Leistungsdruck in der Grundschule

Nicht allen Kindern fällt es leicht…

…in der Grundschule gute Noten zu erreichen. Die familiäre Herkunft spielt hier eine wichtige Rolle

Ungleiche Chancenverteilung beginnt früh im Leben

Die Grundschule: Der Start in die Ausbildung

Mit der Einschulung beginnt für Kinder ein neuer Lebensabschnitt. Das Ende der behüteten Kindergartenwelt ist wohl für alle Kinder ein einschneidendes Erlebnis. Viele Freiheiten sind von heute auf morgen vorbei.

Während im Kindergartenalter spontane Ferientage oder auch Auslandaufenthalte möglich waren, heißt es nun für die ABC-Schützen: stillsitzen, dem Unterricht folgen, feste Regeln einhalten. Das fällt manchen Kindern leicht, manchen schwer.

Eine Umstellung ist es für alle Kinder. Das spielerische Lernen des Kindergartens weicht einem organisierten Schulalltag. Kinder, die von ihren Eltern schon im Kindergartenalter gefördert wurden, sind aber klar im Vorteil.

Das Maß, in dem Kinder im Schullalltag unterstützt werden, variiert von Familie zu Familie stark. Genau das macht es so schwierig. Jedes Kind hat einen anderen Ausgangspunkt.

Vgl. auch: Das Bild vom Kind – Was bedeutet Kind-sein?

 

Wer es nicht schafft, wird stigmatisiert

Ungleichheit in der Schule assoziieren viele Menschen mit zu wenig Geld für Markenkleidung und sozialer Teilhabe. Aber es gibt eine weitere Dimension, die oft übersehen wird: Den “Wettbewerbsvorteil” vieler Kinder im Rennen auf die weiterführende Schule.

Spätestens ab Beginn der dritten Klasse schwebt die Frage im Raum: Wer schafft den Übertritt? Bei wem reicht es nur bis zur Realschule? Für wen bleibt vielleicht sogar nur die Hauptschule?

Die Kinder beobachten sich gegenseitig. Das unbeschwerten Spielen auf dem Pausenhof weicht steigendem Leistungsdruck und Stress.

In Bayern beispielsweise besucht ca. ein Drittel der Schüler*innen nach der Grundschule das Gymnasium. Schon früh, im Alter von 8 oder 9 Jahren, kristallisiert sich der wahrscheinliche Schulweg bereits heraus. Wer gehört zur künftigen Bildungselite?

Damit kommt es schon in der Grundschulzeit zu einer Stigmatisierung. Das Kind fühlt sich der äußeren Bewertung ausgeliefert und verinnerlicht sie. Es spürt: Es ist nicht gut genug.

 

Das Maß des elterlichen Einsatzes ist entscheidend

Kein Kind kann etwas dafür, in welche Familie es hineingeboren gibt. Anders formuliert: Ein Kind hat Glück, wenn es in einer behüteten Umgebung aufwachsen darf. Auch ein vielleicht vorhandener materieller Wohlstand ist nichts, das das Kind sich aussuchen konnte. Auch wenn die Eltern selbstreflektiert sind und sich Zeit für ihr Kind nehmen - Es ist einfach Glück.

 

Von klein auf werden die Weichen gestellt

Von der Förderung durch internationale Urlaube und Unternehmungen über Sprachunterricht, bis zum Üben der Buchstaben vor Schulbeginn: Es sind viele Facetten, die Einfluss auf die folgende Schulzeit nehmen.

Jedes für sich macht vielleicht wenig Unterschied. In der Gesamtheit beeinflussen diese Faktoren aber das kindliche Leben. Sie legen die Entwicklung und Ausbildung eines Kindes von einem jungen Alter an fest.

Wie sehr Eltern ihr Kind fördern, wird schon in der ersten Klasse sichtbar. Während ein Kind bereits fließend lesen kann und Bücher in der Schultüte hat, können andere Kinder nicht einmal ihren Namen schreiben.

