Kulturelle Armut

Die vielen Gesichter von Armut

Armut hat mehr als wirtschaftliche Folgen: Betroffenen Kindern fehlen substantielle Dinge. Sie können ihre Identität nicht oder nur wenig entfalten.

Vgl. auch Kinderarmut erkennen – subtile Anzeichen

Was ist Armut?

Definition absolute Armut

Armut gibt es auf der ganzen Welt. Sie wird aber in jedem Land anders definiert. Absolute Armut bedeutet, dass die existenziellen Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden können. Die materiellen Möglichkeiten reichen nicht aus.

Die Weltbank definiert Menschen als arm, die weniger als 1,90 US-Dollar am Tag zur Verfügung haben. Diese Art von Armut gibt es vor allem in Entwicklungsländern: Die Menschen haben nicht genug zu essen. Sie verfügen über keinen Wohnraum oder keine gesicherte ärztliche Versorgung.

 

Definition relative Armut

In Industrieländern wie Deutschland greifen oft staatliche Leistungen zum Lebensunterhalt. Deshalb spricht man bei uns eher von relativer Armut.

Als arm gilt, wer weniger als 60% des mittleren Einkommens zum Leben hat. Menschen, die von relativer Armut betroffen sind, haben ein Dach über dem Kopf. Sie haben Kleidungsstücke im Schrank. Sie haben Nahrung zur Verfügung.

Sie müssen aber an allen Ecken und Enden sparen: an Kleidung, an Essen, an Bildung. Und das Geld reicht dennoch nicht aus.

Für diese Kinder geht es um soziale Ungleichheit. Sie haben schlechtere Bildungschancen und können weit weniger am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Sie können der Armut nur schwer entkommen.

 

Was ist Kultur?

Kultur ist ein breiter Begriff. Es gibt keine einheitliche Definition. Kultur beinhaltet alles, was Menschen geschaffen haben. Dazu zählt auch die Art und Weise, wie wir unser Zusammenleben gestalten. Kultur bildet ein Beziehungsgeflecht, in dem wir uns selbst verorten können 1).

Kultur speichert zudem Wissen – über Generationen hinweg.

 

Kulturelle Armut macht noch ärmer

 

 Was macht Kultur?

Kultur führt zu einem Miteinander mit anderen Menschen. Durch Kultur bilden sich Gemeinschaften. Kultur wird weitergegeben und verbreitet. Sie entsteht und besteht durch Kommunikation.

  • Kultur gibt uns das Gefühl, dazuzugehören.

  • Sie vermittelt uns Werte.

  • Kultur stiftet uns Identität und formt sie.

  • Sie gibt uns Sinn und Zugehörigkeit.

  • Sie prägt nicht nur die Gesellschaft, sondern auch uns als Individuum.

Ohne Kultur können Kinder ihr Zugehörigkeitsgefühl kaum leben. Kultur stärkt Kinder. Sie lernen durch Ausleben von Kultur, was und wo ihre Wurzeln sind.  

 

Ist kulturelle Armut tatsächlich eine Form von Armut?

Das Wichtigste ist natürlich, ein Dach über dem Kopf zu haben. Ebenso wichtig ist es, ausreichend Nahrung zur Verfügung zu haben. Sobald aber die elementaren Grundbedürfnisse erfüllt sind, wird Kultur wichtig. Sie ist unsere Welt.

Ein Mangel an Kultur bedeutet einen Mangel an Lebenschancen.

Wie schon beschrieben, ist Kultur Identität. Wer keinen Zugang zur eigenen Kultur - oder zu anderen Kulturen - hat, ist benachteiligt. Kinder aus Migrantenfamilien sind in besonderem Maße von kultureller Armut betroffen.

 

Anzeichen kultureller Armut

 

In der Verständigung

Kultur umfasst Sprache und Schrift. Die gesprochene und geschriebene Sprache ist Teil von Kultur. Mimik, Gestik, Bewegungsabläufe sind auch Teile des Zusammenlebens. Sie sind alle von uns als Menschen gestaltet worden.

Kinder aus Migrantenfamilien leben oft zwischen beiden Kulturen. Dennoch gehören sie zu beiden nicht richtig dazu: Sie haben wenig Zugang zur elterlichen Kultur - aber auch keinen rechten Zugang zur „neuen“ Kultur. Zudem sprechen die Eltern die neue Sprache oft nicht.

In der Schule sind die Kinder sich meist selbst überlassen. Die Eltern können nicht mit ihnen lernen. Auch Notenbeurteilungen oder Lehrergespräche fallen ihnen schwer.

 

Im häuslichen Bereich

Die Eltern haben mehr Kontakt zu Menschen aus ihrer Heimatkultur. Das kann es den Kindern erschweren, Freunde aus anderen Kulturkreisen zu finden. Die Eltern können zudem mit den Freunden nicht kommunizieren.

Vgl. auch: Kind hat keine Freunde im Kindergarten – Ursachen & Tipps

 

Heimweh als Mangel an Kultur

Heimweh ist definiert als die Sehnsucht in der Fremde, wieder in der Heimat zu sein 2). Darin liegt immer auch ein Mangel an Kultur und das Erleben, dass die neue Heimat anders ist.

