Die größten Irrtümer zur Reichensteuer

Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Die jüngere Generation sorgt sich zurecht über ihre Zukunft. Kann eine höhere Reichensteuer für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen? Ja, nach Meinung vieler Experten. Doch werden entsprechende Bemühungen oft mit den gleichen Argumenten abgewehrt. Hier die 8 häufigsten Irrtümer zur Besteuerung von Wohlhabenden und was dagegen spricht.

Reiche besteuern

Reichensteuer

– Neiddebatte, gierige Steuerpolitik, Widerrechtlichkeit – all diese Contra-Argumente sind falsch.

 

Höhere Steuern für Reiche in Deutschland

In Deutschland nimmt die Anzahl von Menschen in Armut bzw. Armutsgefährdung zu. Die Ursachen dafür sind u.a. steigende Mieten, hohe Energiepreise und erhöhte Lebensmittel-Kosten. Gleichzeitig haben reiche Menschen an Vermögen gewonnen, da Aktien und Immobilien einer Wertsteigerung unterliegen. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum eine Reichensteuer Not tut. Es geht um eine Umverteilung der Steuerlasten und Vermögenswerte, damit soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit vermindert werden können.

 

Die größten Irrtümer zur Reichensteuer

Viele Menschen wünschen sich die Einführung einer Reichensteuer (5), jedoch blockieren politische Akteure (vgl. FDP) derartige Bemühungen seit vielen Jahren. Dabei kommen immer wieder Argumente zum Einsatz, die bei genauer Betrachtung an Ignoranz kaum zu überbieten sind und viele Punkte in ein falsches Licht rücken.

 

1) „Alles reine Neiddebatte.“

Neid wird im Allgemeinverständnis als unmoralisches Gefühl verstanden. Wer neidisch ist, hat Unrecht. Dabei sind Neidgefühle psychologisch und philosophisch gesehen wichtige Empfindungen, die immer dann aufkommen, wenn wir uns ungleich oder ungerecht behandelt fühlen. Mit Moral hat das am allerwenigsten zu tun.

Trotzdem wird munter behauptet, Reiche höher zu besteuern, sei eine bloße Neiddebatte. Das ist schlichtweg falsch! Bei der Reichensteuer geht es darum, das ausgezehrte Gemeinwesen zu stabilisieren, nicht um Vorteile des Einzelnen.

Und das würde laut Wohlfahrtsverbänden und Experten gut funktionieren: Deutschland ist reich genug, um all seinen Bewohnern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, in welchem genügend Kita-Plätze, Ausbildungsstellen, hochwertige Bildungschancen, eine angemessene Gesundheitsversorgung und fair bezahlte Arbeitsplätze vorhanden sind.

Funktionierendes Gemeinwesen für alle

Ist das Gemeinwesen in Deutschland finanziert, kommt das allen Menschen zugute, die hier leben. Allerdings sollten und müssen Reiche mehr beitragen. Nicht nur, weil sie es können, sondern auch, weil sie sich in den letzten Jahrzehnten an der sozialen Ungleichheit ökonomisch bereichert haben (Steuerreduzierungen, Banken-Rettungen etc.).

 

2) „Vermögensteuer belastet Mittelschicht.“

Ab wann ist jemand reich? Viele Kritiker glauben, eine Vermögenssteuer für Reiche würde mehr die Mittelschicht treffen und alles verschlimmern. Dabei zählen sich viele fälschlicherweise zur Mittelschicht, die zum reichsten Zehntel gehören. Und umgekehrt: viele Menschen, die zur “ärmeren” Schicht zählen, rechnen sich zur mittleren oder oberen Mittelschicht. Doch laut der Bundeszentrale für politische Bildung “zeigt sich, dass die sogenannte Mittelschicht zwischen 1996 und 2016 geschrumpft ist.”

