Mein Leukämie-Kind - Erfahrungsbericht einer Mutter in Russland
Leukämiekranke Kinder und ihre Eltern müssen viel Leid ertragen. Insbesondere in Russland, wo sich viele Menschen keine gute Medizin & Behandlung leisten können. Julia K. ist mit ihrer kleinen Tochter Ludmilla vor mehr als 1 Jahr ins Kinderkrankenhaus von St. Petersburg gekommen. Eine Zerreiß-Probe für die ganze Familie.
Leben mit einem leukämiekranken Kind
In St. Petersburg kämpft Julia um das Leben ihres todkranken Kindes. Ein Erfahrungsbericht über massive existenzielle und familiäre Sorgen.
Erfahrungsbericht aus St. Petersburg
„Meine Welt wurde dunkel, als es anfing“
Ludmilla ist 8 Jahre alt und hat Leukämie. Sie ist das Mittlere von 3 Geschwistern. „Sie war auch immer die lauteste“ lacht Julia, ihre Mutter. „Doch jetzt…“ Sie streichelt zärtlich die Hand ihrer kleinen Tochter, die blass und müde in ihrem Krankenhausbett liegt.
Julia ist eine von vielen Müttern im russischen St. Petersburg, die verzweifelt mit ihrem leukämiekranken Kind in das Kinderkrankenhaus Nr. 1 gekommen ist.
Sie lebt eigentlich mit ihrem Mann Vadim, der krebskranken Ludmilla und 2 weiteren Geschwistern weit weg, in einem kleinen Dorf nahe Krasnodar. Aber dort gibt es keine so hoch spezialisierte Klinik für Leukämiepatienten, deshalb kommen aus ganz Russland die Menschen nach St. Petersburg oder Moskau.
Seit vielen Monaten sind die beiden nun im Krankenhaus, vom Rest der Familie getrennt.
Chemotherapien bei Leukämie sind anstregend & schwierig
Ludmilla ist aufgedunsen von den vielen Medikamenten und der Chemotherapie, mit denen die russischen Ärzte ihren Blutkrebs bekämpfen. Gleichzeitig wirkt ihr kleiner Körper ausgezehrt, die Augen blicken kraftlos in den Raum. Durch die Chemotherapie hat sie alle Haare verloren.
Das Mädchen klagt täglich über starke Bauchschmerzen. Sie hat große Schwierigkeiten, etwas Essen herunterzubekommen.
„Sie kann kaum etwas schmecken. Und das Schlucken tut ihr weh. Das liegt an den Nebenwirkungen der Medizin. Die besseren Medikamente sind viel zu teuer.“ erklärt die Mutter etwas beschämt.
„Jede einfache Familie in Russland kann sich das bei bestem Willen nicht leisten. Ich habe ja keine Möglichkeit mehr zu arbeiten, weil mich Ludmilla jetzt Tag und Nacht braucht.“
Ein Leben im Krankenhaus kostet alle Kraft & Mut
Julia ist nun seit mehr als 1 Jahr fast durchgehend mit ihrer Tochter im Krankenhaus. Die Mutter lebt quasi im Krankenzimmer, um ihr krebskrankes Mädchen rund um die Uhr zu versorgen. 3 weitere Kinder mit Leukämie und ausgemergelten Körpern liegen noch in diesem kleinen Zimmer. Und auch sie haben Familienmitglieder dabei, die hier schlafen, sich waschen und vom Allernötigsten leben müssen.
Die Luft ist muffig und verbraucht. Es riecht im ganzen Krankenhaus nach Kohlsuppe, die fast jeden Tag an die Patienten ausgegeben wird. Frisches Obst und Gemüse, leckere Mahlzeiten, abwechslungsreiche Kost – das alles ist in der russischen Klinik eine Seltenheit. Ganz einfach, weil es an finanziellen Mitteln fehlt.
Julia hat sich inzwischen mit den anderen Erwachsenen angefreundet, mit denen sie das Zimmer teilt. Anfangs war es für sie schwierig, mit so vielen fremden Menschen in einem Raum zu schlafen, berichtet die junge Frau mit den dunklen Augenringen, die von durchwachten Nächten erzählen.
Jetzt hat sie sich daran gewöhnt. Schließlich teilen sie alle ein ähnliches Schicksal und verstehen das Leid des Anderen. Nicht jedes leukämiekranke Kind im Zimmer hat das Glück, einen Elternteil bei sich zu haben.
Ein Junge namens Dimitri wird zum Beispiel von seiner Oma umsorgt, ein Mädchen mit Namen Olga ist mit ihrem Onkel hier her gekommen. Dimitri weint manchmal in der Nacht und ruft nach seiner Mutter, sagt Julia.
Leukämie-Kind Ludmilla: Wie es anfing…
Bis zu ihrem 7. Lebensjahr war Ludmilla kerngesund, das dachten zumindest ihre Eltern. Ihr Vater Vadim arbeitet schon lange als Bauarbeiter. Ihre Mutter war Verkäuferin vor der Leukämie-Erkrankung ihrer Tochter, sie arbeitete in einem kleinen Laden.
