Tschernobyl

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Tschernobyl

Vor 35 Jahren kam es im russischen Atomkraftwerk Chernobyl zum atomaren Super-GAU. Noch heute leiden die betroffenen Menschen an den Folgen.

Am 26. April 1986 explodierte ein Reaktor des russischen Atomkraftwerks Chernobyl - in Deutschland Tschernobyl genannt.

Der Unfall war eine der größten atomaren Katastrophen der Menschheit. Tschernobyl erlangte traurige weltweite Berühmtheit.

Die genauen Zahlen zu Todesopfern schwanken je nach Quelle stark. Die Folgeschäden bei den betroffenen Menschen werden unterschiedlichst eingeschätzt.

Sicher ist: Damals entstand eine verheerende atomare Strahlenbelastung. Auch 35 Jahre nach dem Unglück ist Chernobyl noch ein aktuelles Thema.


Tschernobyl - ein modernes Atomkraftwerk

Das Atomkraftwerk Chernobyl befindet sich in der Nordukraine, unweit der weißrussischen Grenze. Ca. 20 km südlich liegt die nächstgelegene Ortschaft: das 1193 gegründete Chernobyl.

Die kleine Stadt war die Namensgeberin für das Kraftwerk mit dem offiziellen Namen W. I. Lenina 1).

Die damalige Sowjetunion hatte einen großen Plan: sie hoffte, mit dem Bau von Chernobyl ein Zeichen zu setzen. Die Regierung wollte den atomaren Wettstreit mit dem Westen gewinnen.

Das Kraftwerk sollte den Beginn einer neuen Ära markieren. Am 15. August 1972 begannen die lang ersehnten Bauarbeiten.


Eine neue Stadt wird gebaut

Parallel zum Atomkraftwerk wurde vier Kilometer entfernt eine ganze Stadt errichtet. Tausende von Mitarbeiter*innen sollten hier eine neue Heimat finden.

Die neue Stadt erhielt den Namen Prypjat. Die Regierung wollte den künftigen, tausenden Mitarbeiter*innen einiges bieten. Die Wohn- und Lebensbedingungen in Prypjat waren viel besser als im Rest des Landes:

  • Es gab genügend Wohnraum für alle.

  • Für die Kinder wurden Schulen und Kindergärten gebaut.

  • Zum attraktiven Angebot zählten auch zahlreiche ansprechende Freizeitangebote.

  • Es gab einen Freizeitpark und den sogenannten Kulturpalast: In ihm befand sich unter anderem ein Olympia-Schwimmbad und ein Kino.

Die Einwohner*innen hatten ein abwechslungsreiches und sorgenfreies Leben. Sie genossen das rege kulturelle Angebot. Im Sommer badeten sie an den weißen Sandbänken des nahen Flusses Prypjat.

Zur Arbeit und nach Hause kamen sie in Shuttle-Bussen. In regelmäßigen Abständen verkehrten die Busse zwischen Prypjat und dem Atomkraftwerk 2).


Die Menschen ahnten nichts

Von lebensgefährlichen Gefahren durch Radioaktivität ahnten die Mitarbeiter*innen wenig.

Sie wussten nicht, dass Tschernobyl unter den drängenden Augen der Regierung gebaut worden war.

Sie wussten nicht, dass das neue Atomkraftwerk nicht sorgfältig genug überprüft wurde.

Sie ahnten nicht, dass es mit teilweise mangelhaftem Material erbaut worden war.

Am 27. Mai 1978, fünf Jahre nach Baubeginn, wurde Tschernobyl feierlich eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt waren drei Reaktoren betriebsbereit.

Der vierte Reaktor wurde 1983 fertiggestellt. Er sollte drei Jahre später für eine der größten atomaren Katastrophen der Menschheit sorgen.

  

Der atomare Unfall in Tschernobyl

Das Unglück geschah am 26. April 1986. Es war in der Nacht von Samstag auf Sonntag: Die Ingenieure des Kraftwerks wollten einen Stromausfall des bislang noch nie getesteten Reaktors 4 simulieren. Der routinemäßige Test sollte um 1:20 Uhr morgens stattfinden.

