Kinder von Helikoptereltern
Übervorsichtige Eltern
Sie überwachen und beschützen ihr Kind ständig. Das kann dem Kind viele Nachteile bringen - aber auch einige Vorteile.
Was sind Helikoptereltern?
1969 hat der israelische Psychologe Haim G. Ginott in seinem Buch „Between parent und teenager“ den Begriff Helikoptereltern erstmalig verwendet. 1990 griffen ihn die amerikanischen Psychiater Foster W. Cline und Jim Fay auf 1).
Seitdem steht der Begriff für übervorsichtige Eltern, die ständig um ihr Kind kreisen. Er beschreibt Eltern, die übermäßig fürsorglich sind. Eltern, die alles perfekt machen wollen.
Helikoptereltern wollen in der Erziehung ihrer Kinder keine Fehler zulassen. Sie bleiben stets in der Nähe ihrer Kinder, um sie zu behüten. Sie wollen jederzeit wissen, wo die Kinder sind und was sie tun.
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Helikoptereltern - ein modernes Phänomen?
Noch vor ein paar Jahrzehnten hatten Kinder mehr Freiheit und Freiraum. Für die meisten Kinder gab es nur ein paar Strukturen und Regeln.
Fernab davon konnen sie relativ selbstständig die Welt erkunden. Sie klingelten spontan bei Nachbarskindern. Sie spielten zusammen auf den Straßen und verbrachten Zeit mit ihnen.
Es war gang und gebe, dass die Kinder dort auch ihr Abendessen bekamen und erst zur Schlafenszeit heimkamen.
Diese Unbeschwertheit gibt es immer weniger. Im Gegenteil: In unserer heutigen Gesellschaft wächst der Leistungsdruck ständig.
Die Lebenshaltungskosten steigen und steigen. Nur wer eine gute Ausbildung hat, wird später Chancen haben. Eltern wollen ihr Kind deshalb bestmöglich auf das Erwachsenenleben vorbereiten.
Dazu gehört eine möglichst umfassende (Aus-) bildung: Das Kind lernt schon früh das Klavierspielen, erhält Sprachunterricht. Tennis gehört zum guten Ton.
Es ist natürlich nicht von der Hand zu weisen: Als Kind fällt es uns leichter, Neues zu erlernen. Hobbys fördern die geistige und körperliche Entwicklung von Kindern.
Viele Kinder von Helikoptereltern müssen aber ständig Neues lernen: Sie haben jeden Tag der Woche verplant. Die Eltern werden zum Manager ihres Terminkalenders.
Der Wunsch nach Sicherheit
Der Wunsch nach Sicherheit wächst. Tatsächlich passieren heute weniger Verbrechen als noch vor 30 Jahren. Durch die Verbreitung über Internet und soziale Medien erfahren wir aber unmittelbar davon - auch wenn das Verbrechen in Australien stattfand.
Kinder haben ein Smartphone - und damit auch Zugriff auf möglicherweise nicht-kindertaugliche Seiten und Apps.
Diese freie und sofortige Zugänglichkeit befeuert ohnehin schon ängstliche Eltern. Sie wollen ihr Kind um jeden Preis beschützen. Sie versuchen, das Kind von allen Gefahren fernzuhalten.
Sie verabschieden ihr Kind beispielsweise nicht an der Schultür. Stattdessen lassen sie das Kind den kurzen Schulweg nicht alleine zurücklegen. Sie bringen das Kind bis ins Klassenzimmer.
In Deutschland werden zwei von drei Kindern mit dem Auto zur Schule gefahren, obwohl der Schulweg auch mit dem Rad oder zu Fuß machbar wäre 2).
Kinder von Helikoptereltern - welche Nachteile haben sie?
Es gibt nicht den einen “richtigen” Erziehungsstil. Jedes Kind ist anders und geht auf seine eigene Weise mit verschiedenen Situationen um. Ebenso vielfältig sind elterliche Erziehungsstile. Vgl. auch: Was ist Erziehung?
