Volle Power – seit 35 Jahren: Petra Windisch de Lates
Petra Windisch de Lates ist das Gesicht der Deutschen Lebensbrücke. Seit der Gründung der privaten Kinderhilfsorganisation vor 35 Jahren steht sie an der Spitze. Voll Power, voll Elan und Optimismus. Das Porträt einer Powerfrau ohne Allüren.
Die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Lebensbrücke in ihrem Münchner Büro.
Starke Frauen in Führungspositionen
– immer noch eine Seltenheit
Natürlich waren Frauen schon immer stark. Doch heute treten sie bewusst ins Rampenlicht, übernehmen Verantwortung und Führungspositionen, nicht nur in Politik und Wirtschaft, sondern inzwischen auch in klassischen Männerdomänen wie Sport und in Non-Profit-Organisationen.
Spenden…
…sind für den privaten, unabhängigen Verein überlebenswichtig. Hier erhält die Deutsche Lebensbrücke eine Spende von der Aicher Ambulanz Union, die bereits mehrere Rettungswagen für Liberia gespendet hat.
Trotz eines sehr hohen Frauenanteils vor allem im ehrenamtlichen Bereich ist die Führungsebene mehrheitlich von Männern besetzt. Petra Windisch de Lates gehört zu den rund 28 Prozent weiblicher Führungskräfte in Deutschland. Sie ist die Vorstandsvorsitzende der Münchner Hilfsorganisation Deutsche Lebensbrücke. Und das schon seit 35 Jahren!
Wie kam sie dazu, einen sozialen Verein zu leiten?
„Das war mir wahrscheinlich schon in die Wiege gelegt“, lacht die 65-Jährige.
Und erklärt, dass sie schon mit elf die Nachbarskinder in der Straße betreut hat. Während ihrer Schulzeit in einer Münchner Klosterschule hat sie die Armenspeisung mit organisiert und trat als Klassen- und Schulsprecherin gegenüber dem Lehrerkollegium für die Belange ihrer Mitschülerinnen ein – manchmal sehr nachdrücklich, wie sie berichtet.
Helfen, wo es nötig ist!
Zum Beispiel mit Rettungswagen für eine kleine Klinik im armen Liberia.
Junge Menschen wollen die Welt ein Stück besser machen
„Ich hab das zu Hause so erlebt“, sagt sie. „Die elterliche Prägung macht viel aus, damals wie heute. Deshalb stimmt es auch nicht, dass junge Menschen sich heute weniger sozial engagieren. Die Art des Engagements hat sich vielleicht geändert – damals haben wir Gastarbeiterfamilien unterstützt, heute gehen junge Menschen für die Umwelt auf die Straße oder helfen Geflüchteten.“
Die Motivation, sagt Windisch de Lates, ist die gleiche geblieben: „da war das Gefühl, als Glückskinder geboren zu sein. In eine liberale Welt, in ein Land, in dem Wohlstand herrscht und kein Krieg. Unser Kinder empfinden das als Verantwortung – und sie protestieren, wenn sie die Umwelt und den Frieden bedroht sehen.“
Diese Pflicht hat auch Petra Windisch de Lates gespürt. Auf ihrer Reise durch die Welt, während ihrer Forschungsarbeiten in Biologie in New York oder auf ihrer Tour quer durch Afrika: sie hatte immer einen offenen Blick für menschliche Not – und ein besonderes Händchen dafür, Netzwerke zu knüpfen und Hilfen zu organisieren. Passiert ist ihr dabei nie etwas, nicht einmal, als ihr Auto nachts mitten in der Bronx liegenblieb.
„Ich hab eben auch ein Gespür für Menschen und weiß, an wen ich mich wenden kann“, sagt sie.
Sie ist weitgereist, aber fest im bayerischen Boden verwurzelt. Während ihrer Zeit in Amerika hat sie gemerkt, dass sie nicht überall daheim ist, sondern in Oberbayern. Deshalb hat sie genau hier ihre Netze ausgeworfen und Kontakte geknüpft.
Brücken bauen,,,,
…wie mit dem Projekt von Dr. Sereda in Sankt Petersburg, in dem Mädchen von der Straße gerettet wurden.
Brücken bauen, wo alles zusammengebrochen ist
Als nach der Wende und dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime im Osten eine Handvolle Freunde, darunter Eduard Prinz von Anhalt und Senator Dr. Reinhard Mayer, sie darum bat, ihre Kontakte einzusetzen, um Familien und Kindern in den ehemaligen Ostblockstaaten zu helfen, sagte sie spontan zu:
Sie wurde Gründungsmitglied der von Senator Mayer ins Leben gerufenen Deutschen Lebensbrücke. Wo es keine Wege mehr gebe, um zu helfen, wollten die Freunde Brücken bauen.