Die Ingenieure glaubten: Der Restschwung der mächtigen Rotoren des Kraftwerks würde reichen, um den Kühlkreislauf in Gang zu halten.

Eine knappe Minute musste überbrückt werden. Dann würden die Notstromaggregate für die Kühlpumpen anspringen.

Eine fatale und katastrophale Fehleinschätzung.

 

Ein Routinetest in Tschernobyl läuft schief

Das Experiment geriet sofort außer Kontrolle. Die Temperatur im Reaktorkessel nahm schlagartig und unkontrolliert zu. Das Kühlwasser verdampfte. Die Wasserzufuhr wurde weniger und weniger. Die Hitze stieg immer schneller an.

Die diensthabenden Ingenieure wollten das Kraftwerk “bremsen”. Sie drückten den Notknopf. Die Kettenreaktion in den Brennelementen sollte sich nun verlangsamen.

In dieser Situation bewirkte es aber das Gegenteil: Es entfachte ein kurzes, aber heftiges nukleares Feuer. Die Ingenieure konnten nichts mehr tun. Es kam zur Kernschmelze und Explosion des Reaktorkerns.

Um 1:23 Uhr explodierte Reaktor 4. Der Block wurde vollständig zerstört. Im Reaktorkern klaffte ein riesiges Loch. Flammen loderten empor. Radioaktive Stoffe wurden 1.200 Meter hoch in die Atmosphäre geschleudert.

Die diensthabenden Mitarbeiter des Kraftwerks ahnten das Ausmaß des Unglücks nicht. Fassungslos suchten sie nach dem Grund für die Explosion.

Sie wateten durch radioaktiv verseuchtes Wasser. Viele von ihnen trugen keine Schutzanzüge. Stärkste radioaktive Strahlen durchdrangen ungehindert ihre Körper.

Ihre Messgeräte waren zu schwach, um ein genaues Ergebnis zu zeigen. Sie wollten einfach einen Überblick über die Lage bekommen.

Sie ahnten nicht, dass sie ihr Leben riskierten.

 

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Die Evakuierung von Tschernobyl

Zum Zeitpunkt des Unglücks lebten in Prypjat ca. 49.000 Menschen. Darunter waren etwa 10.000 Kinder und Jugendliche.

Die Einwohner von Pryprjat wurden am Sonntag evakuiert. Bis zum 3. Mai wurde der Radius auf 10 km erweitert, am 4. Mai auf 30 km.

Im Frühjahr und Sommer 1986 mussten etwa 116.000 Menschen ihr Zuhause verlassen. In den Folgejahren wurden weitere 220.000 Menschen evakuiert.

Mehr als weitere fünf Millionen Menschen lebten in umliegenden Gebieten. Erst später wurden sie als kontaminiert klassifiziert:

Außerhalb der Sperrzone in Tschernobyl wurden Gebiete in Russland, Weißrussland und der Ukraine als kontaminiert definiert. Das betrifft nach offiziellen Angaben

  • in Weißrussland eine Fläche von etwa 46.500 Quadratkilometer

  • in Russland 57.000 Quadratkilometer

  • in der Ukraine 41.800 Quadratkilometer


Die Liquidatoren - die stillen Helden

Rund 800.000 Helfer, die sogenannten Liquidatoren, wurden zu den stillen Helden von Tschernobyl. Sie haben eine noch größere atomare Katastrophe verhindert 3).

Die Liquidatoren arbeiteten teilweise ohne spezielle Schutzausrüstung. Oft mit bloßen Händen dämmten sie die radioaktiven Strahlung ein. Sie untersuchten den zerstörten Reaktor und beseitigten atomaren Müll.

Geschätzt die Hälfte der damals jungen und kraftstrotzenden Menschen sind heute krank oder bereits verstorben.

Ab 1986 bot die Arbeit in Tschernobyl günstige Bedingungen: Eine gute Bezahlung, einen Zwei-Wochen-Arbeitszyklus: Zwei Wochen normale Arbeitszeit, zwei Wochen frei.

Radioaktivität verändert das Genmaterial

Es gibt es nur wenig Konsens in den Schätzungen der Opferzahlen in der Bevölkerung.

