Soziale Unsicherheit bei Kindern

Soziale Unsicherheit bei Kindern - Ursachen und Hintergründe

Die kindliche Entwicklung

Kinder haben einen extrem wichtigen und zeitaufwändigen „Job“: Sie müssen lernen. Wie ein Schwamm saugen sie Neues auf. Sie filtern all die überwältigenden Eindrücke um sich herum. Sie müssen mit einer wahren Flut an Eindrücken umgehen.

Gleichzeitig haben Kinder den starken Drang, die Welt zu erforschen: Sie wollen selbst ausprobieren, was möglich ist und was nicht.

Auch wenn damit zwangsläufig auch kindliche Enttäuschungen verbunden sind: Kinder bauen so Kompetenzen fürs spätere Leben auf.

Schritt für Schritt erweitern Kinder ihren Radius. Sie lernen einen sicheren Umgang mit Erwachsenen und mit anderen Kindern. Nach und nach trainieren sie, sich in der Welt zurechtzufinden und durchzusetzen.

Diese Kompetenzen sind Fähigkeiten, „die es den Menschen ermöglichen, ihr Leben zu steuern und auszurichten und ihre Fähigkeit zu entwickeln, mit den Veränderungen in ihrer Umwelt zu leben und selbst Veränderungen zu bewirken.“ (WHO 1994)

Bei sozial unsicheren Kindern ist diese Entwicklung gestört.

 

Definition soziale Unsicherheit

Soziale Unsicherheit bei Kindern ist keine psychische Störung. Es handelt sich vielmehr um eine Störung im Verhalten des Kindes. Kennzeichnend ist eine intensive Angst, in sozialen Situationen bewertet zu werden. In der Folge können betroffene Kinder soziale Beziehungen vermeiden. 

Zu einem gewissen Grad sind Ängste Teil eines normalen und gesunden Entwicklungsverlaufs. Manche Kinder sind schüchterner und zurückhaltender als andere.

Gefährlich ist es erst, wenn die Angst intensiv und übermächtig wird.

Soziale Unsicherheit kann bei Kindern in jedem Alter beginnen. Die Symptome manifestieren sich plötzlich oder über einen längeren Zeitraum hinweg.

Oft fühlen sich sozial unsichere Kinder erst beeinträchtigt, wenn sie sozialen Situationen außerhalb ihres Elternhauses ausgesetzt sind. Zuhause im sicheren Umfeld können sie sich wohl und sicher fühlen.

Soziale Unsicherheit bei Kindern ist weit verbreitet und nicht krankhaft. Oft ist sie allerdings schwer zu erkennen. Das kann zu Schwierigkeiten im Alltag führen: zum Beispiel wenn Kinder psychische und/ oder körperliche Symptome entwickeln. Die Symptomatik reicht bis hin zu psychischen Störungen.

 

Sozial unsichere Kinder erkennen

Soziale Unsicherheit zeigt sich in verschiedenen verbalen und nonverbalen Verhaltensweisen.

Die betroffenen Kinder sind meistens eher still. Sie verhalten sich unauffällig. Sie sind sehr ängstlich und übermäßig schüchtern.

In der Schule fallen sie hingegen nicht negativ auf. Deshalb übersehen Lehrer sie oft. Hinzu kommt: Schulklassen sind oft sehr groß. Die Lehrer haben nicht die Zeit, sich um alle Kinder und ihre individuellen Bedürfnisse gleichermaßen zu kümmern.

Selbst die Eltern ahnen oft nichts vom Leiden ihres Kindes.

 

Die Mimik und Gestik können erste Hinweise geben

Sozial unsichere Kinder antworten nicht oder nur einsilbig auf Fragen. Sie sprechen leise und undeutlich oder reden viel ohne wahren kommunikativen Austausch 1).

Vielen fällt längerer Augenkontakt schwer. Sozial unsichere Kinder lachen wenig und zeigen stark vermindert Freude. Während manche unruhig und nervös wirken, bewegen sich andere kaum und haben eine steif wirkende langsame Motorik.

Mögliche Symptome bei sozialer Unsicherheit:

  • Magenschmerzen, Durchfall

  • starke Nervosität

  • Gereiztheit

  • Kopfschmerzen

  • ungewöhnliche Zurückhaltung

 

Auswirkungen von sozialer Unsicherheit bei Kindern

Sie können sich nicht behaupten

Selbstbewusste Kinder haben meist wenig Probleme, ihre Wünsche auszudrücken. Eventuellen Unmut zeigen sie mitunter lautstark.

