sich selbst Essen machen.

Hinzu kommt: Viele müssen sich um kleinere Geschwisterkinder kümmern. Zu oft stecken sie zurück.

Viele Eltern bürden dem Kind eigene Probleme auf. Das Kind will dem geliebten Elternteil helfen. Es ist zwangsläufig überfordert. Es weiß nicht, wie es mit einem psychisch oder physisch kranken Elternteil umgehen soll.

Überforderung bei Kindern verringern

Stress ist in gewissem Maße in Ordnung. Aber nur, wenn er kurzfristig ist und wieder nachlässt. Bei längerfristigen Symptomen sollten die Eltern etwas ändern.

Vorbelastungen klären

Kinder mit psychischen Krankheiten brauchen besondere Unterstützung. Gibt es eine zusätzliche Belastung? Hat das Kind eine Hochsensibilität oder ADHS?

Für Kinder mit ADHS ist bereits der normale Alltag Stress. Sie leben in einer ständigen Reizüberflutung. Äußere Einflüsse strömen ungefiltert auf sie ein. Deshalb sind sie schneller gestresst als andere Kinder.

Bei einer ADHS-Diagnose oder anderen (angeborenen) psychischen Erkrankungen gilt in besonderem Maße: Stress und Überforderung vermeiden. Vgl. auch Umgang mit ADHS-Kindern

Kinder brauchen Unterstützung

Ein Leben ohne Stress gibt es nicht. Weder für Kinder noch für Erwachsene. Wenn ein Kind mit Stress nicht (mehr) umgehen kann, müssen die Eltern eingreifen. Es gibt viele Wege und Möglichkeiten, um das Kind zu entlasten.

Unnötigen Stress vermeiden

Muss das Kind wirklich jeden Tag in der Woche einer Aktivität nachgehen? Kann man stattdessen einen wöchentlichen Spieletag einplanen?

Können wir uns Zeit für gemeinsame Mahlzeiten nehmen? Raclette beispielsweise bringt Spass und wertvolle Zeit zusammen.

Es muss nicht immer Youtube sein. Wie wäre es mit einem Walt Disney Film? Die alten Klassiker haben oft einen schönen, tieferen Sinn. Gemeinsam den Film zu besprechen tut gut: Das Kind kann den Inhalt verarbeiten. Es spürt, dass seine Meinung wichtig ist.

Pausen und Erholung sind wichtig

Es gibt die negativ besetzte Formulierung “die Zeit totschlagen”. Schöner klingt doch: Den Tag vorbeifließen lassen.

Im hektischen Alltag geht die Muße oft verloren. Es ist Zeit, sie wieder zu sich einzuladen.

Beim entspannten Ausflug mit leckerem Picknick. Beim gemeinsamen Lesen. Beim entspannten Basteln. Beim Filmschauen mit selbstgemachtem Popcorn.

Zeit ohne Zeitdruck ist selten geworden. Aber Zeiten ohne Pflichten sind wichtig. Die Kinder können regenerieren. Sie sammeln Kraft für die kommende Schulwoche.

Das allein kann Schuleifer verstärken und Noten verbessern.

Alle fünf gerade sein lassen

Nicht alles muss zu 100% ideal sein. Dieser Punkt ist sozusagen ein Plädoyer für weniger Perfektionismus.

Das klingt theoretisch einfach. In der Praxis kann es herausfordernd sein. Wir können nicht so einfach “aus unserer Haut”.

Aber jede*r kann lernen, mal lockerzulassen.

Auch wenn das Kind nicht nur Einsen nach Hause bringt. Auch wenn zuhause nicht alles blitzeblank ist: Vielleicht kann der Rest in der nächsten Woche erledigt werden. Vielleicht ist das Wohnzimmer schon aufgeräumt genug.

Vielleicht darf es egal sein, wenn das Kochgeschirr zugunsten eines Spieleabends mal stehenbleibt.

Kinder werden größer. Irgendwann ist die gemeinsame Zeit vorbei. Ist das nicht das schönste Argument für unbeschwerte Zeit miteinander?

Zuhören und verstehen

Auch Kinder haben kleine oder große Sorgen und Nöte. Einfach zuhören ist für sie so wichtig wie für Erwachsene. Vielleicht wurden sie von einem Klassenkamerad verletzt. Oder eine Benotung schien unfair.

Kinder sind mit Situationen oft überfordert. Sie müssen erst lernen, damit umzugehen.

Dem Kind wertfrei zuhören signalisiert: Ich verstehe und respektiere Dich.

Entspannungsrituale einführen

Sobald die Dämmerung einsetzt, schüttet unser Körper das Schlafhormon Melatonin aus. Auch die Körpertemperatur senkt sich leicht.

Wir können die natürliche Schläfrigkeit unterstützen. Abends sollte das Kind zur Ruhe kommen.

Gerade nach einem stressigen Tag gilt: Möglichst kein Fernsehen, Tablet, Videospiel & Co.

Ein Schlummertee oder heiße Milch mit Honig schmeckt auch älteren Kindern.

Gemeinsames Lesen und Kuscheln macht das Zuhause zur Ruhequelle.

Ausblick:

Zuhören, miteinander sprechen, aufmerksam sein: Das ist fast ein Zaubertrank für eine gesunde kindliche Entwicklung.

Eltern sollten sich ab und an fragen: Fühlt mein Kind sich überfordert? Will und braucht es das jetzt wirklich? Oder will eher ich selbst, dass das Kind das will?

Wer sich selbst und dem Kind gegenüber ehrlich ist, sieht: Gut meinen ist nicht immer das gleiche wie gut tun. Aber das Schöne ist: Man kann immer etwas und sich selbst verändern. Vgl. auch handlungsorientiertes Lernen


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Ariane Faralis

Ariane ist studierte Soziologin & hat eine eigene private psychotherapeutische Praxis. Sie verstärkt unsere Online-Redaktion mit fundierten Fachtexten und wertvollem Content. Ariane’s Motto: ”Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit” (Erich Kästner)

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