Eltern, die naturverbunden oder vielseitig interessiert sind, erklären ihrem Kind beispielsweise schon im Vorschulalter die Natur, fördern den kindlichen Wissensdrang.

So starten Kinder mit unterschiedlichen Wissenslevels in die Schulzeit. Nicht alle Eltern erklären ihrem Kind die Welt. Sie haben zu wenig Zeit, zu wenig Kraft, zu wenig Interesse.

Kinder, die zuhause unterstützt werden, fällt es in der Schule meistens leichter.

 

Nicht alle Eltern übernehmen gleichermaßen die Verantwortung

Im Umkehrschluss heißt das: Viele Kinder werden zu früh alleingelassen. In vielen Fällen übertragen die Eltern ihrem Kind schon von klein auf zu viel Verantwortung. Sie interessieren sich auch wenig für die Schulnoten.

In unseren Frühstücksklubs sind sehr viele Kinder, die morgens alleine aufstehen. Sie müssen ihre Tasche alleine packen, sich fertigmachen und pünktlich in die Schule gehen.

Aus unterschiedlichsten Gründen geben die Eltern beispielsweise dem Kind kein Pausenbrot mit. Das Kind hat hier bereits den ersten Nachteil im Vergleich zu den Klassenkamerad*innen: Es sitzt hungrig im Unterricht, kann sich nicht gut konzentrieren und mitarbeiten.

 

Die unterschiedlichen Chancen beeinflussen die Schulzeit

Die Lehrer machen Unterschiede

Manche Kinder sind klar die Lieblinge der Lehrkräfte. Sie haben zu den Lehrern eine gute Beziehung. Das ermöglicht ihnen einen ungewollten Vorteil. Kleine Regelverstöße werden ihnen vielleicht eher verziehen. Die Lehrkräfte sind tendenziell geduldiger und wohlwollender.

Zudem fallen Kinder aus intakteren oder bessergestellten Familien im Unterricht wesentlich seltener unangenehm auf, wofür Lehrkräfte in überfüllten Klassen dankbar sind. Wenn die Note auf der Kippe steht, wird es vielleicht die bessere Note.

 

Jedes Kind ist anders

Kinder kommen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und individuellem Entwicklungsstand in die Schule. Die einen sind eher weiter entwickelt. Andere sind schüchtern und zurückhaltend.

Manche Kinder entpuppen sich schon am ersten Schultag als Klassenclown und schließen erste Freundschaften. Andere beobachten das Schulleben zurückhaltend.

Je mehr kognitive und soziale Kompetenzen ein Kind zum Schulbeginn einbringt, desto einfacher fällt es ihm im Unterricht und desto besser kann es mit Leistungsdruck in der Grundschule umgehen.

 

Grundschüler verstehen die Wichtigkeit von Schulbildung nicht

Wenn man eine Befragung an Schulen machen würde, würden die meisten Schüler*innen wahrscheinlich antworten, dass sie die Ferienzeit bevorzugen. Sie würden morgens lieber im Bett liegen bleiben, als früh aufzustehen, wenn der Wecker klingelt. Sie gehen in die Schule, weil sie müssen.

Natürlich gibt es auch andere, die großen Spaß am Lernen haben. Aber wie sehr die Schulzeit mit der Zukunft verknüpft ist, das ist Kindern in dem Alter selten bewusst.

Egal, in welche Richtung es später einmal beruflich gehen wird: Die Wichtigkeit einer abgeschlossenen Schulausbildung ist für Kinder abstrakt.

 

Ein Stück Unbeschwertheit geht verloren

So wichtig die schulische Ausbildung auch ist, mit jedem Jahr geht ein Stück kindlicher Unbeschwertheit verloren. Der Leistungsdruck in der Grundschule bringt eine entscheidende Neuerung: Das Gefühl, sich mit anderen akademisch messen zu müssen. Es bedeutet, nicht mehr einfach nur spielen in den Pausen, sondern eine Einteilung in Erfolge und Misserfolge. In Gewinner und Verlierer.