Sozial unsichere Kinder trauen sich nicht, eigene Bedürfnisse zu kommunizieren. Sie äußern keine eigenen Ideen. Sie schaffen es nicht, „Nein“ zu sagen.

Sie trauen sich nicht, sich bestimmten Lebenssituationen auszusetzen. Streitsituationen meiden sie. Wenn es doch dazu kommt, können sie sich nicht oder nur kaum wehren. Das macht sie leider zur Zielscheibe für Mobbing.

 

Sie haben Angst, sich zu blamieren

Sozial unsichere Kinder haben ein geringes Selbstwertgefühl. Sie befürchten, sich zu blamieren oder zu versagen. In sozialen Situationen fühlen sie sich gehemmt. Es fällt ihnen schwer, sie auszuhalten. Hinzu kommt die Angst vor der Situation im Vorfeld.

» Selbstwertgefühl von Kindern stärken – Tipps für Eltern

Ihre soziale Unsicherheit kann zu Verzicht und Ausgrenzung führen. In der Schule führt das zu erheblichen Nachteilen: Ihre schulischen Leistungen sind meist (stark) beeinträchtigt.

 

Sie haben wenige oder keine Freunde

Sozial unsicheren Kindern fällt es schwer, Freundschaften zu schließen. In anspruchsvollen Situationen können sie sich nicht durchsetzen.

Kinder aus wirtschaftlich schwachen Familien sind in hohem Maße gefährdet: Sie haben ein höheres Risiko dafür, sich minderwertig zu fühlen. Ihre Kleidung, ihr Zuhause, der Mangel an in der Schule gängigen Luxusgütern macht sie zu Außenseitern.

Sie können ihre Freunde nicht nach Hause einladen. Es fehlt an Wohnraum – oder schlicht an Geld, um die Freunde zu bewirten. Vgl. auch: Kind hat keine Freunde im Kindergarten (Ursachen & Tipps)

 

Sie haben Probleme in der Schule

Sozial unsichere Kinder fallen in der Schule nicht negativ auf. Genauer gesagt, fallen sie gar nicht auf. Sie sind angepasst, still und ruhig.

In vielen Fällen nehmen die Lehrer das betroffene Kind als angenehm ruhig wahr. Viele Pädagogen hinterfragen nicht, warum das Kind sich selten bis nie meldet.

Bei großen Klassen haben Lehrer zudem nicht die Kapazität, um das Verhalten zu hinterfragen und Rücksicht zu nehmen

 

Sie sind wenig selbstständig

Die meisten betroffenen Kinder trauen sich aufgrund ihres geringen Selbstwertes wenig zu. Situationen ohne elterliche Unterstützung fallen ihnen schwer.

Es gibt aber für jedes Kind Zeiten, in denen die Eltern nicht dabei sind. Es fällt dem Kind schwer, sich alleine zurechtzufinden. Das kann Ängste verstärken und sozialen Rückzug fördern.

 

Sie haben schlechte Erfahrungen gemacht

Für soziale Unsicherheit kann es konkrete Auslöser geben. Ehrlicherweise muss man zugeben: Nicht jede*r Lehrer*in ist verständnisvoll und denkt mit.

Besonders bei schüchternen Kindern ist pädagogisches Fingerspitzengefühl wichtig. Achtlose Bemerkungen können für diese Kinder schwerwiegende Folgen haben.

Für betroffene Kinder ist es beispielsweise ein Alptraum, an die Tafel kommen zu müssen. Die Angst baut sich in ihnen auf. Sie stufen die Gefahr, sich zu blamieren, als riesengroß ein.

Das kann ihren Ursprung in einer einzigen negativen Erfahrung haben. Eigentlich unbedeutende (schulische) Erlebnisse können so zum Auslöser für soziale Unsicherheit werden.

 

Ständige Kritik von Eltern oder Lehrern

Wer ständig hört, dass er nicht gut genug ist, glaubt es letztendlich selbst. Bei schüchternen Kindern braucht es oft nicht viel. Sie haben bereits eine hohe Bewertungsangst. Weil sie ihr Verhalten ständig spiegeln, trauen sie sich wenig zu 2).

