Bildungsbenachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund – arm & gefährdet

Haben Kinder einen Migrationshintergrund, dann stehen ihre Chancen in Deutschland schlecht: Sie erhalten wenig Bildungsmöglichkeiten und haben es schwerer, einen gut bezahlten Job zu finden. Dabei ist der Begriff Migrationshintergrund weit gefasst, denn jeder 4. Deutsche fällt heute unter diese Definition.

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Kinder aus Migranten-Familien leiden viel häufiger unter Armut

Das ist leider kein Vorurteil, sondern bittere Realität in Deutschland. Kinderarmut bedeutet oft Einkommensarmut der Eltern bzw. Familienarmut. Ein Teufelskreis, aus dem nur wenige Kinder mit Migrationshintergrund entkommen können.

Kinderarmut bei Migrantenkindern ist häufig

Die Armutszahlen steigen in Deutschland bereits seit Jahren und wo sich Armut findet, ist die Kinderarmut noch größer. Laut dem letzten Bericht der Bertelsmann-Stiftung (1) leben ca. 2,8 Millionen Kinder & Jugendliche hierzulande in relativer Armut.

Das sind über 20 % aller Kinder in Deutschland.

Am stärksten sind Kinder mit Migrationshintergrund betroffen. Und die sind längst keine Minderheit mehr. Im Gegenteil: Menschen & Familien mit Migrationshintergrund sind ein fester Teil unserer Gesellschaft:

„In fast jeder dritten Familie in Deutschland mit Kindern unter 18 Jahren hat oder hatte mindestens ein Elternteil eine andere Staatsbürgerschaft.“

(BS, Studie, Seite 9). 

Und wie das Statistische Bundesamt erst im Juli 2020 mitteilte (2), hat gut jeder 4. Mensch in Deutschland einen Migrationshintergrund. Das sind 26 % unserer Gesamtbevölkerung. Vgl. auch Kinderarmut erkennen – subtile Anzeichen

 

Wie viele Kinder mit Migrationshintergrund leben in Deutschland?

Laut Statistik des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (3) leben in Deutschland ca. 8 Millionen Familien. 2,5 Millionen davon haben einen Migrationshintergrund – das sind ca. 31 % von allen Familien hierzulande. Nach dem Bericht leben 4,3 Millionen Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland und machen einen Gesamtanteil von 34 % aller Kinder hier aus.

 

Migrationshintergrund Definition - Was bedeutet der Begriff?

Den Begriff Migrationshintergrund kennt jeder, eine einheitliche Definition gibt es aber nicht. Er ist vor allem für sämtliche Statistiken des Bundes von folgender Bedeutung (4):

Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Im Einzelnen umfasst diese Definition

  • zugewanderte und nicht zugewanderte Ausländerinnen und Ausländer,

  • zugewanderte und nicht zugewanderte Eingebürgerte,

  • (Spät-) Aussiedlerinnen und (Spät-) Aussiedler

  • sowie die als Deutsche geborenen Nachkommen dieser Gruppen.

Die Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges haben (gemäß Bundesvertriebenengesetz) einen gesonderten Status; sie und ihre Nachkommen zählen daher nicht zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund.

 

Ist ein Migrationshintergrund ein Armutsrisiko in Deutschland?

Leider auch ein Klischee, das zutrifft: Neben Arbeitslosen, Alleinerziehenden und Mehrkinderhaushalten sind Familien mit Migrationshintergrund eine der größten Risikogruppen für Armut.

Wenn´s nur das wäre. Migranten sind gemäß Untersuchung sogar überproportional häufig von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen:

Laut Statista lag die Armutsquote von Kindern mit Migrationshintergrund im Jahr 2017 bei satten 54,3 % in Deutschland (5). Das ist eine unglaublich hohe Zahl.

Tatsächlich bilden Familien mit Migrationshintergrund einen festen Kern des deutschen Armutsmilieus. Die meisten davon haben 3 oder mehr Kinder zu versorgen, 29 % all dieser Familien verdienen aber weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens und sind damit stark von Armut belastet.

