Die Tschernobylkinder
Tschernobylkinder
Generationen von russischen Kindern erkranken an den Folgen von atomarer Strahlung - auch heute noch.
Die russische Bevölkerung war immer wieder radioaktiver Strahlung ausgesetzt.
1957 kam es in der kerntechnischen Anlage Majak zu einem schweren Unfall. 1986 explodierte ein Reaktor in Tschernobyl.
Auch heute, Generationen später, erkranken die Menschen. Die Tschernobylkinder sind besonders gefährdet. Aber auch in anderen Teilen des Landes wohnen Menschen in kontaminierten Gegenden.
Die Krebsraten sind deutlich erhöht. Das Leben für die betroffenen Menschen ist gefährlich.
Wie kommt es zu radioaktiver Strahlung?
Radioaktive Strahlung entsteht bei radioaktiven Zerfallsprozessen. In ihr werden Teilchen und Wellen entsendet.
Wenn radioaktive Strahlung auf biologische Zellen trifft, gibt sie einen Teil ihrer Energie ab. Die abgegebene Energie attackiert die Zellen: Sie wandelt die Atome, aus denen die Gewebe lebender Organismen bestehen, um oder bricht sie auf.
Diese energiereiche Radianz wird ionisierende Strahlung 1) genannt. Sie hat unterschiedliche Halbwertszeiten und Stärken. Die drei Wichtigsten sind:
Alphateilchen. Sie sind relativ groß und langsam. Selbst ein Blatt Papier können sie nicht durchdringen. Auch unsere Haut ist zu dick. Wenn wir Alphateilchen schlucken oder einatmen, können sie aber massive Schäden hervorrufen und tödlich sein.
Betateilchen. Sie sind kleiner und schneller. Sie können tiefer in lebendes Gewebe eindringen. Gefährlich werden sie, wennn man sie in irgendeiner Weise zu sich nimmt: Der Körper hält sie für essentielle Elemente. Deshalb können sie sich in bestimmten Organen anreichern.
Strontium-90 ist aus derselben chemischen Familie wie Kalzium. Es wird in den Knochen eingelagert.
Ruthenium wird vom Darm absorbiert.
Jod 131 wird vor allem in der Schilddrüse von Kindern gespeichert.
Gammastrahlen. Sie können weite Strecken zurücklegen. Sie durchdringen alles außer dicke Beton- oder Bleiplatten.
Gammastrahlen gehen direkt durch einen Menschen hindurch. Dabei werden sie nicht langsamer. Sie zerschlagen Zellen wie mikroskopisch kleine Gewehrkugeln 1).
Was macht radioaktive Strahlung so gefährlich?
Der menschliche Körper kann die Folgen radioaktiver Strahlung reparieren. Zumindest bis zu einem gewissen Grad.
Wenn der Schaden zu groß wird, schafft er es nicht mehr. Je stärker ein Mensch radioaktiv belastet ist, desto früher zeigen sich die Folgen 2).
Radioaktivität ist unsichtbar und sie ist gefährlich. Auch wenn wir uns einer hohen Dosis aussetzen: Unser Körper sendet uns keinerlei Warnzeichen.
Wir können die Strahlung nicht schmecken, riechen, hören oder fühlen. Wir bemerken sie nicht. Erst später spüren und sehen wir die Schäden. Dann ist es oft zu spät.
Radioaktivität verändert das Erbmaterial
Die DNA des Menschen ist in Chromosomen verpackt. Ca. 100 Billionen genetische Bauklötze halten unser Erbmaterial zusammen 3).
Wenn große Mengen radioaktiver Strahlung auf ihre Hauptbestandteile treffen, werden die Zellen verändert und beschädigt. Sie fangen an, sich unregelmäßig zu verhalten.
Die Folgen können fatal sein. Häufig reproduzieren sich die Zellen unkontrollierbar. Dann erkrankt die betroffene Person an Krebs.
Oft ist der Tod durch radioaktive Strahlung ein Langsamer. In vielen Fällen überspringt er sogar eine Generation oder zwei 4).
Wie so oft, sind auch hier die Kinder die unschuldigen Opfer: Das Krebsrisiko der Tschernobylkinder ist durch radioaktive Strahlung stark erhöht.
Bereits niedrig dosierte Strahlen können das Erbgut verändern und damit langfristig Krebs auslösen. Leukämie ist eine mögliche Spätfolge.
Kinder erkranken schneller
Wissenschaftler der Universität Oxford bestätigen in einer groß angelegten Studie: Gammastrahlung wirkt sich auf das Kinder-Leukämierisiko aus. Selbst eine kleine Dosis kann eine große Gefahr bedeuten 5).
Kinder erkranken eher an Krebs, weil sie wachsen. Die Zellteilung verläuft bei ihnen schneller. Je jünger ein Kind ist, umso leichter wird es auch durch niedrige radioaktive Belastung geschädigt 6).
Die Patienten werden immer jünger. Für die Tschernobylkinder der ersten Generation waren höhere Dosen gefährlich. Für Kinder der zweiten Generation reichen viel kleinere Dosen aus.
Deshalb unterstützen wir seit 30 Jahren an Leukämie erkrankte Kinder in Russland.
Frühe seltene Erkrankungen sind in Russland an der Tagesordnung
Das Immunsystem von bestroffenen Kindern ist schwach. Beispielsweise werden Caesium 137 und Strontium 90 von den Kindern aufgenommen. Cäsium setzt sich in den Muskeln ab, Strontium in den Knochen.