Hilfe für die Krebskinder in Sankt Petersburg
So viele an Leukämie erkrankte Kinder. So wenig und unzureichende Medikamente. Petra Windisch de Lates
“Wir haben in drei Jahrzehnten Hunderte Leben gerettet.”
„Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich da eingelassen hatte“, erzählt sie rückblickend. „Wir waren zunächst alle ehrenamtlich tätig. Als erstes haben wir nach Projekten gesucht, die wir unterstützen konnten. Wir waren in Polen, wir waren in Russland. Ich habe unsägliches Elend gesehen. Straßenkinder, aufgrund der Enge von den Eltern aus der Wohnung geworfen oder vor Misshandlungen geflohen. Sie lebten in Kellern und U-Bahnschächten, und das mitten im eisigen Winter. Um zu überleben, klauten sie, nahmen Drogen und prostituierten sich. Oder die vielen schwerkranken Kinder, die wegen fehlender Medikamente vor sich hinsterben mussten.“
Ein Bild aus den Anfängen
Für die Leukämiestation im Kinderkrankenhaus in Sankt Petersburg organisierte Petra Windisch de Lates (hier mit Peter Weck) eine Küche und regelmäßige Gemüse- und Obstlieferungen.
Die ersten Projekte: Hilfe für Kinder in Polen und Sankt Petersburg
Die ersten Hilfsprojekte startete Petra Windisch de Lates mit der Deutschen Lebensbrücke 1989 in Polen und 1991 in Sankt Petersburg. Im damals maroden Kinderkrankenhaus Nr. 1 trug sie im Laufe der Jahre entscheidend dazu bei, die dortige Leukämiestation auf – und auszurüsten. Seitdem wurden Medikamente, medizinisch-technische Geräte u.a. im Wert von rund 5 Millionen Euro nach Sankt Petersburg gebracht.
Petra Windisch de Lates besucht das Krankenhaus auch heute noch regelmäßig. „Ich bin immer wieder berührt – vom Schicksal der Kinder, vom Zusammenhalt ihrer Familien – und von der übergroßen Freude und Dankbarkeit, wenn wir wieder ein kleines Leben retten konnten“, sagt sie.
Inzwischen ist die Deutsche Lebensbrücke aufgrund der politischen Situation leider kaum noch in Osteuropa tätig. Windisch de Lates bedauert das sehr:
„Es ist furchtbar, zu erfahren, dass Krebskinder in Sankt Petersburg sterben, weil wir keine guten Medikamente mehr liefern können. Oder Projekte für Mädchen, die auf der Straße leben und arbeiten, geschlossen werden, weil wir sie nicht mehr unterstützen können.“
Mach es besonders
Was auch immer es ist – die Art und Weise, wie du deine Geschichte online vermittelst, kann einen gewaltigen Unterschied ausmachen.
Kinderarmut bekämpfen – in Deutschland und in Afrika
Momentan konzentriert sich die Deutsche Lebensbrücke also zwangsläufig auf Hilfen in Afrika und vor allem in Deutschland. Denn auch hier leiden Kinder und Familien Not.
„Mitten in einem reichen Land arm und krank zu sein, das ist ganz schrecklich.“
Die Deutsche Lebensbrücke unterstützt hier vor allem Projekt zur Armutslinderung (Frühstücksklubs und Mittagstische) und Förderung sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher (Kochklubs).
Mehr erfahren > Kinderarmut lindern und Kinderarmut in Deutschland
Und sie hilft Familien von Kindern mit seltenen Krankheiten oder Behinderungen, deren Therapien nicht von den Kassen übernommen werden.
Ausbildung und Gesundheit
– Voraussetzungen für ein Überleben von Mädchen in Liberia
In dem kleinen westafrikanischen Land Liberia unterstützt Windisch de Lates Projekte zur Bildung von Kindern, besonders Mädchen, und eine private Klinik, die vor allem schwangere Frauen, Mütter und Kinder betreut.
„Die Menschen dort sind unvorstellbar arm, aber sie versuchen, aus eigener Kraft ihr Land nach jahrzehntelangen Bürgerkriegen wiederaufzubauen. Dazu will ich beitragen, weil wir das aus unserem relativen Überfluss heraus können,” sagt sie, und dabei leuchten ihre Augen.
Ihre Mutter hat ihr früher immer wieder gesagt: „Wenn Du doch mal ans Geld denken würdest!“ Das tut sie inzwischen täglich. Denn für die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Lebensbrücke ist das Generieren von Spenden das A und O. Ohne Geld keine Hilfen. „Die Spendenlandschaft und das Fundraising haben sich sehr verändert. Früher konnten wir mit unseren Kontakten zu Prominenten und Artikeln in Frauenzeitschriften in den Printmedien genug Spenden für unsere Projekte bekommen. Heute ist Charity inflationär geworden, die digitalen Medien beeinflussen das Spendenverhalten. Wir müssen mit der Zeit gehen, neue Wege suchen.“
Besonders zum Schulanfang und zu Weihnachten freuen sich die Kinder im Frühstücksklub über Geschenke – es sind oft die Einzigen. Auch das ist mit Spenden möglich. DANKE.