Einkommensreichtum und Vermögensreichtum

Es gibt eigentlich keine validen Zahlen, ab wann jemand in Deutschland wirklich reich ist. Je nach Quelle wird entweder das Einkommen oder das Vermögen als Messwert herangezogen. Eines stellen Wissenschaftler jedoch einhellig fest: “In fast keinem anderen Land in Europa sind Vermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland. In den meisten Statistiken wird das wahre Ausmaß unterschätzt.” (Hans Böckler Stiftung, 7)

 

3) „Reiche zahlen bereits die meisten Steuern.“

Ein sehr populäres Argument gegen die Besteuerung von Vermögen. Aber zahlen wohlhabende Menschen wirklich bereits den Großteil an Steuern? Es stimmt, dass Spitzenverdiener höher besteuert werden als Menschen mit niedrigerem Verdienst. Ganz einfach, weil sie auch mehr zum Aufkommen der Einkommenssteuer beitragen.

Wären sämtliche Einkommensmöglichkeiten in Deutschland auf gleicher Höhe, würden selbstverständlich alle Steuerpflichtigen in gleichem Maße zum Aufkommen der Einkommenssteuer beitragen.

Außerdem: In Wirklichkeit sind einkommensarme Haushalte steuerlich stärker belastet. Die Einkommenssteuer macht nämlich nur 30 % des Gesamtsteuer-Aufkommens aus, die Verbrauchersteuer bildet hingegen 40 % davon ab – und diese Steuern zahlen wir alle zusammen, egal ob arm oder reich.

 

4) „Steuererhöhung gefährdet Arbeitsplätze und Wirtschaft”

Viele Menschen befürchten, dass höhere Steuern dazu führen, dass Unternehmen ins steuergünstige Ausland abwandern und Arbeitsplätze sowie Steuereinnahmen verloren gehen. Niedrige Steuern würden hingegen die Wirtschaft ankurbeln.

Seit geraumer Zeit sind Staaten durch diese Argumentation dazu angehalten, ihre Steuern zu senken. Dies führt zu einem Rückgang der öffentlichen Einnahmen und einer Verschlechterung der öffentlichen Leistungen.

Die Hauptgewinner dieser Entwicklung sind die Konzerne und Aktionäre, die dank ihrer geringen Steuerlast viel Profit daraus schlagen. Was dem Staat an Einnahmen fürs Gemeinwesen fehlt, muss der Otto-Normal-Verbraucher ausgleichen - durch höhere Steuern und Kosten.

Die Wirtschaftsweisen raten zum Gegenteil: Gutverdiener zumindest über einen gewissen Zeitraum mit höheren Steuern belangen. Denn um Investitionen in Arbeitsplätze zu fördern, braucht es eine Steigerung der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen – oder innovative Durchbrüche.

Doch geringere Steuereinnahmen haben negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung. Kurzfristig führen sie zum Abbau von Personal und Rückgang der Nachfrage. Langfristig u.a. zur Reduktion von Qualifikationen innerhalb der Bevölkerung.

 

5) „Reichensteuer löst Kapitalflucht in Deutschland aus“

Das ließe sich wirksam durch Reformationen in der Steuerpolitik verhindern. Zum Beispiel, indem Steuerpflicht und Staatsbürgerschaft gekoppelt werden. So müssten alle Steuern zahlen, auch wenn sie sich zeitweise nicht in Deutschland befinden und sich gerade auf den Malediven bräunen.

Im Grunde muss hier aber das Strafrecht dringend nacharbeiten. Werden Geldschmuggel und Steueroasen strenger kontrolliert, könnte viel weniger Kapitalflucht stattfinden.

 

6) „Höhere Steuern bestrafen diejenigen, die am meisten leisten“

Deutschland ist eine Leistungsgesellschaft. Wir glauben, wer viel leistet, wird hoch entlohnt und vermögend. Demnach wäre es höchst ungerecht, höher Verdienende mehr zu besteuern - ja sogar leistungsfeindlich.

In der Philosophiewissenschaft nennt sich diese Argumentation: Zirkelschluss. Hier wird höheres Einkommen mit höherer oder mehr Leistung gleichgesetzt, mehr Leistung bedeutet mehr Einkommen. Doch die extreme Differenz zwischen Top-Gehältern und Armutslöhnen kann mit unterschiedlichen Qualifikationen, Kompetenzen, Arbeitszeiten und Verantwortung nicht hinlänglich erklärt werden.

 

In Deutschland wird niemand durch Leistung reich

Stattdessen belegen viele Studien: Ausschlaggebend für hohe Einkommen und Vermögen ist nach wie vor die soziale Herkunft einer Person. Und das Geschlecht.

