Trennungsängste beim Kind
Wenn das Kind klammert
Trennungsängste bei Kindern sind normal - bis zu einem gewissen Grad. Wann sind die Ängste Teil der normalen Entwicklung? Und wie sollten Eltern sich verhalten?
Wie entstehen Trennungsängste beim Kind?
Fast alle Kinder durchlaufen Phasen von Trennungsangst
Die meisten Kinder erleben im Laufe der frühen Kindheit einen gewissen Grad an Trennungsangst. Meistens richtet sich die Angst, verlassen zu werden, gegen die Mutter. Es kann aber auch der Vater oder ein anderes Familienmitglied sind.
Diese Ängste sind normal und Teil der kindlichen Entwicklung.
Ängste sind Teil unserer Natur. In früheren Zeiten halfen sie uns, Gefahren zu erkennen und zu vermeiden. Angst war für uns zum Überleben wichtig.
Auch heute noch haben wir diese Urinstinkte. In Gefahrenzeiten greifen wir an oder flüchten.
Kleine Kinder können beides nicht. Deshalb benötigen sie Schutz. Sie verlassen sich auf erwachsene Bezugspersonen. Wenn das Kind Sicherheit und Stabilität erfährt, lernt es, dass die Angst unnötig ist.
In vielen Fällen ist die Trennungsangst einfach eine Phase. Nach einer Weile verschwindet sie von allein. Das Kind lernt dazu. Es versteht, dass die Bezugsperson immer wieder zurückkommt.
Vgl. auch Entwicklungsstufen – 6 Entwicklungsphasen (Piaget, Freud & Co.)
Wenn die Trennungsangst einen wirklichen Grund hat
Traumatische Erlebnisse im Leben eines Kindes können Trennungsangst auslösen oder verstärken.
Ob der Tod eines Familienmitglieds, das Beobachten eines Unfalls oder häusliche Gewalt. Kinder erleben Situationen anders als Erwachsene. Sie gehen anders damit um. Auch der Tod des geliebten Haustieres kann eine Trennungsangst auslösen.
Eltern unterschätzen den Einfluß oft, weil das Kind äußerlich normal wirkt. Andererseits sollte an dieser Stelle hinzugefügt werden, dass diese Situationen auch überschätzt werden können.
Wie so oft gilt: Eine individuelle Einschätzung ist wichtig. Jedes Kind ist anders. Jedes Kind reagiert anders.
Weitere, wenig gravierend erscheinende Gründe
Nicht nur einschneidende Erlebnisse lösen kindliche Ängste aus. Auch das elterliche Verhalten kann zu Verlustängsten führen. Dahinter verbirgt sich eine zu enge oder eine unzureichende Bindung zwischen Bezugsperson(en) und Kind. Insbesondere
fehlender Blickkontakt, wenn das Kind nach Aufmerksamkeit sucht
Ständiges Bestärken durch sofortiges Reagieren
Häufiger Wechsel von Bezugspersonen
Wenig Gewöhnung an andere Bezugspersonen und ständige Nähe zum Kind
Wenn Trennungsangst zum Problem wird
Kinder, die an ihren Eltern klammern
In unserer modernen, schnelllebigen Zeit bleibt oft wenig Aufmerksamkeit für kindliche Sorgen und Nöte. Wenige Eltern haben genug Zeit, ihrem Kind (in der Trennungsangstphase) ausreichend Unterstützung zu bieten.
In vielen Familien sind beide Eltern berufstätig. Das Kind ist bis zu ganztags im Kindergarten und in der Nachmittagsbetreuung. Die mangelnde Zeit mit den Eltern kann Trennungsängste begünstigen. Die langen Stunden im Kindergarten können das Kind überfordern.
Ist es Trennungsangst oder eine psychische Störung?
Wenn die Trennungsangst Krankheitswert hat, liegt eine sogenannte emotionale Störung im Kindesalter vor.
Sie sollte nur diagnostiziert werden, wenn die Furcht vor Trennung die hauptsächliche Angst darstellt. Die Angst muss erstmals während der frühen Kindheit auftreten.
Von normaler Trennungsangst unterscheidet sie sich durch eine starke Ausprägung. Sie dauert über die typische Altersstufe hinaus. Zudem bestehen klar erkennbare Schwierigkeiten in sozialen Situationen.
Bei einer diagnostizierten Störung bestehen zuhause oft schwierige Familiensituationen. Auch eine sehr enge und gleichzeitig unsichere Bindung zur Bezugsperson kann auslösend wirken. Das gleiche gilt für übermäßig verwöhnende und behütende Eltern. Vgl. auch Bindungsorientierte Erziehung - Was ist das?
Symptome von Trennungsängsten beim Kind
Eher körperliche als psychische Anzeichen
Wenn es ihnen schlecht geht, geben viele Kinder keine Begründung an. Je jünger sie sind, desto schwerer fällt es ihnen, über ihr emotionales Befinden zu sprechen.
Oft schütten Kinder erst ihr Herz aus, wenn sie direkt darauf angesprochen werden.
Kleine Kinder weinen, wenn die Bezugsperson den Raum verlässt. Es dauert lang, sie wieder zu beruhigen - auch wenn die Bezugsperson wieder zurückkommt.
Größere Kinder entwickeln eher körperliche Symptome wie Kopf- oder Bauchschmerz oder Appetitlosigkeit. Weitere Beschwerden können Übelkeit, Schwindel und Kreislaufschwäche sein.
Sobald das Kind wieder mit der Bezugsperson zusammen ist, verschwinden die Beschwerden oft gleich wieder.
In welchen Situationen werden Trennungsängste beim Kind sichtbar?