 

Klassenbildung findet ab der 1. Klasse statt

Bei allem Fokus auf den Leistungsdruck soll nicht vergessen werden, dass auch andere Bereiche zu einer Klassenbildung beitragen können.

Bereits in den ersten beiden Grundschuljahren kann es zum Thema werden, was das Kind sich leisten kann. Trägt es coole Kleidung oder sehen die Hosen und Pullis eher unförmig und ausgetragen aus?

Der Vergleich mit den Mitschülerinnen beginnt früh. In vielen Klassen finden zudem in den ersten Jahren Klassenaktivitäten statt. Beispielsweise ist es in vielen Grundschulen Tradition, alle paar Wochen ein Schulfrühstück zu veranstalten, zu dem jeder etwas mitbringt.

Das führt natürlich zu der Beobachtung: Wer bringt das Kreativste und Spannendste zum Elternfrühstück mit? Welche Eltern unterstützen Weihnachts- und Osterbasar? Kinder nehmen auch in dem jungen Alter schon sehr viel wahr. Aber die Zeit, in der sich die weiterführende Schule entscheidet, bringt eine weitere Dimension.

 

Ab der dritten Klasse wird es schwierig

Die Vorbereitung für den Übertritt beginnt

Die ersten beiden Klassen beinhalten viel Basteln, Malen und viel Spielzeit. Ab dem dritten Schuljahr ändert sich das allerdings schlagartig. Die dritte Klasse ist die Vorbereitungsklasse für den Übertritt.

Vielen Eltern ist es wichtig, dass das Kind auf der Gymnasium übertritt. Oft kommen eigene unerfüllte Wünsche oder die absolvierte akademische Laufbahn hinzu.

Das Kind soll es entweder besser haben als die Eltern, oder später einmal genauso gebildet und erfolgreich sein wie die Eltern. Das prägt auch das kindliche Denken.

In einigen Klassen wird zudem tatsächlich ein richtiger Schalter umgelegt. Die Schulaufgaben werden schwieriger. Die Kinder beginnen, wahrzunehmen, wie ihre Klassenkamerad*innen abschneiden.

Plötzlich ist ein großer Teil der kindlichen Unbeschwertheit dahin. Ein oft unausgesprochener Druck liegt in der Luft. Die Noten werden verglichen.

Es wird bemitleidet, wer schlechter abschneidet. Aber es hebt gleichzeitig den Wert der eigenen Leistung, wenn sie besser ausfällt.

 

Die Zeit der Angst vor Prüfungen beginnt

Der Leistungsdruck in der Grundschule geht nicht spürbar an Kindern vorbei. Unweigerlich vergleichen sie die eigenen Leistungen mit denen ihrer Mitschüler*innen.

Dieser Druck zeigt sich bei Kindern aber anders als bei Erwachsenen. Er drückt sich oft eher körperlich als psychisch aus. Deshalb wird er häufig nicht als solcher erkannt. Das Kind klagt beispielsweise über Bauchweh, Kopfweh oder Übelkeit.

Bei starker Schulangst versucht das Kind alles, um nicht am Unterricht teilnehmen zu müssen.

Nach den Schulaufgaben will es die Noten nicht mit den Klassenkameraden teilen. Viele Kinder ziehen sich zurück. Andere werden verhaltensauffällig.

Gemeinsam lernen kann helfen, die Angst zu mindern.

 

Wie können Eltern etwas gegen den Leistungsdruck unternehmen?

Wichtig ist, dem Kind zu sagen, dass es richtig ist und gut genug

Leistungsdruck ist nicht produktiv. Er lähmt. Er kann zwar nicht völlig ausgeklammert werden, später im beruflichen Alltag wird er Teil des Lebens sein. Aber wenn der Leistungsdruck in der Kindheit überhand nimmt, sind die Eltern gefragt: Das Kind muss aus der Negativspirale raus.