Am meisten erschreckt Julia, dass alles so harmlos begann. Eines Tages bemerkte sie, dass Ludmillas Lymphknoten stark angeschwollen waren und sie Fieber bekam.
Als sie ihre Tochter zum Arzt brachte, sprach dieser von einer einfachen Grippe. Doch nach Tagen trat keine Besserung ein. Wieder suchte Julia den Arzt auf und wieder wurde sie mit ihrem kranken Kind nach Hause geschickt, diesmal vermutete der Arzt eine Lungenentzündung.
Doch auch hier tat sich nach vielen vielen Tagen nichts, trotz der Medikamente. Im Gegenteil: Ludmilla baute schrecklich schnell und immer weiter ab, von ihrer Lebensfreude war bald nichts mehr zu sehen.
Julia fuhr schließlich mit ihrer Tochter ins Krankenhaus von Krasnodar, weil nur dort genauere Untersuchungen möglich sind. Die Ärzte auf dem Land sind in Russland oft nur mit dem Nötigsten ausgestattet. In der Bezirkshauptstadt erhielt sie schließlich Gewissheit, aber auch die niederschmetternde Diagnose: Ludmilla war leukämiekrank!
„Ich fühlte mich vollkommen hilflos.“ erzählt die 30-Jährige mit Tränen in den Augen. Warum gerade wir? Warum unser Kind? Julia und ihr Mann fielen in ein tiefes Loch. Aber einfach den Kopf einziehen, das geht nicht, schließlich waren da ihre anderen 2 Kinder, die Jobs und natürlich die kleine, todkranke Ludmilla selbst.
Leukämie bei Kindern
- eine Zerreißprobe für die ganze Familie
„Du hast es bei Kinderleukämie ja nicht nur mit dieser unberechenbaren Krankheit zu tun.“ erzählt Julia. Gerade in Russland kann sich eine Familie aus einfachen Verhältnissen nur über Wasser halten, wenn beide Elternteile arbeiten. Das gilt schon für normale Zustände, ohne schwere Krankheitsfälle.
Doch ein todkrankes Kind, das ist oft das Schlimmste, was passieren kann. Plötzlich entstehen Behandlungskosten für Ludmilla sowie weitere Ausgaben für Julia selbst. Vadim, ihr Ehemann, schickt zwar immer wieder Geld, doch das reicht vorne und hinten nicht. Am teuersten sind wirksame Medikamente, die in St. Petersburg sehr knapp sind. Doch es hilft nichts, Julia ist mit ihrer Tochter jetzt schon über 1 Jahr im Kinderkrankenhaus Nr. 1 von St. Petersburg. Und muss weiter ausharren.
In Deutschland können wir uns nur schwer vorstellen, was für existenzielle Dramen sich hier abspielen. Wenn nur noch ein Elternteil erwerbstätig ist und sich der andere vollkommen dem kranken Kind widmen muss, dann bleibt kaum etwas zum Leben übrig. Nicht nur finanziell. Auch, was das Ehe- und Familienleben betrifft …
Julias Mann muss seit vielen Monaten allein mit ihren anderen beiden Kindern auskommen und weiterhin arbeiten. „Vadim fühlt sich manchmal von mir im Stich gelassen“, erklärt Julia traurig. „Er sagt, ihm fehle die Frau an seiner Seite. Es sei, als ob meine Kinder keine Mutter mehr hätten. Meine Tante lebt zwar auch dort und kocht jetzt für sie alle, aber das ist nicht das Gleiche. Nur eine Notlösung.“
Außerdem hätte Vadim zu trinken begonnen. Julia entschuldigt ihn: „Die Situation ist so unerträglich für ihn, dass er ohne Alkohol nicht mehr abschalten kann. Das verstehe ich.“
Ob sie ihren Mann, die Kinder, ihr Zuhause vermisse? Natürlich fehlt der jungen Frau ihr normales Leben, wie sie sich ausdrückt. Sie hat ein furchtbar schlechtes Gewissen gegenüber ihrem Ehemann. Doch was bleibt ihr für eine Wahl? Sie muss um das Leben ihrer Tochter kämpfen. Die Großeltern sind schon längst verstorben und sonst könne sich niemand um das todkranke Mädchen kümmern.
In St. Petersburg fehlt es an Mitteln, Medikamenten & Personal
Das russische Gesundheitssystem ist sehr schlecht ausgebaut, die medizinische Grundversorgung desaströs. Kinder wie Ludmilla erhalten billige Generika mit wenig Wirkstoff, dafür haben sie umso mehr Nebenwirkungen. Ärzte und medizinisches Personal sind ebenfalls knapp.
Nur wer Geld hat, kann sich hier eine angemessene Behandlung leisten. Und das sind die Ausnahmen, denn ein Großteil der russischen Bevölkerung lebt in existenzieller Armut.