 

Kinderarmut – was bedeutet Armut in Deutschland?

Arm ist in Deutschland jeder, der gerade mal 50 % des sogenannten Median-Einkommens zur Verfügung hat. Das bedeutet, für ein armes Kind steht wesentlich weniger Geld zur Verfügung als für seine Altersgenossen. Wir sprechen hier also von einer relativen materiellen Armut.

 

Existenzsicherheit verändert Eltern

Finanzielle Mittel helfen gegen Familien- und Kinderarmut. Das ist durch viele Studien belegt. Vorausgesetzt, den Menschen wird nicht vorgeschrieben, was sie brauchen und kaufen dürfen – Geld hilft gegen Armut

 

Zum Vergleich:

  • Ein Single-Haushalt, mit weniger als 892 Euro im Monat, gilt als arm.

  • Bei einer Familie mit 2 Kindern ist die Armutsgrenze bereits mit 1872 Euro erreicht.

  • Vergleichbare Familien mit Migrationshintergrund haben im Durchschnitt aber nur 1482 Euro zur Verfügung, oft jedoch 3 Kinder oder mehr.

Relative Armut besteht jedoch aus viel mehr als den typischen Klischees von abgetragener, geflickter Kleidung, muffigen Zimmern oder billigem Essen aus dem Discounter. Zwar leben viele betroffene Kinder oft in schmutzigen, lauten und gefährlichen Umgebungen, dennoch: Kinderarmut hat viele Gesichter, die sich nicht nur in materiellen Nachteilen zeigen.

So haben arme Kinder nicht nur weniger Geld, sie leiden auch häufiger unter

  • psychischen Auffälligkeiten

  • Übergewicht oder Fettleibigkeit

  • Bewegungsmangel & feinmotorischen Entwicklungsstörungen

  • physischer und emotionaler Gewalt

 

Vor allem die späteren Folgen von Kinderarmut sind nicht zu unterschätzen. Die Palette der Nachteile reicht von handfesten Entwicklungsstörungen bis hin zu allerhand Problemen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie beim gesellschaftlichen Leben.  

 

Armutsquoten nach Herkunftsgruppen

Besonders auffällig ist die Armutsquote unter Familien, die aus der Türkei stammen: hier ist jede 3. Familie arm bzw. von Armut gefährdet. Tatsächlich zeigte bereits eine Untersuchung aus dem Jahr 2016, dass vor allem Kinder aus türkischen Familien von Armut betroffen sind (6).

Um es mit Zahlen zu verdeutlichen: Der durchschnittliche deutsche Haushalt hat netto 1730 Euro im Monat, der entsprechende Migrantenhaushalt 1482 Euro und der türkische Durchschnittshaushalt nur 1242 Euro.

 

Warum sind vor allem Migranten-Familien von Armut betroffen?

Das hat mehrere Gründe, die leider oft zusammenfallen und so das Armutsrisiko für die betroffenen Kinder verstärken (7). Die nächsten Punkte erklären allerdings nur zum Teil, warum es Einkommensunterschiede zwischen vergleichbaren Familien ohne Migrationshintergrund und mit Migrationshintergrund gibt:

“Hinzu kommt, dass Frauen und Männer mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt – je nach Herkunft in unterschiedlichem Maße – von Diskriminierung betroffen sind.“

So Jutta Höhne vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-BöcklerStiftung über vielfältige Gründe für Einkommensunterschiede (3).

Vgl. auch Klassismus in Deutschland – Kampf gegen Arme statt gegen Armut


1) Bildungsstand der Eltern

Im Gegensatz zu allgemeinen Vorurteilen, haben die meisten Eltern mit Migrationshintergrund einen Schulabschluss.