 

Dem Kind zuhören

Wenn das Kind Sorgen und Nöte hat, sollte es bei den Eltern ein offenes Ohr finden können. Ein überzogener Leistungsdruck der Eltern kann zu überhöhtem Ehrgeiz im Kind führen.

In einem Gespräch mit dem Kind können Eltern herausfinden, ob das Kind sich überfordert fühlt.

Gemeinsam können Eltern und Kind dann nach Möglichkeiten finden, damit anders umzugehen. Zuwendung und Aufmerksamkeit können vieles gleich weniger bedrohlich erscheinen lassen.

 

Gemeinsam lernen

Heutzutage arbeiten oft beide Elternteile. Zwangsläufig bleibt wenig Raum für das Kind. Natürlich löst es viele Probleme, wenn die Eltern sich Zeit nehmen können.

Es gibt aber nicht mehr wie früher, mehrere Generationen in einem Haus. Es genügt finanziell nicht, wenn nur ein Elternteil arbeitet. Zudem wollen sich Frauen heute auch beruflich selbst verwirklichen.

Was hinzu kommt: Oft leben die Großeltern in anderen Städten oder sogar Ländern. Die Eltern müssen die Kindererziehung alleine stemmen.

Aber vielleicht bleibt doch noch etwas Zeit zum abfragen, zum das “gemeinsam” machen. Wenn das Kind sich nicht alleine gelassen und besser vorbereitet fühlt, nimmt der Leistungsdruck vielleicht linear ab.

 

Andere Verpflichtungen reduzieren

Viele Kinder haben den ganzen Tag durchgetaktet. Es bleibt kaum noch Zeit für spontane Unternehmungen oder Tagträume. Von Klavier über Tennis zu Fußball:

Oft werden Kinder zu kleinen Managern ihres Lebens. Dieser private Stress ist vermeidbar. Das Kind sollte Zeit für Tagträume und Pausen haben.

 

Klären, ob psychische Probleme oder Belastungen bestehen

Bei einigen psychischen Störungen können Kinder nicht mit den Klassenkamerad*innen mithalten, auch wenn sie es wollen.

Beispielsweise können sie sich nicht konzentrieren. Oder sie können Informationen nicht gut verarbeiten. Oder sie tun sich mit Rechtschreibung und Lesen schwer.

Hier ist es wichtig, sich Hilfe von einem Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten zu holen. ADHS, Autismus, eine Lese-, Rechtschreibschwäche oder anderes kann dahinterstehen.

Vgl. auch Umgang mit ADHS-Kindern

 

Ausblick:

In unserer leistungsbetonten Gesellschaft wird für immer mehr Berufe das Abitur vorausgesetzt. Als Folge von Ausbildungsangeboten wie Online-Studiengängen verschwimmen die Grenzen gleichzeitig immer mehr.

Die Fragen, die sich stellen, sind aber:

  • Muss wirklich jedes Kind das Gymnasium besuchen?

  • Ist es für Kinder, die eher handwerklich begabt und interessiert sind, nicht eher eine Qual, sich das theoretische Gymnasium zu absolvieren?

  • Ist es wirklich zielführend, ein Kind, das objektiv betrachtet, nicht für das Gymnasium geeignet ist, so zu pushen, dass es dennoch den Übertritt schafft?

Und überhaupt, ist nicht eine handwerkliche Ausbildung genauso viel wert wie der Gymnasialabschluss?

Jedes Kind sollte gemäß den eigenen Interessen und Talente gefördert werden – nicht gemäß dem Berufswunsch der Eltern.

Ariane Faralis

Ariane ist studierte Soziologin & hat eine eigene private psychotherapeutische Praxis. Sie verstärkt unsere Online-Redaktion mit fundierten Fachtexten und wertvollem Content. Ariane’s Motto: ”Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit” (Erich Kästner)

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