Immer mehr Kinder können nicht schwimmen

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Ertrinken ist eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern

Wieso können so viele Kinder nicht (richtig) schwimmen?

Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft DLRG schlägt Alarm: Immer mehr Menschen ertrinken. Besonders in den Sommermonaten schnellen die Zahlen in die Höhe.

2020 ertranken mindestens 378 Personen 1). Die meisten von ihnen starben in Flüssen und Seen. Der Grund: die Gewässer werden vergleichsweise wenig von Rettungsschwimmern überwacht. Besonders oft betroffen sind Kinder und junge Menschen.

 

Ertrinken ist eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern

Wasser ist für Menschen eigentlich natürlich: Unser Leben beginnt im Fruchtwasser. Babys können kurz nach der Geburt sogar schwimmen. Bis zum 4. bis 6. Lebensmonat besteht dieser Reflex.

Im Laufe der Kindheit verlieren viele den Bezug zum Wasser. Nichtsdestotrotz lieben die Meisten das kühle Nass. In der warmen Jahreszeit drängen die Menschen nach draußen. Unsere Flüsse und Seen laden zu Ausflügen ein: das Wasser ist sauber und klar.

Holiday-Feeling an heimischen Gewässern.

Doch auch das flachste Gewässer kann zur tödlichen Gefahr werden. In den Nachrichten erfahren wir immer wieder von Badeunfällen. Ertrinken ist eine der häufigsten Todesursachen im Kindesalter.


Wieso können immer weniger Kinder schwimmen?

Das Problem beginnt in der Kindheit: 2017 führte die DLRG eine deutschlandweite Studie durch. Das erschreckende Ergebnis: 59 Prozent aller Mädchen und Jungen sind keine sicheren Schwimmer, wenn sie die Grundschule verlassen. Die Situation wird sich in den nächsten Jahren kaum verändern.

Richtig schwimmen können kann lebensrettend sein. Warum wird darauf so wenig Aufmerksamkeit und Wert gelegt? Wir haben uns auf Spurensuche begeben.


Die Eltern unterschätzen die Gefahr

Erwachsene haben eine größere Chance auf Rettung vor Ertrinken: sie können durch lautes Schreien und Handzeichen auf sich aufmerksam machen. Kinder hingegen haben einen anderen Körperschwerpunkt. Sie ertrinken lautlos. Sie sinken wie ein Stein auf den Grund.

Wenn die Eltern nicht in unmittelbarer Nähe sind, ist es zu spät. Wer nicht ständig den Blick auf das Kind hat, kann nicht schnell genug eingreifen.


Es gibt zu wenig Schwimmunterricht in den Schulen

Viele Schulen haben kein eigenes Schwimmbad. Manche Schulen organisieren Schwimmunterricht in einem weiter entfernten Bad. Das ist aufwändig und wenig effektiv:

  • Die Anfahrt dauert zumindest mehrere Minuten

  • Die Kinder müssen sich vor dem Schwimmunterricht umziehen und duschen.

  • Nicht alle Kinder dürfen gleichzeitig schwimmen. Ein Teil muss am Beckenrand warten.

  • Nach dem Unterricht duschen die Kinder nochmal.

  • Sie ziehen sich an und föhnen.

  • Kinder trödeln gern mal. Im Schwimmbad kann man Quatsch machen. Eine Belastungsprobe für die begleitenden Lehrkräfte

  • Eine Schulschwimmstunde dauert 90 Minuten. Die Netto-Schwimmzeit pro Kind ist maximal eine halbe Stunde. Zu kurz, um richtig Schwimmen zu lernen.


Während Corona konnten Kinder nicht schwimmen lernen

Während Corona waren die Schwimmbäder geschlossen. Die Kinder konnten keine Schwimmkurse besuchen. Monatelang hatten die Schüler*innen Homeschooling. Im Wechselunterricht fand weder Sport- noch Schwimmunterricht statt.

Momentan sind die Wartezeiten für Schwimmkurse bis zu zwei Jahre. Zudem sind viele Bäder sanierungsbedürftig. In Deutschland wird alle vier Tage ein Bad geschlossen 2).


Viele baden trotz Warnhinweis in unsicheren Gewässern

Viele Menschen lassen sich von Warn- oder Verbotsschildern nicht abhalten. Sie begeben sich damit in lebensbedrohliche Gefahr:

  • In strömenden Gewässern wie der Elbe oder dem Rhein baden, ist lebensgefährlich.