Nicht jeder, der damals in Prypjat und Umgebung lebte, starb unmittelbar an der radioaktiven Strahlung.

Radioaktivität verändert aber das Genmaterial 4). Plötzlich wird das Kind oder Enkelkind krank - so wie im Fall unseres Besonderen Kindes Lisa. Sie verbrachte ihre ersten Lebensjahre in einer stark kontaminierten Gegend.

Tschernobyl - die Strahlung heute

Es klingt unglaublich: Nach dem Unglück wurden die übrigen drei Reaktorblöcke weiter genutzt. Erst im Jahr 2000 wurde das Kraftwerk endgültig stillgelegt - unter anderem wegen zu hoher Radioaktivität im Umkreis.

Ende 1986 wurde ein Schutzkonstrukt um Reaktor 4 gebaut: Es minderte die radioaktive Strahlung. Dieser “Sarkophag” war nur eine Notlösung.

2018 wurde das “New Confinement” fertiggestellt. Auf extra errichteten Schienen wurde die mobile Schutzhülle über den Reaktorblock geschoben 5).

Es wird für die nächsten 100 Jahre vor der atomaren Strahlung im Inneren des Reaktors schützen.

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 Ca. 1.500 Menschen sind nach dem Unglück inzwischen nach Chernobyl zurückgekehrt. Sie blenden die Gefahr der Radioaktivität aus und die Regierung unterstützt es 6).

Viele Menschen können sich Wohnraum auch nicht leisten. Sie leben notgedrungen auf verlockend preisgünstigem Land.

Noch heute leben nach offiziellen Angaben fünf Millionen Menschen in radioaktiv verstrahlten Gebieten. Die Kinder wachsen mit einem stark erhöhten Krebsrisiko auf 4).

Leukämie ist beispielsweise eine häufige Folge radioaktiver Strahlung. Wir unterstützen deshalb seit 1993 Kinderkrebspatient*innen in Russland.

Die Gegend soll wieder bevölkert werden

Die Ukraine plant, die Gegend um Tschernobyl wieder zu bevölkern. So soll unter anderem mit dem Anbau von Mais begonnen werden: Mais speichert Radioaktivität weniger stark.

Auf dem verlassenen Land wuchern Pflanzen, leben wieder Tiere. Beispielsweise die Wölfe von Tschernobyl sind zurückgekehrt.

Wahrscheinlich sind Wölfe weniger von den Folgen der atomaren Strahlung betroffen: Sie wandern, bleiben nie lange an einem Platz.

Wer genau hinsieht, erkennt, dass viele Spinnen kein Netz mehr weben können.

Tschernobyl als Touristenmagnet

2011 hat die Regierung die Gegend um Tschernobyl für Touristen freigegeben. Seit 2018 dürfen Mutige auch den Unglücks-Reaktor selbst besichtigen 7).

Radioaktivität ist nicht sichtbar - aber sie scheint viele Menschen zu faszinieren. Kaum zu glauben: Tschernobyl ist zu einer Touristenattraktion geworden. Jedes Jahr verzeichnet die Regierung sechsstellige Besucherzahlen.

Auf den sozialen Medien teilen Menschen Selfies neben einem radioaktiv verseuchten Riesenrad, vor der Schaltzentrale in Reaktor 4.

Sie messen mit dem im Souvenirshop erworbenen Dosimeter die Strahlung während der gebuchten Tagestour selbst. Der Geigerzähler zählt hier zur Standardausrüstung wie der Fotoapparat.

Wenn man die Halbwertszeit von Radioaktivität berücksichtigt, ist klar: Die Strahlung ist an vielen Stellen, beispielsweise im Staub auf dem Boden, immer noch gefährlich hoch.

Ein Trip nach Chernobyl: Der etwas andere Nervenkitzel. Man kann den Besucher*innen nur wünschen, dass sich der Wind nicht dreht.

Quellen:

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Ariane Faralis

Ariane ist studierte Soziologin & hat eine eigene private psychotherapeutische Praxis. Sie verstärkt unsere Online-Redaktion mit fundierten Fachtexten und wertvollem Content. Ariane’s Motto: ”Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit” (Erich Kästner)

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