Helfersyndrom? Absolut nicht!
Aus ehrenamtlichem Engagement ist Beruf und Berufung geworden. Allerdings ohne feste Bürozeiten. Oft fließen Überstunden und Freizeit ineinander über. Wie gut, dass ihr Mann dafür nicht nur Verständnis hat, sondern voll und ganz hinter ihr steht, ihre Facebook-Posts teilt und sie, wenn möglich, auch zu wichtigen Charity-Events begleitet.
„Er weiß, dass ich Arbeit und Privates nicht immer trennen kann. Reisen, organisieren, netzwerken, anpacken – das ist mein Leben, das ist das Talent, das ich habe“, lacht sie. „Ich brenne dafür, anderen zu helfen und diese Hilfen möglichst effizient zu organisieren.“ Genau das rettet sie wahrscheinlich vor dem Helfersyndrom: „Ich kann nicht anders, ich sehe die Dinge immer realistisch.“
Das prägt ihre Arbeit in der Deutschen Lebensbrücke ebenso wie ihr Engagement für die Münchner Kultur- und Musikszene. Jahrelang war sie Organisatorin des „Jazzfest München“. Heute präsentiert sie im Künstlerhaus am Lenbachplatz in der Reihe Jazz & Beyond immer wieder Ausnahmemusiker*innen.
Gerade heute brauchen wir diese Art von Hilfe, weltweit und auch hier bei uns in Deutschland.
„Es ist ja nicht so, dass der Sozialstaat alles finanziert. Grade die Armen, und hier vor allem die Kinder, fallen leicht durch das soziale Netz. Das geht schon damit los, dass inzwischen jedes 6. Kind hungrig und ohne Frühstück in die Schule kommt. Deshalb haben wir die Frühstücksklubs gegründet, und die Nachfrage danach ist riesengroß“.
Hilfsorganisationen, erklärt Petra Windisch de Lates, können direkter und gezielter eingreifen als staatliche oder kommunale Strukturen. Vorausgesetzt, sie finden genügend Spender*innen.
Eine Tasse Cappuccino ernährt ein Kind einen ganzen Tag lang!
„Es stimmt schon, nach Corona spenden die Menschen weniger. Aber vor allem spenden sie anders. Prominente z.B. haben fast alle ihre eigene Stiftung – an die ranzukommen, um für hungrige Grundschüler ein Frühstück zu erbitten, ist schwer. Immer mehr Menschen spenden lieber Zeit als Geld und engagieren sich in ökologischen Projekten und erleben dabei Natur und Gemeinschaft. Die Menschen, die für die lebensrettende OP unserer herzkranken Kinder spenden oder für die Beinverlängerung eines kleinen Mädchens – die wissen ganz genau, warum sie das tun. Und sie haben oft persönlich erlebt, was Leiden bedeutet. Wer weniger hat, ist oft empathischer – und jede Spende macht den Unterschied. Eine Tasse Cappuccino ernährt ein Kind einen Tag lang!“
Was im Leben zählt!
Satt sein, lernen, eine Ausbildung machen. Mehr wollen die Mädchen in Liberia nicht. Denn das ist ihr Traum.
Was im Leben zählt:
genug zu essen und ein soziales Netzwerk
Am Ende gehe es nicht darum, wie viel jemand besitze, betont Petra Windisch de Lates.
„In Afrika habe ich gelernt, was wirklich wichtig ist: Nahrung zu haben und ein soziales Netzwerk. Eine wie immer geartete Familie. Das sind die menschlichen Grundbedürfnisse. Alles andere ist nebensächlich.“
Nach diesem Prinzip lebt sie bis heute. Mit ihrem Mann und einer Katze in einer Schwabinger Wohnung. Mit ihrer Arbeit, die sie immer noch um die halbe Welt führt. Und mit der festen Überzeugung, dass es wichtig ist, Brücken zu bauen, vor allem dort, wohin scheinbar keine Wege führen.
35 Jahre Kinderhilfe
Dieser Artikel ist Teil einer Serie, die wir anlässlich unseres 35-jährigen Jubiläums veröffentlicht haben » Mehr erfahren: 35 Jahre Kinderhilfe. In dieser Artikel-Reihe berichten wir über Erfahrungen, bedeutsamsten Meilensteine und bewegende Geschichten, die wir in mehr als 3 Jahrzehnten Kinderhilfe miterleben durften.
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