Eine fatale Basis für betroffene Kinder mit Blutkrebs, was sich auch in den Statistiken niederschlägt: Während in Deutschland die meisten Leukämie-Kinder gute Chancen aufs Überleben haben, schafft es hier gerade mal die Hälfte der kleinen Patienten.
Ludmillas Chemotherapie schlug anfangs gut an. Julia dachte, sie hätten die schlimmste Zeit überstanden. Doch vor 3 Monaten ging der Horror von vorne los. Die schlechten Medikamente und die Chemo haben dem kleinen Körper des Mädchens schwer zugesetzt. Das Kind hat viel Wasser in den Beinen, so dass es momentan nicht mehr richtig gehen kann. Die Ärzte entdeckten auch, dass sich Pilze auf Ludmillas Lunge ausgebreitet haben.
Das ist eine häufige Folge von Chemotherapien, weil sie das Immunsystem im Körper mitsamt den Krebszellen zerstören. Darum ist es enorm wichtig, das körpereigene Abwehrsystem zu stärken. Doch dazu braucht es wirksame Immun-Präparate, die sehr viel teurer sind als die eigentlichen Krebsmedikamente.
Kinder-Leukämie bedeutet einen erbitterten Kampf gegen die Zeit führen
„Wir wissen noch nicht, ob Ludmilla das alles übersteht.“ erklärt Julia mit gebrochener Stimme. Eine Immunaufbau-Kur für 5 Tage kostet ca. 1500 Euro, da es sich um hochkomplexe Arzneimittel handelt. Ein paar Tage reichen aber nicht, oft braucht es Monate, wenn nicht Jahre, bis die Abwehrkräfte mit Hilfe dieser Behandlung wieder erstarken.
Das viele Geld für die ersten Wochen Immun-Therapie hat Julia mit Hilfe ihrer Familie irgendwie zusammengekratzt. Die junge Mutter weiß nicht, wie sie die nächsten Medikamente bezahlen kann. Wahrscheinlich wird ihr Mann als Nächstes das Auto verkaufen, im zweiten Schritt vielleicht das Haus. Verzweifelt bemüht sie sich, ihrer Tochter weiterhin Mut zuzusprechen und sich ihre Sorgen über die nahe Zukunft nicht anmerken zu lassen.
Und dann? „Wenn der schlimmste Fall eintritt, werde ich Ludmilla darauf vorbereiten. Ich werde ihr dann erklären müssen, dass nicht genug Medizin da ist und sie bald mit den Engeln im Himmel tanzen darf.“ antwortet Julia, die nur mühsam ihre Tränen unterdrücken kann.
Hilfe für Leukämie-Kinder in St. Petersburg
– jeder Beitrag rettet Kinderleben
Dieser erschütternde Erfahrungsbericht ist leider nichts Einmaliges. Julia und ihre krebskranke Tochter Ludmilla sind kein Einzelschicksal. Was leukämiekranke Kinder in Russland erdulden müssen, ist kaum vorstellbar.
In Russland sterben sehr viele Kinder an Leukämie, ganze Familien gehen daran zugrunde.
Die Deutsche Lebensbrücke kämpfte Jahrzehnte zusammen mit vielen Prominenten wie z. B. dem Schauspieler Michael Lesch (Projektpate) für bedürftige Leukämie-Kinder in St. Petersburg.
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Quellen:
1) Deutsche Lebensbrücke: Kinderkrebshilfe in Ost-Europa
2) DAK: Leukämie bei Kindern – Das sollten Sie wissen
3) Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit: Tschernobyl und die Folgen
4) Ralf Grötker (brand eins): Das geht besser – Interview mit Kinderonkologe & Leukämie-Experte Günter Henze
5) Umweltbundesamt: Ratgeber Kindergesundheit (PDF)
6) Isabella Kolar: Zwischen Populismus und Hilflosigkeit. Sozialpolitik in Russland
7) DKFZ: Größte weltweite Studie zu Überlebensraten bei Krebs zeigt extreme Unterschiede - Deutschland im internationalen Vergleich weit vorne (2014, Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft)
8) Simone Reisdorf: Weltweite Auswertung: Welche Länder bieten die besten Überlebenschancen bei Krebs? Deutschland oft nur Mittelfeld (2018)
9) WHO: Bekämpfung von Krebserkrankungen im Kindesalter durch Maßnahmen im Bildungsbereich: die Erfahrungen der Russischen Föderation (2021)
10) Greenpeace Gesundheitsreport: 20 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (Kurzfassung)
Wenn ein Kind vor Energie und Lebensfreude nur so übersprudelt, ist das wunderbar und toll, aber auch ganz schön anstrengend – für die Kinder und die Bezugspersonen gleichermaßen. Unruhe bei Kindern ist nicht selten, kann allerdings schnell in Überdrehtheit oder starke Nervosität umschlagen. Lies hier, wie du deinem Kind helfen kannst, wieder zur Ruhe zu kommen.