  • Seen und Flüsse haben gefährliche Strömungen. Es kostet viel Energie und Kraft, um sie zu durchqueren. Schnell verlieren Schwimmer die Kräfte.

  • Strudel im Wasser erschweren den Kampf ums Überleben.

  • Die Gefahr von Wasserpflanzen wird oft unterschätzt. Oft verhakt sich die schlingende Pflanze mit dem Bein des Schwimmers. An sich ist das nicht gefährlich. Die unerwartete Berührung kann aber im Schwimmer Panik auslösen.

  • Manchmal erscheint ein Gewässer flach und plötzlich fällt der Boden ab.

  • Selbst, wenn umstehende Personen den Unfall sehen: Badegäste sind fast nie ausreichend ausgebildet. Sie können nicht gut genug schwimmen, um einen anderen Badegast in Not zu retten.


Selbstüberschätzung

  • Kinder können ihre Kräfte und Energien nicht richtig einschätzen. Die einen unterschätzen sich. Die anderen überschätzen sich.

  • Kinder denken oft nicht lange nach. Sie jagen sich durch das Wasser. Sie veranstalten Wettrennen. Sie unterschätzen die Entfernungen im Wasser.

  • Viele Menschen bekommen einen plötzlichen Krampf im Bein.

  • Temperaturschwankungen in Seen belasten den (kindlichen) Kreislauf.


Das Wasser ist Kindern oft nicht vertraut

Viele Kinder kommen selten mit Wasser in Berührung. Sie haben Angst, sind unsicher. Sie verstehen die Gefahren von Wasser nicht.


Sozial schwache Kinder erhalten viel seltener Schwimmunterricht

Sozial schwache Kinder können deutlich seltener schwimmen. Viele von ihnen haben nie oder kaum ein Schwimmbad betreten. Der Besuch eines Bades ist für sozial schwache Familien ein Luxus:

  • Die Eltern können sich den Schwimmunterricht nicht leisten.

  • Auch ein ermäßigter Eintritt muss bezahlt werden.

  • Das Schwimmbad ist oft nicht in der Nähe. Die Anfahrt muss bezahlt werden.

  • Badesachen kosten Geld.

  • Ein Schwimmkurs kostet um die 100 Euro. Viele sozial schwache Eltern können sich das nicht leisten. Zwar stehen jedem Kind dafür 10 Euro pro Monat zur Verfügung. So kann der Betrag angespart werden oder im Voraus bewilligt werden. Es ist aber mit Anträgen und Finanzmanagement verbunden.

  • Den Eltern ist nicht so wichtig, dass das Kind schwimmen kann. Andere (wichtigere) Probleme stehen im Vordergrund.

  • Die Eltern können selbst nicht schwimmen und halten Schwimmunterricht nicht für wichtig.

 

Ausblick

Viele Kinder kennen das Seepferdchen nur als Tier. Auch wenn das Schwimmabzeichen nicht als ausreichender Beweis für sicheres Schwimmen gilt 3) – es ist ein Anfang. Viele Viertklässler haben nicht einmal das Seepferdchen.

Am Besten ist: Das Kind von klein auf an das Wasser gewöhnen. Das fängt als Baby in der (zu jedem Zeitpunkt bewachten!) Badewanne an. Angst vor Wasser nimmt den Spaß am Schwimmen lernen.

Wenn es möglich ist, sollten Eltern mit ihren Kindern oft schwimmen gehen. Spielerisch klären sie die Kleinen über die Gefahren von Wasser auf.

Generell gilt:

  1. Kinder sollten nie sehr tief in unbekanntes Wasser gehen.

  2. Im Schlauchboot ist eine Schwimmweste unabdingbar.

  3. Schwimmflügel sind eine Unterstützung, aber kein Ersatz für Schwimmunterricht.

Sozial schwachen Kinder steht auch hier im wahrsten Sinn des Wortes das Wasser bis zum Hals. Jedes Kind, das ertrinkt, ist eins zu viel.


Quellen:

1) Tagesschau Online: Weniger Badetote, mehr Nichtschwimmer

2) Kinder- und Jugendärzte im Netz: Trauriger Saisonstart: Vier Kinder sind im Norden in nur zwei Wochen beim Baden ums Leben gekommen.

3) Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V. (DLRG)

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Ariane Faralis

Ariane ist studierte Soziologin & hat eine eigene private psychotherapeutische Praxis. Sie verstärkt unsere Online-Redaktion mit fundierten Fachtexten und wertvollem Content. Ariane’s Motto: ”Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit” (Erich Kästner)

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