  • in 25 % der Familien ist ein Hauptschulabschluss der höchste Schulabschluss

  • in jeder 4. Familie hat keiner der Eltern einen beruflichen Bildungsabschluss, der in Deutschland anerkannt ist

Mehr zu » Rassismus in der Schule – Ein Spiegel unserer Gesellschaft » Rassismus unter Kindern – Erklärungen & Tipps » Kinderarmut & Bildung – Kein Schutz vor Armut und Ausgrenzung


2) Wirtschaftliche Situation der Familie

Eingewanderte Familien müssen sehr oft mit einem niedrigen Einkommen auskommen. Im Durchschnitt haben sie 700 Euro weniger als Familien ohne Migrationshintergrund.

  • Väter mit Migrationshintergrund verdienen im Mittel ca. 500 Euro weniger als andere Väter ohne Migrationshintergrund.

  • 25 % der Mütter sind geringfügig beschäftigt – das sind doppelt so viele wie bei den Müttern ohne entsprechenden Migrationskontext.

  • 15 % der Einwandererfamilien beziehen Sozialgelder, das sind auch doppelt so viele wie unter Familien ohne Migrationshintergrund. Der Bedarf dürfte allerdings weitaus höher liegen.

  • Auch haben Frauen mit Migrationshintergrund im Durchschnitt 2,28 Kinder, deutsche Frauen mit 1,59 fast die Hälfte weniger. Auch ein Umstand, der sich unmittelbar auf die finanzielle Familiensituation auswirkt.


3) Integration der Eltern am Arbeitsmarkt

Die Teilhabe am deutschen Arbeitsmarkt ist ausschlaggebend für die Möglichkeiten der eingewanderten Familien. Finanzielle Absicherung fördert neben der Sicherung des Lebensunterhalts auch die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben.

Gute 50 % der Mütter mit Migrationshintergrund haben einen Job, bei denen ohne sind 75 % erwerbstätig. Väter mit Migrationshintergrund gehen zwar mit 85 % häufiger einer Arbeit nach, doch auch die liegt im Vergleich niedriger.

  • Jetzt möchte der Großteil der Mütter ohne Arbeit gerne wieder arbeiten gehen.

  • Aber: 58 % der Unternehmen sehen sprachliche Hürden als Einstellungsproblem.


 

Präventionsprogramme für Kinder mit Migrationshintergrund

Viele Gründe, warum Einwandererfamilien in Deutschland mit Armut zu kämpfen haben, lassen sich leider nicht so einfach lösen. Allerdings kann jeder Einzelne etwas dafür tun, um sozial benachteiligten Kindern zu helfen, sich zu integrieren, zu lernen und so die gleichen Chancen auf Arbeit, Weiterbildung und Gesundheit zu erhalten wie jedes andere. 

Unsere Kinderhilfe (Die Deutsche Lebensbrücke) hat verschiedene Projekte gegen Kinderarmut ins Leben gerufen. So versorgen wir seit vielen Jahren bedürftige Grundschüler in ganz Deutschland mit einem kostenlosen Frühstück oder Mittagessen sowie einer fördernden Betreuung.

Weitere Informationen zu unseren Sozial-Projekten findest du unter:


Quellen

1) Bertelsmann Stiftung: Factsheet – Kinderarmut: Eine unbearbeitete Großbaustelle

2) Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung vom 28. Juli 2020 (Nr. 279)

3) BmFSFJ PDF: Gelebte Vielfalt. Familien mit Migrationshintergrund in Deutschland

4) Statistisches Bundesamt: Website – Migration & Integration

5) Statista: Armutsgefährdungsquote von Kindern nach Migrationsstatus in Deutschland von 2009 bis 2017

6) Kieler gegen Kinderarmut: Informationen – Ursachen und Folgen von Kinderarmut

7) siehe Quelle 3

Tamara Niebler

Tamara ist studierte Philosophin (Mag. phil.) & freie Journalistin in München. Sie unterstützt unsere Redaktion mit jeder Menge Fachwissen und kritischen Denkanstößen. Tamaras Motto: „Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen“ (Franz Kafka)

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Kinderarmut Definition – relative Armut statt absolute Armut

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