Allen Versuchen zum Trotz, die Wohnung wie in der Heimat einzurichten: Sobald sie die Wohnung verlassen, sind sie in der Fremde.

Migrantenfamilien leiden oft sehr unter der geographischen Entfernung zu ihrem Heimatland. Sie vermissen Familienmitglieder, die dort leben. Sie verpassen Familienfeste, religiöse und familiäre Meilensteine.

Hinzu kommt: Wirtschaftlich schwache Familien können sich oft keinen Urlaub oder Flug nach Hause leisten. 

 

Kulturelle Armut und kulturelle Bildung

Kulturelle Armut kann in Mangel an kultureller Bildung und an kulturellem Leben unterteilt werden.

Kinder aus Migrantenfamilien sind von beidem betroffen. Während sich kulturelles Leben eher auf die Freizeitgestaltung bezieht, bezieht sich kulturelle Bildung eher auf die Schule und Ausbildung.

 

 Nachteile in der Schule

Kinder aus armen Familien sind auch kulturell oft benachteiligt. Sie tun sich in der Schule eher schwer. Das gilt aber auch für die künstlerischen Fächer wie Kunst, Musik und Theater 3).

Arme Kinder musizieren beispielsweise seltener. Von Jugendlichen aus einkommensstarken Haushalten mit mehr als 30.000 Euro Nettoeinkommen pro Jahr erhält ein Drittel bezahlten Unterricht.

Bei Kindern aus Haushalten mit niedrigem Einkommen von weniger als 15.000 Euro im Jahr sind es gerade mal acht Prozent.

Ärmeren Kindern entgeht die Möglichkeit zu Kreativität und Selbstentfaltung. Sie werden „abgehängt“.

Was für einen großen Teil der Jugendlichen Standard ist, ist für sie eine unüberwindbare Barriere. Kinder aus Migrantenfamilien leben oft in wirtschaftlich schwachen Verhältnissen.

 

 Kein Kontakt mit anderen Kulturen im Rahmen von Urlaub oder Schüleraustausch

Kinder wachsen an Erfahrungen und Erlebnissen. Für die kindliche Entwicklung ist es wertvoll, zu sehen, wie Menschen in anderen Ländern leben.

Im Urlaub vor Ort machen Kinder spannende Erfahrungen. Sie lernen ein paar Worte der neuen Sprache. Sie erfahren, wie die Menschen dort leben. Bei der Abreise nehmen sie ein Souvenir mit und das Wissen, dass es noch mehr gibt als die Alltagswelt zuhause.

 

 Kulturelle Armut und ihre psychischen Folgen

(Finanziell) bessergestellte Kinder erleben, dass ihre Fragen beantwortet werden. Sie können sich spielerisch vertiefen und werden von ihren Eltern sogar dazu ermutigt. Sie können Ausdrucksformen trainieren. Sie können die Welt durch die kulturelle Brille entdecken.

Kind aus wirtschaftlich schwachen Familien können ihre Interessen wenig verwirklichen. Das macht sie auch kulturell arm: Sie können ihre eigene Identität nicht oder nur bruchstückartig entwickeln.

Zudem erleben sie Unterschiedlichkeit nicht als normal. Das bedeutet, sie können die Welt weniger verstehen. Ihr eigenes Leben bleibt flach.

 

Ausblick

Armut hat viele Facetten. Sie bedeutet Benachteiligung auf vielen Ebenen. Einige davon sind gut messbar.

Kulturelle Armut ist auch messbar. Aber sie zeigt sich stärker subjektiv. Wer am kulturellen Existenzminimum lebt, kann sich nichts leisten. Wie stark die betreffende Person leidet, ist individuell verschieden.

Die schöne Seite von Kultur ist: Sie schafft Gemeinschaft und verbindet. Sie bringt Identität und Zusammenhalt.

Kinder, die eine Verbindung zu ihren Wurzeln haben, sind kulturell wohlhabend. Kinder, die zusätzlich lernen, über den kulturellen „Tellerrand“ zu schauen, sind reiche Kinder.

Die anderen leben mit einem ständigen Defizit.

Vgl. auch Was ist Armut? (Philosophie) – Und warum ist sie ein Problem?

 

Existenzsicherheit verändert Eltern

Finanzielle Mittel helfen gegen Familien- und Kinderarmut. Das ist durch viele Studien belegt. Vorausgesetzt, den Menschen wird nicht vorgeschrieben, was sie brauchen und kaufen dürfen – Geld hilft gegen Armut

  • 1) Konzeptfreun.de: 35 Gründe für Kunst und Kultur

    2) Wikipedia

    3) Deutscher Kulturrat: Kinderarmut: Kinder aus armen Familien auch bei kultureller Bildung benachteiligt

 

Ariane Faralis

Ariane ist studierte Soziologin & hat eine eigene private psychotherapeutische Praxis. Sie verstärkt unsere Online-Redaktion mit fundierten Fachtexten und wertvollem Content. Ariane’s Motto: ”Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit” (Erich Kästner)

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