Straßenkinder & Sozialwaisen in St. Petersburg
Von 1996 bis 2022 setzte sich unsere Kinderhilfe intensiv für Straßenkinder in Russland ein. Hier kämpfen Straßenkinder Tag für Tag ums Durchkommen. Sie sind Gewalt, Drogen, Kriminalität und der Willkür Erwachsener ausgesetzt.
Besonders prekär und dramatisch war die Lage im russischen St. Petersburg, wo viele Kinder auf die Straßen flüchteten, weil sie es zu Hause oder in den Kinderheimen nicht mehr aushielten.
Anmerkung
Leider mussten wir unser Straßenkinder-Projekt, für das wir uns jahrzehntelang engagiert hatten, im Laufe der Zeit aufgeben. Die russische Regierung machte es die letzten Jahre immer schwieriger für ausländische Organisationen, humanitäre Hilfe zu leisten. Aus diesen Gründen mussten wir unser Engagement 2022 in Russland aufgeben.
Kein Kind ist freiwillig auf der Straße
In Russland leben viele Straßenkinder und Sozialwaisen. Sie alle treibt es aus bitterer Not und purer Verzweiflung auf die Straße. Sie alle haben trotz ihrer unterschiedlichen Schicksale eines gemeinsam: Sie müssen ums Überleben kämpfen.
Straßenkinder in St. Petersburg durchsuchen den Müll nach etwas Essbarem
Doch anders als im Süden der Welt, herrscht in russischen Metropolen, wie St. Petersburg, eine klirrende Kälte, welche die Lage der Straßenkinder noch dramatischer macht.
Leben zwischen Kälte, Müll und Schmutz.
Hier zeigten uns Straßenkinder ihren versteckten Unterschlupf, in dem sie Schutz suchen.
Die verlorenen Jungen und Mädchen von Russland leben in Randbezirken.
Sie schlafen in Metroschächten, verlassenen Kellern und auf Dachböden.
Perspektiven gibt es wenige, der Alltag ist trist und die Kinder versuchen sich mit Betteln wenigstens ein paar Rubel zu verdienen.
Viele von ihnen rutschen in die Kriminalität oder Prostitution ab.
Straßenkinder & Sozialwaisen werden oft übersehen
Viele denken beim Wort Straßenkind automatisch an Indien oder Lateinamerika, wo Kinder unter freiem Himmel schlafen können. Dabei leben auch in Osteuropa wie Russland, Polen und Rumänien viele Kinder auf der Straße und erleben unglaubliches Leid. Kinderarmut ist in Russland schon lange ein brisantes Thema. Aufgrund des wirtschaftlichen Ruins und der vielen Umwelt-Katastrophen gibt es dort Kranke, Waisenkinder und Behinderte.
Ferner sind soziale Missstände, wie Korruption, Arbeitslosigkeit und Alkoholabhängigkeit, tief in die Gesellschaft eingegraben und bei vielen armen Familien an der Tagesordnung.
Wie viele Kids auf den Straßen von St. Petersburg leben, weiß niemand genau
In einem sind sich jedoch alle einig: Die Zahl der Straßenkinder in Russland ist groß. Viel zu groß!
Straßenkinder fischen Essen aus Müllbeuteln
Dieser Junge schläft in einem Keller, um der Eiseskälte auf der Straße zu entkommen.
Während die einen von 150.000 bis 730.000 obdachlosen Jugendlichen berichten, sprechen andere Untersuchungen von 1 bis 5 Millionen Straßenkindern – und das allein in Russland. Mindestens 50.000 davon sollen in Moskau leben, weitere 15.000 in St. Petersburg.
Doch wahrscheinlich sind auch diese Zahlen noch zu kurz gegriffen.
Was sind Straßenkinder?
Straßenkinder sind Kinder und Jugendliche, für die das Leben auf der Straße den Lebensmittelpunkt bildet. Das bedeutet: sie verbringen fast den gesamten Tag auf der Straße – entweder um Geld zu verdienen oder weil sie sonst nicht wissen, wohin. Hinzukommen zahlreiche Kids, die täglich auf der Straße sind und sich nur zum Schlafen nach Hause trauen.
Sozialwaisen – unerwünscht & vergessen
In St. Petersburg handelt es sich eigentlich um Sozialwaisen – nur kennt den Begriff fast niemand. Sozialwaisen werden Kinder genannt, um die sich niemand kümmert und für die sich niemand verantwortlich fühlt. Weder die eigenen Eltern noch nahe Verwandte oder Angehörige.
Als Sozialwaisen gelten Kinder, die …
keinen Kontakt zur Familie haben und an Zufluchtsorten leben.