Selbst einfache kommunikative Handlungen können schwierig sein. Wenn Eltern oder Lehrer nun viel erwarten, ist das Kind überfordert. Es wird in die sozialen Situationen gefühlt ohne Netz und doppelten Boden hineingeworfen.

 

So können Eltern und Lehrer sozial unsicheren Kindern helfen

Niemand kennt sein Kind so gut wie die Eltern. Sie können am besten einschätzen:

  • Wie unsicher ist mein Kind?

  • Was beschäftigt das Kind?

  • Wovor hat es Angst?

  • Inwiefern überfordern wir es vielleicht?

  • Wie können wir besser auf seine Bedürfnisse eingehen?

 

Jedes Kind ist anders

Der erste Schritt ist, individuelle Unterschiede bei Kindern zu verstehen und zu akzeptieren. Kinder entwickeln sich unterschiedlich. Deshalb ist Rücksichtnahme und Verständnis so wichtig.

Die Kinder dürfen nicht ins kalte Wasser geworfen werden. Vielmehr sollten sie schrittweise an soziale Situationen herangeführt werden. Eltern sollten mit den Lehrern sprechen und ihnen die Situation ihres Kindes erklären.

So kann das Kind gefördert werden, ohne gleichzeitig in den befürchteten Mittelpunkt gerückt zu werden.

 

Nicht alle Kinder erhalten Unterstützung

Leider erhalten bei weitem nicht alle Kinder die wichtige Förderung. Kinder aus wirtschaftlich schwachen Familien sind auch hier oft benachteiligt: Ihre Eltern sind von früh morgens bis spät abends in der Arbeit, oft in zwei Jobs, um die Familie halbwegs über die Runden zu bringen.

Oder sie können sich aus anderen Gründen nicht um ihr Kind kümmern. Gleichzeitig fühlt das Kind sich vielleicht schon minderwertig, weil es weiß, dass es mit seinen Klassenkameraden nicht „mithalten“ kann.

Deshalb schreiben wir in unseren Projekten gegen Kinderarmut das soziale Miteinander groß. Unsere bundesweiten Frühstücksklubs und Mittagstische sind ein sicherer Raum für die Kids.

Unsere Frühstücksklubhelfer*innen haben immer ein offenes Ohr für die kleinen und größeren Nöte der Kids.

Es ist natürlich nur ein klitzekleiner Teil des großen Ganzen. Aber es fördert wirtschaftlich schwache Kinder darin, mehr soziale Sicherheit zu erlangen.

 

Ausblick - Bei diesen Warnzeichen reagieren

Soziale Unsicherheit bei Kindern ist keine Krankheit. Sie ist von psychischen Erkrankungen abzugrenzen. Doch die Grenze kann natürlich fließend verlaufen. Zudem kann nur ein:e Psychotherapeut:in oder Psychiater:in eine verlässliche Diagnose stellen.

Eltern sollten daher bei folgenden Anzeichen reagieren und professionelle Hilfe für ihr Kind aufsuchen:

Psychische Symptome

  • Angst vor negativer Bewertung

  • Vermeidung von bestimmten Situationen

  • Ständige Gedanken an die Situation und die gefürchteten Konsequenzen

  • Übermäßige Schüchternheit

  • Wenig Konfliktlösungspotential

  • Schwierigkeiten, Freundschaften aufzubauen und damit oft verbunden

  • Genereller sozialer Rückzug

  • Geringes Selbstwertgefühl

  • Defizite in verbalen und nonverbalen Fähigkeiten

Körperliche Symptome

  • Erröten

  • Zittern bis zum Verkrampfen

  • Herzklopfen

  • Schwitzen

  • Angst zu erbrechen

  • Harndrang

  • Asthma

  • Hauterkrankungen

 

  • 1) Beate Womelsdorf: Soziale Unsicherheit. Definition, Begleiterscheinungen, Verlauf

    2) Süddeutsche Zeitung: Soziale Unsicherheit bei Kindern: "Guten Tag" sagen als unüberwindbares Hindernis

 

 

Ariane Faralis

Ariane ist studierte Soziologin & hat eine eigene private psychotherapeutische Praxis. Sie verstärkt unsere Online-Redaktion mit fundierten Fachtexten und wertvollem Content. Ariane’s Motto: ”Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit” (Erich Kästner)

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