Trennungsängste und die Schule
An jedem Schultag wacht die Angst mit auf. Oft ist schon der Vorabend schwierig. Das Kind meidet die Schule, will nicht hingehen. Dabei ist das Vermeidungsverhalten nicht direkt mit der Schule verknüpft.
Zwei Drittel aller Kinder, bei denen eine emotionale Störung mit Trennungsangst diagnostiziert wurde, verweigern den Schulbesuch 1).
Betroffene Kinder zeigen übermäßig häufig Symptome wie Bauchweh oder Kopfweh. Der Abschied von der Bezugsperson fällt ihnen schwer.
Noch problematischer ist es, wenn Schulausflüge anstehen. Landheimfahrten oder Skilager werden zum unüberwindlichen Problem.
Die allbendliche Trennung
Die meisten Kinder haben das Glück, ein eigenes Zimmer zu haben. Von Trennungsangst betroffene Kinder verbringen aber wenig Zeit darin. Zur Schlafengehzeit wird das Bett zur Angstquelle.
Der Gedanke, alleine im eigenen Zimmer zu schlafen, verstärkt die Trennungsängste.
Die betroffenen Kinder wollen nachts nicht einschlafen. Immer wieder rufen sie zur Beruhigung nach den Eltern. Viele Kinder wandern einfach ins elterliche Bett. Nicht wenige schlafen jede Nacht bei Mama und Papa.
Das kann zur Belastung für die elterliche Beziehung werden.
Scheidung oder Trennung der Eltern
Wenn die Eltern sich streiten, sind Kinder schnell die Leidtragenden. Sie bekommen mehr mit, als die Eltern glauben. Kinder haben ausgeprägte Sensoren.
Eltern, die ihre Beziehungsprobleme nicht vom Kind fernhalten (können), erzeugen Angst im Kind. Besonders kleine Kinder können diese Angst nicht einordnen. Sie können mit den oft überwältigenden Gefühlen nicht umgehen.
Wenn es zur Scheidung kommt, fühlt das Kind sich oft schuldig. Es glaubt, für die Trennung der Eltern verantwortlich zu sein. Gleichzeitig erlebt es eine intensive Verlustangst, wenn ein Elternteil das gemeinsame Zuhause verlässt.
Trennungsängste beim Kind - ein oft nur zeitweiliges Phänomen
Beeinflussungen von außen vermeiden
Wenn keine Extrembelastungen zu verzeichnen sind, gilt in den meisten Fällen: Trennungsängste beim Kind sind nur eine Phase. Nichtsdestrotz sind sie unweigerlich eine Belastung für Kind und Eltern.
Wichtig ist, sich nicht vom Umfeld irritieren zu lassen. Ratschläge und Meinungen Anderer mögen gut gemeint sein. Hier mischen sich aber die jeweils eigenen Erfahrungen und Sichtweisen der ratgebenden Person mit hinein.
Das kann ohnehin verunsicherte Eltern noch stärker zweifeln lassen.
Deshalb sollten sich die Eltern immer wieder vor Augen zu führen: Jedes Kind ist anders. Jedes Kind entwickelt sich individuell.
Die Eltern müssen zusammenarbeiten
Kinder wollen und sollten emotional verwöhnt werden. Nestwärme schafft Urvertrauen und bringt spätere Unabhängigkeit und innere Sicherheit. Gleichzeitig sollten Eltern Kinder in ihren Stärken unterstützen und ermutigen.
Angst wird kleiner, wenn man mit ihr umgeht. Und sie wird größer, wenn man sie vermeidet.
Wer selbst unter Ängsten leidet, gibt sie an das Kind weiter. Manchmal kann es nötig sein, (mit therapeutischer Hilfe) die eigenen Ängste in den Griff zu bekommen.
Wann sollten die Eltern Hilfe holen?
Wenn die Trennungsangst stark ausgeprägt ist oder länger anhält, sollten die Eltern reagieren.
Der erste Schritt ist, einzusehen, dass Handlungsbedarf besteht.
Trennungsängste sind keine tatsächliche Angst. Das Kind hat vielmehr ein Fehlverhalten entwickelt. So wie das Fehlverhalten erlernt wurde, kann es auch wieder “verlernt” werden.
Eltern sehen sich und das Kind natürlich immer subjektiv. Deshalb kann es ihnen schwerfallen, die Gründe für die Trennungsangst zu erkennen.
Eltern, die nicht mehr weiter wissen, sollten eine:n Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut:in oder eine:n Berater:in zu Rate ziehen. Es ist nie zu spät, einen Experten mit einzubeziehen. Es ist auch nichts Schlimmes dabei, das zu tun.
Ausblick
Bei Trennungsängsten beim Kind fällt es vielen Eltern mitunter schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren. Die Belastung erfordert viel Geduld, Ruhe und Durchhaltevermögen.
Gleichzeitig kann diese Phase auch positiv als eine Zeit der Selbstreflektion genutzt werden: Ist es eine normale, zeitweilige Phase, die zum Kindsein dazugehört wie die Trotzphase? Oder ist die Trennungsangst vielleicht doch ein unerkannter Hilfeschrei des Kindes?
Als kleine Leitlinie gilt:
Eltern, die eine gesunde Beziehung zum Kind haben, haben Vertrauen in das Kind.
Sie unterstützen seine/ihre Fähigkeiten.
Sie achten darauf, dass das Kind sich sicher fühlt.
Sie halten Versprechen ein.
Sie setzen gesunde und sinnvolle Grenzen. >> Grenzen setzen bei Kindern – Kind hört nicht und provoziert
Wie auch immer die individuelle Situation zu Hause ist: Als Team kann die Familie viel beitragen, indem alle Mitglieder gemeinsam das Selbstvertrauen des Kindes stärken. Weitere Tipps findest du hier: Innere Stärke entwickeln – Tipps: Resilienzstärkung im Alltag.
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