Kontakt zu den Eltern halten, aber wegen Elend & Gewalt in der Familie lieber auf der Straße bleiben.
aus staatlichen Waisenhäusern & Kinderheimen vor Missbrauch & Gewalt fliehen.
Krankheiten nehmen in der armen Bevölkerung zu
In Russland sind viele arme Menschen krank, vor allem Ältere und Kinder
Die russische Bevölkerung verarmt zusehends – und mit ihr die Kinder. Das alles hat seine geschichtlichen Wurzeln.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gerieten viele Russen ins soziale Abseits, während die Reichen noch reicher wurden.
Auffällig ist in Russland die zunehmende Verbreitung von Tuberkulose, Hepatitis und HIV.
Mehr als eine Million HIV-Infizierte sind in Russland gemeldet. Behandelt werden etwa die Hälfte von ihnen. Noch schlimmer: während die Infektionszahlen Jahr für Jahr steigen, herrscht ein regelrechter Medikamenten-Mangel in Russland.
Wie leben Straßenkinder in St. Petersburg?
Die zerrütteten und häufig von Alkohol und Drogen bestimmten Familienverhältnisse treiben Jungen wie Mädchen auf die Straße.
Wie viele Straßenkinder in St. Petersburg leben, weiß niemand genau
Die Lebenszustände der Kids sind nicht nur hygienisch katastrophal, sondern auch existenziell.
Auch dort prägen Gewalt, Prostitution und Kriminalität ihr tägliches Leben.
Die Kinder hausen in Bauruinen, auf Dachböden oder oft zu zehnt oder mehr in schmuddeligen Zimmern.
Viele benebeln ihr Schicksal deshalb mit Drogen und Alkohol – genauso wie ihre Eltern.
Viele Straßenkinder finden Zuflucht in überbelegten Wohnungen.
Ein Sinnbild der schrecklichen Lebensumstände der Straßenkinder von St. Petersburg
In Russland herrscht eine große Kluft zwischen Arm & Reich
Das reichste 1⁄5 der Bevölkerung hat 50 % seines Einkommens zur Verfügung, dem ärmsten 1⁄5 bleiben dagegen nur 6 % der Einkünfte. Ungefähr 1⁄4 der russischen Bürger (ca. 35 Millionen Menschen) lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Diese Jungs leben auf der Straße und fanden Schutz vor der eisigen Kälte in einem Keller.
Betroffen sind vor allem Senioren, einkommensschwache und kinderreiche Familien sowie kranke Menschen. Also genau diejenigen, die ohnehin schon dringend Hilfe brauchen.
Diese 2 Jungs wurden direkt vom Streetworker aufgegriffen, den wir damals begleiteten.
Aufgrund der bitteren Armut sind in den vergangenen Jahrzehnten die Drogendelikte in Russland um das 15-fache gestiegen.
Und zwar bei den Armen, wo 1⁄3 der Todesfälle durch Alkoholmissbrauch verursacht sind.
Übrigens hat sich auch die durchschnittliche Lebenserwartung der Russen erheblich verringert: Männer erreichen nur mehr 64 Jahre, ¼ von ihnen stirbt noch vor dem 55. Lebensjahr.
Viele Straßenkinder freuen sich über jede freundliche Geste.
Vielen Streetkids ist ihr Elend und ihre Scham anzusehen.
Die Armut hat Russland fest im Griff
Russlands Bevölkerung lebt in Armut, die vor allem nach dem Sozialismus stark zunahm. Die meisten armen Menschen in Russland finden sich in ländlichen Gegenden.
Straßenkind in St. Petersburg: Dem Jungen sind die Strapazen des Straßenlebens ins Gesicht geschrieben.
Was Krankheiten betrifft, ist in Russland eine rasante Verbreitung von Infektionskrankheiten zu beobachten.
HIV, Tuberkulose, Hepatitis & mehr sind derzeit die häufigsten Erkrankungen.
Wie schlecht es Kindern in Russland geht, lässt sich auch direkt an Zahlen ablesen: Russland gehört zu den Ländern in Ost-Europa mit den höchsten Sterblichkeitsraten bei Säuglingen und Kleinkindern.
Unsere ehemaligen Kinderhilfsprojekte in Russland
Der renommierte Professor und Arzt Dr. Vassilij Sereda kämpfte seit den 1990er-Jahren unermüdlich um das Leben der Straßenkinder in St. Petersburg. Seine Arbeit wurde mehrfach in den Medien dokumentiert.
Dr. Sereda ist beliebt bei den Kindern, er hat sich ihr Vertrauen erarbeitet.