In Deutschland ist es nicht möglich, allein aufgrund hervorragender Leistungen im Job Wohlstand zu erlangen. Sondern nur durch Erbschaft, Investitionen, Unternehmensgewinne, Aktien und Dividenden. Darüber hinaus kann niemand behaupten, U-Bahnfahrer, Verkäuferinnen, Altenpfleger oder Arzthelferinnen leisten weniger als Manager.

 

7) „In Deutschland herrscht eine gierige Steuerpolitik“

Steigerung des Erbschafts-Steuersatzes, Vermögensteuer, Spitzensteuersatz etc. – die Klagen über Deutschlands Steuerpolitik sind in diesen Fällen ungerechtfertigt.

Tatsache ist:

1. Viele Steuern sind in den letzten 15 Jahren gesunken – tlw. mehrmals. Ausnahmen bilden die Vermögens- und Finanztransaktionsteuer.

2. Vermögensteuer wird schon seit 1997 nicht mehr erhoben. Deshalb fordern sie viele Sozialverbände.

3. Profiteure der Steuersenkungen sind Unternehmen sowie Menschen, die Vermögens- oder Einkommensreichtum genießen.

 

8) „Höhere Besteuerung von Reichen ist verfassungswidrig“

Die Vermögenssteuer wurde abgeschafft, weil sie das Bundesverfassungsgericht 1995 als verfassungswidrig erklärt hat. Dabei wurde der sogenannte „Halbteilungsgrundsatz” formuliert: So können bestimmte Einkommen bzw. Kapitalvermögen nur zur Hälfte besteuert werden, während die andere Hälfte steuerfrei bleibt.

Schon von Beginn an hat dieser Standpunkt für heftige Kontroversen gesorgt. Die damalige Vermögensteuer war verfassungswidrig aufgrund der Unterbewertung von Grund- und Immobilienvermögen, die wiederum eine ungerechte Steuer-Begünstigung ermöglichte.

Eine realistische Bewertung aller Vermögensarten ist daher unerlässlich, um eine gerechte Steuererhebung zu gewährleisten. Dieser Grundsatz wird sogar ausdrücklich im Artikel 106 des Grundgesetzes festgehalten – und auch Vermögensabgaben werden darin explizit angeführt.

 

Fazit: Reiche besteuern – die größten Irrtümer

Viele Argumente gegen eine höhere Besteuerung von vermögens- und einkommensstarken Personen können entkräftet werden, wenn die Hintergründe bekannt sind.

Reiche Menschen ziehen größere finanzielle Vorteile aus öffentlichen Gütern und Dienstleistungen als Menschen mit weniger Vermögen. Es ist daher nur gerecht, wenn sie auch mehr zur Finanzierung dieser öffentlichen Güter beitragen.

Mit höheren Steuern können öffentliche Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsversorgung finanziert werden, die für einkommensschwächere Menschen eine hohe Relevanz besitzen. Auf diese Weise können alle Erwachsenen, Jugendlichen und Kinder die gleichen Chancen erhalten, um ihr individuelles Potenzial zu nutzen und in Gesundheit zu leben.


Quellen:

1) Anne Sophie Feil: Diskussion über Vermögenssteuer. Reiche stärker besteuern - ist das gerechter?
2) Institut der Deutschen Wirtschaft (iW): Der Staat nimmt vielen die Hälfte (In: Arm und Reich)
3) Kontraste (das Erste): Steuern für Superreiche. Wie der Staat jährlich 40 Milliarden mehr einnehmen könnte
4) Verdi: Vermögenssteuer? Brauchen wir!
5) Bertelsmann Stiftung: Gefühlt ungerecht: Gerechtigkeitsempfinden in Deutschland
6) Business Insider: Gehalt in der Mittelschicht: Mit diesem Betrag gehört ihr zur mittleren Einkommensschicht in Deutschland
7) Hans Böckler Stiftung: Wie sind die Vermögen in Deutschland verteilt?
8) Bpp: Soziale Situation in Deutschland. Vermögen und Einkommen

Tamara Niebler

Tamara ist studierte Philosophin (Mag. phil.) & freie Journalistin in München. Sie unterstützt unsere Redaktion mit jeder Menge Fachwissen und kritischen Denkanstößen. Tamaras Motto: „Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen“ (Franz Kafka)

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