Eine Kindheit unter den wachsamen Augen von Helikoptereltern kann die folgenden Nachteile haben:
Sie trauen sich weniger zu
Helikoptereltern haben immer Angst, dass ihrem Kind etwas passieren könnte. So verinnerlicht das Kind schon früh: Klettergerüste zu erklimmen, ist gefährlich. Ganz klar falle ich sofort runter. Die Folgen wären schwerwiegend.
Der besorgte Blick der Mutter oder das klare Nein verstärkt die Angst. Es signalisiert schon dem kleinen Kind, dass es sich in einer potentiell hochgefährlichen Situation befindet. Diese Tendenz zu Ängsten kann sich durch das ganze Leben ziehen.
Das Kind hat wenig Freiräume
Helikoptereltern wollen die ganze Zeit mit ihren Kindern verbringen. Selbst wenn die Kinder Freunde einladen, sind die Eltern dabei. Sie hören bei den Gesprächen zu, sie beobachten, was und wie die Kinder spielen.
Für das Kind kann es bedeuten, dass die Freunde das Verhalten der Eltern seltsam finden und nicht mehr zu Besuch kommen wollen. Zudem spürt das Kind, dass es keine Rückzugsräume hat, keine Pausen, keine Zeit für sich. Vgl. auch: Kind hat keine Freunde im Kindergarten – Ursachen & Tipps
Die Eltern üben viel Kontrolle aus
Kinder haben ein feines Gespür und verstehen mehr, als Eltern oft glauben. Wenn sie wenige Entscheidungen selbst treffen dürfen und alle Aktivitäten erklären müssen, schränkt das die kindliche Entwicklung ein.
Helikoptereltern wollen wissen, wo sich ihr Kind aufhält. Viele tracken das Handy ihrer Kinder. Als Grund geben sie an, dass es nur zum Besten des Kindes ist.
Sie meinen es gut. Aber sie trauen ihrem Kind nicht zu, dass es vernünftige Entscheidungen treffen kann.
Die Eltern übernehmen die Verantwortung
Die Eltern entscheiden für ihre Kinder. Das kann den Selbstfindungsprozess des Kindes einschränken. Kinder machen Fehler. Das ist wichtig. Kinder lernen aus ihren Fehlern.
Wer nie Fehler machen darf, kann auch die fürs spätere Leben wichtigen Konsequenzen nie erleben.
Die Eltern können nicht loslassen
Wenn die Kinder älter werden, wollen viele sich aus der starken elterlichen Umklammerung befreien. Das kann zu ernsten Machtkämpfen zwischen Eltern und Kind führen.
Eltern, die nicht loslassen, können in ihren Kindern schwere psychische Probleme begünstigen. Viele Kinder leben selbst als Erwachsene noch immer nach den Vorgaben und Richtlinien ihrer Eltern. Lange, nachdem sie ausgezogen sind.
Die Vorteile für Kinder von Helikoptereltern
Kritiker sagen, dass Helikoptereltern ihre Kinder bevormunden und einschränken. Sie halten es für ein durch und durch negatives Erziehungsmodell.
Aber ganz so schwarz-weiß ist es nicht. Kinder von Helikoptereltern haben durchaus Vorteile. Aus ihnen werden oft erfolgreiche Erwachsene. Diese Vorteile können Kinder von übermäßig beschützenden Eltern haben:
Sie haben stark erhöhte Bildungschancen
Von einem jungen Alter an werden die Kinder gefördert. Sie können sich gesellschaftlich sicher bewegen und sind auch als Erwachsene weithin anerkannt.
Hobbys wie Klavierspielen, Tennis, Golf lesen sich im Lebenslauf sehr gut. Das Auslandsschuljahr in England oder Frankreich auch. Es kann den späteren Auswahlprozess in eine Eliteuniversität günstig beeinflussen.