Es gab kaum jemanden, der mit so viel Herzblut und Engagement für die vergessenen Kinder Russlands kämpfte, die von Armut und Leid geprägt sind.
Mehr über Dr. Seredas Arbeit erfahren >> Russlands vergessene Kinder
Mit einem Kältebus fuhr er die ersten Jahre jede Nacht persönlich durch St. Petersburg, um die Kinder und Jugendlichen auf den Straßen mit Nahrung und Medizin zu versorgen. Früher hatte der Mediziner auch mehrere Behandlungsheime für Straßenkinder unter seiner Aufsicht.
Bei Dr. Sereda fanden traumatisierte Mädchen Halt und Sicherheit.
Allerdings gingen ihm in den Jahren die Mittel aus. Vom Staat erhielt er keine Hilfe, sondern immer wieder Hindernisse und Schikane, weil er Missstände publik machte.
Als das Projekt aus diversen Gründen nicht mehr möglich war, baute Dr. Sereda eine Mädchen-Hilfe auf – auch dieses Projekt unterstützten wir viele Jahre lang erfolgreich.
Auch der Unterricht war speziell auf die Bedürfnisse der Mädchen ausgerichtet.
Bei Dr. Sereda fanden traumatisierte Mädchen nicht nur Halt und Sicherheit. Überdies eröffnete er durch Psychotherapie, Bildung, medizinische Versorgung und Handarbeitskurse den Mädchen eine echte Zukunft in der Gesellschaft.
Viele Jahre später wurde die Mädchen-Hilfe in ein Day-Care-Center für bedürftige Kinder umgewandelt, das sich auf die spezielle Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund konzentrierte.
Vor allem Migranten werden in Russland ausgegrenzt.
Viele der Kinder im Day-Care-Center lernten erst hier Lesen und Schreiben.
Raduga Mädchenklub & K9-Club
Der Raduga Mädchenclub und die K9-Freizeiteinrichtung waren 2 Sozialprojekte in St. Petersburg, die im Kampf gegen Kindernot und Kinderarmut in Russland wertvolle Arbeit leisteten.
Die Kinder haben Spaß beim Basteln
Umso wichtiger war es uns, diese Kinderhilfsprojekte zu unterstützen.
Die Mädchen zeigen stolz ihr selbst genähtes Werk
Die Einrichtung war für bedürftige Kinder von 6 bis 16 Jahren und alleinerziehende, junge Mütter zwischen 13 und 24 Jahren gedacht.
Kinder und Jugendliche wurden hier psychologisch betreut und konnten an tollen Freizeit-Angeboten teilnehmen.
Sehr beliebt bei den Mädchen war unter anderem der Nährkurs.
Prominente Hilfe für Straßenkinder
Mehrmals konnten wir uns über prominente Unterstützung freuen. Zum Beispiel, als der beliebte Sänger Patrick Lindner von den tragischen Schicksalen der Kinder in Russland erfuhr.
Zeitungsbericht über unsere Aktionen mit Patrick Lindner » Zum Artikel
Er entschloss sich 1997 spontan dazu, mit der Deutschen Lebensbrücke in Kontakt zu treten und den bedürftigen Kindern in St. Petersburg zu helfen.
Es ist kaum zu glauben, wie sehr sich die Kids über Obst freuen.
Patrick Lindner verteilt Essen an Straßenkinder, die in einem Hausgang nächtigen.
Ein Junge zeigt Lindner, wo er sich versteckt
Neben dem Sänger unterstützten uns auch andere Prominente, zum Beispiel
Peter Weck,
Schauspielerin Marie-Luise Marjan („Lindenstraße)
US-Schauspieler Michael Douglas.
Mehr über unsere ehemaligen Russland-Projekte und die damaligen Zustände und unsere Erlebnisse erfährst du hier:
Ausblick: Straßenkinder in St. Petersburg
Die Situation in Russland spitzt sich für viele mittellose Familien sowie Kinder- und Jugendeinrichtungen wieder ähnlich zu, wie damals nach dem Zerfall der Sowjetunion: Erneut entscheidet der Geldbeutel darüber, wer eine medizinische Versorgung und kompetente psychologische Betreuung erhält und wer nicht.
Für viele kranke Kinder in Russland kommt das einem Todesurteil gleich.
35 Jahre Kinderhilfe
Dieser Artikel ist Teil einer Serie, die wir anlässlich unseres 35-jährigen Jubiläums veröffentlicht haben » Mehr erfahren: 35 Jahre Kinderhilfe.
In dieser Artikel-Reihe berichten wir über Erfahrungen, bedeutsamsten Meilensteine und bewegende Geschichten, die wir in mehr als 3 Jahrzehnten Kinderhilfe miterleben durften.