Die Kinder haben Schmerzen in Muskeln und Gelenken. Sie sind schlapp und werden schnell müde.
Die Patienten werden immer jünger.
Infekte und Schlaganfälle bei 30-jährigen sind keine Seltenheit.
Wie kommen russische Kinder mit Radioaktivität in Berührung?
Eine gravierende Ursache für radioaktive Strahlung waren die atomaren Unglücke in Majak und Tschernobyl.
Radioaktiver Staub wurde in die Atmosphäre gewirbelt. Der Wind verteilte es. Radioaktiver Niederschlag fiel auf den Boden. Der sogenannte Fallout legte sich auf die Wälder und Wiesen. Radioaktive Stoffe sickern in die Erde ein.
Die Strahlenbelastung war massiv: Sie verursachte im schlimmsten Fall eine akute Vergiftung - die Strahlenkrankheit.
Die Menschen in Russland können sich kaum schützen
Die zweite Ursache ist die jahrzehntelange Ablagerung von radioaktivem Müll. Viele Menschen leben in kontaminierten Gebieten. Ihre Häuser stehen auf kontaminiertem Boden.
Alle Häuser müssten penibelst gereinigt werden. Die kontaminierte Erde sollte sorgfältig entsorgt werden. Aber nur wenig passiert.
Oft ahnen die Menschen nichts von der Strahlenbelastung. Sie sehen nur, dass sie auf günstigem Land wohnen.
Viele beachten Tschernobyl nicht mehr. Die russische Regierung spielt die Folgen herunter. Sie propagiert gut klingende Fakten: nach 30 Jahren ist beispielsweise die erste Halbwertszeit für Cäsium und Strontium vorüber.
Das stimmt. Es dauert aber zehn Mal so lange, bis die zweite Hälfte weg ist: Nämlich 300 Jahre 7).
Die Menschen sind der Strahlung Tag und Nacht ausgesetzt. Sie ist nicht überall stark - aber sie ist konstant.
Hinzu kommt atomarer Abfall, vor Jahrzehnten in Seen, in der Natur „entsorgt“. Damals wurde er notdürftig vergraben.
Er verseucht weiterhin die Erde. Regen und Bodenerosion spülen radioaktive Stoffe wieder an die Oberfläche.
Auch durch Wohnungsbau, Bau von Autobahnen und Brücken, wird kontaminierte Erde immer wieder hochgespült.
Lebensmittel: Die tägliche Gefahr
Russland hält bei Lebensmitteln strenge Grenzwerte ein. Waren, die in den Handel kommen, werden regelmäßig kontrolliert.
Viele Menschen in Russland sind aber Selbstversorger. Sie sind arm und darauf angewiesen, selbst Obst und Gemüse anzubauen. Sie ernähren sich überwiegend von Produkten aus den eigenen Gärten.
Für den privaten Anbau gibt es keine Kontrollen.
Ihre Kinder nehmen Radioaktivität über die Luft auf. Über Gemüse oder Kuhmilch gelangt Strahlung in ihre Körper. Sie trinken die Milch von Kühen, die auf kontaminierten Weiden grasen.
Ausblick:
Auf manchen Stellen wird teilweise jedes Jahr Erde neu aufgeschüttet. Der Müll ist damit aber nicht verschwunden. Wissenschaftler schätzen, dass Tschernobyl erst 2065 abgebaut sein wird.
Bis dahin wird die radioaktive Strahlung mehr als 40.000 Todesopfer gefordert haben 8). Die nächsten Generationen der Tschernobylkinder werden unter den Folgen leiden.
Unter der Erde Russlands liegt viel mehr radioaktives Material verborgen. Rund 60.000 Tonnen radioaktiver Abfall sind allein bei Moscow Polymetals Plant eigenem radiaktiven Müllplatz abgelegt.
In vielen Gebieten können weder Straßen noch Brücken gebaut werden.
Oft wird die Gefahr einfach ignoriert: Momentan wird bei Moskau eine Autobahn und eine Brücke gebaut. Bei den Bauarbeiten wird stark radioaktives Material freigelegt. Die Radioaktivität ist 45 mal so hoch wie normal.
Ein signifikantes Gesundheitsrisiko für die Anwohner. Dennoch werden die Bauarbeiten weiter durchgezogen.
Es gibt eine „Formel“ zu starker radioaktiver Exposition 10). Eigentlich sollte sie als Warnung genügen:
Nach 30 Sekunden kommt es zu Schwindelgefühlen und Müdigkeit.
Nach zwei Minuten beginnen die Zellen zu bluten.
Nach vier Minuten folgen zusätzlich Übelkeit, Durchfall und Fieber.
Nach 300 Sekunden hat man noch zwei Tage, bis man stirbt.
Quellen:
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1) Adam Higginbotham, 2019: Mitternacht in Tschernobyl 2) Deutsche Welle - Im Einheitendschungel radioaktiver Strahlung 3) scinexx 4) WELT - Ich, das Tschernobyl-Kind 5) Deutschlandradio - Radioaktive Umweltstrahlung und Leukämie bei Kindern 6) www.aerzteblatt.de 7) Deutschlandradio - Die Kinder der Verstrahlten 8) Business Insider - Chernobyl’s ’sarcophagus,‘ which helped contain the spread of radiation, is being dismantled because it’s teetering on collapse 9) Deutsche Welle - Moscow starts work on highway through nuclear waste site 10) VICE - Der Mann, der im Keller von Tschernobyl auf einen Elefantenfuß traf