Sie sind sehr behütet
Kinder von Helikoptereltern sind oft übermäßig stark behütet. Das kann zu Unselbstständigkeit führen, aber: Es kann dem Kind auch Stärke vermitteln. (Vgl. Stärken eines Kindes)
Wenn die Eltern das Kind nicht emotional vernachlässigt haben, spürt es lebenslang eine starke innere Sicherheit, die auch vor der Entwicklung schwerwiegender psychischer Krankheiten schützen kann.
Ihre Eltern sorgen für universitäre Abschlüsse
Heute ist ein guter Schulabschluss wichtiger denn je. Kinder, deren Eltern sich für eine erfolgreich abgeschlossene Schul- und Universitätsbildung eingesetzt haben, haben einen klaren Wettbewerbsvorteil.
Jeder Recruiter weiß: Zusätzliche Auslandsaufenthalte runden das berufliche Profil ab. Es zeigt den Blick über den Tellerrand, verschiedene Talente und Qualifikationen.
Gerade in unserer modernen Gesellschaft besteht eine große soziale Ungleichheit. Eltern haben Angst, dass ihr Kind sozial und gesellschaftlich abrutschen könnte. Helikoptereltern achten deshalb sehr auf die Qualifikationen ihrer Kinder.
Sie haben die dazu passenden Finanzen
Wirtschaftlich schwächere Eltern haben oft weder die Zeit noch das Geld, um sich so intensiv um ihr Kind zu kümmern. Eltern in bedürftigen Familien haben oft zwei Jobs pro Person, um halbwegs über die Runden zu kommen.
Helikoptereltern hingegen haben ausreichend Zeit, um um das Kind zu kreisen. Sie müssen nicht von Job zu Job hetzen. Ihr Kind wird zum „Projekt“. Und sie können dem Kind mehr ermöglichen.
Der Schulaustausch in England ist nur möglich, wenn die Familie zuhause genug Platz und Geld für ihr Gastkind hat.
Konzentrieren aufs Studium ohne nebenher arbeiten zu müssen, ist ein klares Privileg.
Wenn das Kind auf eine internationale (Elite-) Universität geht, müssen die Eltern noch mehr Geld für die Ausbildung einplanen.
Ausblick
Kinder ohne ein behütetes Elternhaus können es schwerhaben, ihrer sozialen Schicht zu entfliehen.
Früher gab es eher eine Heirat über Schichtengrenzen hinweg. Heute bleiben wohlhabende Akademiker unter sich: Sie heiraten bevorzugt ihresgleichen.
Sie haben oft genug Zeit und Geld, um sich um ihre Kinder intensiv zu kümmern. Diese Abschottung führt zu einer sozialen Ungleichheit.
Helikoptereltern können dies zusätzlich verstärken.
Zudem sind sich Kinder aus sehr behütetem Zuhause ihrer privilegierten Lage meist durchaus bewusst. Der Kreis schließt sich.
Helikoptereltern sollten auf jeden Fall manchmal innehalten und loslassen. Studien zeigen: Den Kindern alles vorgeben und geben ist nicht gut. Eltern müssen sich eingestehen, dass sie nur begrenzte Macht über ihre Kinder haben.
Der gute und effektive Weg heißt deshalb: Autoritativ, nicht diktatorisch sein. Es ist besser, den Kindern nichts zu befehlen, sondern zu empfehlen.
Autoritative Eltern überzeugen die Kinder davon, das zu tun, was für sie gut ist. Diese Kinder werden später ziemlich wahrscheinlich nicht auf die schiefe Bahn geraten.
Zusammengefasst kann man vielleicht sagen: Kinder von Helikoptereltern können unter ihren Eltern leiden. Kinder aus wirtschaftlich schwachen Familien auch.
Nur werden sie nicht ebenso gut ausstaffiert ins Leben geschickt wie ihre behüteten Altersgenoss:innen.
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1) bestNET.: Helikopter-Eltern
2) Kita.de: Helikopter-Mutter: Definition, Ursachen und Folgen der Überbehütung